Diese Ego-Therapie ist eine Reise in die Vergangenheit. In jeder Beziehung.
November 2017: Chris Peters und ich stehen im Popodium in Sliedrecht bei Rotterdam zusammen und unterhalten uns über elektronische Musik. Es ist das zehnjährige Jubiläum von The Machine und Chris und ich teilen Freundschaft und Begeisterung für diese Band aus Holland. Chris spielt später mit Samsara Blues Experiment und als Jam-Partner auf der Bühne, ich bekomme meinen Lieblingssong, "First Unique Prime", von The Machine als Widmung geschenkt – ein Abend für die Ewigkeit.
Als Chris anlässlich der gerade laufenden Darbietung von den Radar Men Of The Moon aus Belgien von Keyboards und Synthesizern erzählt, habe ich noch keine Ahnung, dass er neben der psychedelischen Heavy Blues Rock-Maschine Samsara, wo er neben Gesang und Gitarre zusätzlich die Synthie-Schnipsel einstreut, noch ein ganz anderes Projekt am Start hat: Surya Kris Peters eben.
Sommer 1979: Im WDR ist Winfried Trenkler eine Ikone der Rockmusik. Neben seiner Sendung 'Rock In' präsentiert er vornehmlich elektronische Werke in 'Schwingungen', einer Sendung voller Krautrock und Nostalgie – schon damals. "Heaven And Hell" von Vangelis raubte mir den Verstand und "Mickey D’s Unicorn" war so ein genialer Geheimtipp, gefördert von Klaus Schulze. Den Titelsong von 1979 sollte kein Krautfan auf diesem Planeten verpassen, eine saugeile Nummer. Wie die Werke von Manuel Göttsching allein und mit seiner Band Ashra, dort, wo er 1980 mit dem irren "Aerogen" abfliegt wie ein aufgedrehter Irrwisch. Was für eine Gitarre.
Irre gut und na klar, alle aus Berlin.
Wie Chris Peters.
Abgesehen von Vangelis, der vollständig eigentlich Evángelos Odysséas Papathanassíou heißt, was sich die Rockwelt nicht nachhaltig merken konnte.
Aber wir schreiben inzwischen das Jahr 2019 und Berlin scheint irgendwie immer noch so etwas wie das Epi-Zentrum deutschen Elektronik-Krautrocks zu sein. Wie schön, dass ein alter Bekannter diesen Trend fortsetzt. Schon auf dem ersten Album von Samsara Blues Experiment ist mir klar geworden, dass Chris Peters mehr ist als nur ein cooler psychedelischer Gitarrist. Er besitzt genau dieses intime geheimnisvolle Gen für melodisch geniale Gitarrenlinien, was in der eher auf Geräuschkulisse und aggressive Riffs abzielenden Stoner-Gemeinde nicht zwingend gefragt ist. Nein, Chris versteht es, neben ekstatischen Soli auch tief bewegende Klangbilder zu erzeugen, die nun einmal einer besonderen Melodik bedürfen. Dies kommt ihm in diesem Projekt ausgesprochen nachhaltig zugute.
Der Beginn des Albums klingt wie eine klassische Partitur, mit wallenden Klaus Schulze-Keyboard-Böden und Floyd-geschwängerter, mäandernder Gitarre. So eine Musik verträgt keine Hektik, Zeit verliert an Bedeutung und löst sich in Wolken strömender Klänge ganz allmählich auf. Die "Angels In Bad Places" berichten ganz ausführlich davon. Wie nachdenkliche und ziellos verstreute Geister ziehen die Licks der Gitarre über einem düster brodelnden Teppich aus Keyboard-Wellen und monotonen Riffs. Es entwickelt sich ein Sog, der nicht kommentiert und keine Richtung sucht, sondern der nur schwerelos dahintreibt, in einem endlosen Kontinuum ewiger Wahrheiten. Wir erreichen die nötige Konfiguration für die Dinge, die da kommen werden.
Mit "Ego Therapy" legt Chris dann sogleich tiefe Implantate meiner Seele und meines Erfahrungsspektrums frei. Mich überkommen Wellen der Erinnerung an eine Zeit Ende der Siebziger, als ich Elektronik für mich entdeckte und irgendwie scheint es mir, als würde dieser Song auf geniale Weise all das verbinden, was ich damals suchte. Diese schwelende, fast sehnsüchtig schwebende Keyboard-Untermalung und eine jetzt sehr emotionale und lautmalende, herrliche Gitarre bringt mich in die Stimmung, als ich einst das damals schon vier Jahre alte "Shine On You Crazy Diamond" entdeckte und anfangs glaubte, das gesamte Werk Pink Floyds würde so klingen. Ehrlich Chris, hier legst Du bei mir Empfindungen frei, die ich lange nicht mehr wahrgenommen habe. Es sind Erinnerungen an die wohl schönste und aufregendste Zeit meines Lebens. Allein dafür gebührt Dir mein herzlicher Dank.
