Wenn ich Musiker bin und mich in diesen unsäglichen Zeiten nicht immer nachvollziehbarer staatlicher Gängelei zum Nichtstun verdammt sehe, dann müsste ich doch einfach verzweifeln und in eine Aneinanderreihung stimmungsmäßiger Tiefs verfallen? Nun, die Vermutung liegt nah und Verlautbarungen aus der Künstlerszene bestätigen diesen elenden Zustand leider immer wieder. Wer sich in dieser Zeit hinsetzt, neue Musik schreibt und diese auch noch veröffentlicht, der darf keinesfalls von wirtschaftlichen Gedanken getrieben sein. Fehlt doch quasi jedwede Möglichkeit, die neuerschaffenen Songs einem aufnahmebereiten Publikum live präsentieren zu dürfen. Da hilft auch keine Online-Release-Party, in die man sich als geneigter Fan zum Streamen einkaufen kann.
Und wenn man es trotzdem macht? Dann kommt so etwas raus, wie das neuste Album eines der am härtesten arbeitenden deutschen Musiker, Tilo George Copperfield! Kein Versammlungsverbot, kein Auftrittsbann, keine Volksdepression hat ihn davon abhalten können, ein weiteres Solo-Album einzuspielen und dies auch noch pressen (ja, auf Vinyl) und brennen (ja, CD-Bonus) zu lassen. Wenn wir dann die aktuellen Entwicklungen des Spahn’schen Inzidenz-, Impf-, Test- und Lockerungs-Wirrwarrs aufdröseln, dann könnte in absehbarer Zukunft in Sachen Live-Shows sogar wieder regelmäßig was laufen. Also, alles richtig gemacht, Herr Copperfield!
Knapp vierzig Minuten "The Electric Band" (eine Verneigung vor seiner Begleitband) drehen sich im Player und schon beim ersten Spin kommt Freude auf. Der Junge weiß halt, wie er den Freund des guten Blues/Blues Rock/Country- oder Southern Rock einfangen kann. "You Knock Me Dead" ist ein perfekter Einstand, kräftig rockend und von Copperfield und der Band in eine coole Nummer verpackt. Der Hörer wird von der gekonnten Slide und dem immer wieder aufklingenden Honky Tonk-Piano regelrecht mitgerissen. Da fällt es nicht schwer sich vorzustellen, dass alle Mann mächtig Spaß am Einspielen hatten.
Leicht zurückgedreht im Tempo folgt "Eastbound Train", hauptsächlich dominiert von Gitarre und Gesang (nein, nein, die anderen Musiker sind natürlich auch noch da!). Ab und zu wabert mal ein wenig an tollen Hammond-Sounds durch die Komposition und gibt dem Song einen gewissen Touch. Noch mehr wird bei "When The Night Is Over" auf die Tempo-Bremse getreten. Als – was ist das eigentlich? – Country Blues, Americana, whatever, erinnert der Song subjektiv ein wenig an alte Sachen vom guten Springsteen.
Alle zehn Tracks wurden übrigens binnen weniger Tage live eingespielt und ich muss gestehen, ich bin ja schon ein großer Freund dieser Form des Aufnehmens. Dieses letzte Quäntchen an 'Zusammen' kriegt wahrscheinlich auch der beste Mixer nicht hin. Erwähnte ich schon, dass ich die Hammond-Passagen klasse finde? Hört einfach mal in "That Fuss" rein! Wahrscheinlich trägt Tastenmann Claus Bächer nicht umsonst den Spitznamen 'Leslie'… Nahezu ohne erkennbaren Break geht der Song in "Who’s To Blame?" über. Tempo und Rhythmus, cool getragen von den beiden Michaels (Karl am Bass und Hofmann an den Drums), verfolgen dieselbe Linie wie der Vorgänger.
Danach scheppert es wieder im Karton, das Tempo zieht an, die Band dreht an den Reglern und fährt jeweils vor dem Chorus von "Ten Men On The Dead Man’s Chest" zu Höchstform auf. So, und auch wenn das jetzt weit hergeholt ist mit den Assoziationen, aber die Orgel klingt in Teilen wie Uriah Heeps Ken Hensley in den frühen Siebzigern, sehr geil! Äußerst galant im Übergang tischt man danach "Bound To Pay The Price" auf, brilliert mit Soli auf der Sechssaitigen und liefert sich Duelle mit den Tasten. Der Groove dabei schreit nach einer längeren Live-Version bei den hoffentlich bald wieder vermehrt stattfindenden Konzerten.
"Long Distance Call" ist so ein Stück, bei dem ich mir die Band auf der Bühne so richtig in den Spaß-Modus verfallen sehe. Ein wenig geslidet, noch ein bisschen Piano oben auf die Basslinie gepackt und von den Trommeln getrieben werden … Bevor wir am Ende mit einem tollen Rausschmeißer beschenkt werden, kommt noch "Enough Of You" um die Ecke, Wah Wah-Sound und alles inklusive.
Mit "Welcome To The Farm" wird dann also "The Electric Band" abgeschlossen und dieser mit etwas mehr als acht Minuten längste Song lässt die Band noch einmal in gefühlvolle Sphären abdriften. Alle Elemente der Instrumentierung kommen zu vollem Einsatz – erwähnte ich meine Liebe zur Hammond? – und der Jam-Modus lässt beim Hörer ein unbedingtes Gefühl des Dabeiseins aufkommen. Toller Abschluss einer ebenso tollen und kurzweiligen Platte, die ich unter normalen Umständen nicht im Bayrischen Wald, sondern viele tausend Kilometer weiter westlich verorten würde. Kaufen!
Line-up T. G. Copperfield:
T. G. Copperfield (vocals, guitars)
Michael Karl (bass)
Claus Bächer (keys)
Michael Hofmann (drums, percussion, backings)
Robert Hofmann (additional backings)
Tracklist "The Electric Band":
- You Knock Me Dead
- Eastbound Train
- When The Night Is Over
- That Fuss
- Who’s To Blame?
- Ten Men On The Dead Man’s Chest
- Bound To Pay The Price
- Long Distance Call
- Enough Of You
- Welcome To The Farm
Gesamtspielzeit: 37:10, Erscheinungsjahr: 2021
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