Die leicht poppig-fetzige Nummer "Beyond The Sun" mit ihrer endlos repetitiven Hookline und mehr noch "Voices In The Distance", mit wunderschönen Anspielungen auf das Werk von Tangerine Dream, zitieren Stimmungen, wie sie einst in den so sehr geliebten Schimanski-Filmen kreiert wurden. Die große alte Zeit des Krautrock sprießt und treibt neue Blüten aus einem längst verloren geglaubten Universum.
Im weiteren Verlauf des Albums zieht sich die Gitarre immer mehr zurück und überlässt ruhig strömenden Tastenklängen extemporierende Ausflüge unterschiedlicher Stimmungslagen. Hier bewegen wir uns mehr und mehr in einem Bereich, der ein bisschen wie ein Soundtrack für einen noch nicht gedrehten Film klingt. Ein neuer Schimanski kann es ja leider nicht mehr werden, R.i.P., Götz!
Doch dann stellt die Atom-Uhr die Zeichen der Zeit noch einmal neu ein, wenngleich nicht in ein neues Zeitalter wilder Gitarrenklänge – von denen haben wir zu diesem Zeitpunkt endgültig Abschied genommen. Ein ausschwärmender Synthesizer freundet sich an mit einer Endlosschleife eines Keyboard-Hooks, bis eine sanft einrückende Rhythmik mit verspielten Klängen die inzwischen vertrauten verdrängt und hypnotisch Aufmerksamkeit erheischt. Wir verlieren uns im kreiselnden Drift und werden von den immer reduzierter schwingenden Amplituden ganz allmählich aufgesaugt. Ein Gefühl von Frieden und Ruhe kehrt in uns ein und Steinchen für Steinchen versandet die "Atomic Clock" im endlosen Nichts.
Ich habe seit dem ersten Album von Samsara Blues Experiment eine tiefe und enge Verbindung zu dieser Musik empfunden, und das war allem voran der genialen Gitarrenarbeit von Chris Peters geschuldet. Wie sehr er aber eine ähnliche dunkle Seite des Mondes zu empfinden scheint wie ich – wenn man den gänzlich genreuntypischen Abstecher in Richtung Elektronik denn so bezeichnen mag, eine Angewohnheit, der ich mich auch ein Leben lang hingegeben habe – wie sehr sich hier musikalische Wege begegnen und kreuzen: Das macht freudig betroffen und verängstigt fast ein wenig.
Und wir teilen die Freundschaft zu unseren holländischen Freunden. Was soll ich da noch sagen? Wenn ich jetzt nicht einen Bruder im Geiste erkenne, wann dann?
Freunde Krautrock-verbundener Musik mit einem Hang zu episch wuchtigen Tastenklängen werden begeistert sein, aber durch die feinen Gitarren-Applikationen, teilweise wie aus der Gilmour’schen Schule, gewinnt diese Musik eine unverzichtbare Veredelung und eine sanft anklingende Ekstase. Manuel Göttsching hat dieses Feld einst beackert und gedüngt, Chris Peters ist ein dankbarer Landwirt und erntet aus den Wurzeln seiner Vorfahren. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich in unseren pseudo-modernen Tagen noch einmal so intensiv in alte Vorlieben zurück versetzt finden würde.
Danke Chris für dieses Album, da ist Dir ein zeitlos schönes Dokument gelungen; Musik, die für Berlin steht, den Rockmusik-Standort Deutschland und sein Produkt, den unbesiegbaren archaischen Krautrock in seiner episch dramatischen Form. Geile Musik!
Line-up Surya Kris Peters:
Chris Peters (guitar, synth, keyboards)
Jens Vogel (bass, drums)
Tracklist "Ego Therapy":
- Angels In Bad Places
- Ego Therapy
- Beyond The Sun
- Voices In The Distance
- Wizard’s Dream
- Gemini IV (The Sky Is Open)
- Sleeping Willow
- A Fading Spark
- Every Master Has A Mother
- Atomic Clock
Gesamtspielzeit: 53:18, Erscheinungsjahr: 2019
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