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Teramaze / Sorella Minore – CD-Review

Teramaze - Sorella Minore

Manchmal muss man sich was gönnen von weiter weg. Einen lebensgroßen Pappaufsteller von Captain Kirk aus dem Star-Trek-Fan-Shop in den USA. Oder eine Prog Metal-Scheibe aus Australien. Und weil ich den Captain schon neben dem Schreibtisch stehen habe, wurde es dieses Mal ein Album von einer Band, die 16427 Luftlinie weit weg von mir zu Hause Musik macht. In Geelong, Victoria, Australien. Das ist zwar nicht in einer Galaxie, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, aber wird natürlich trotzdem mal gern ins Exotenregal gestellt. Und Teramaze sind auf ihrem eunten Studioalbum exotisch gut! Ohne exotisch zu klingen. "Sorella Minore" ist schlicht und einfach oberste Qualitätsschublade einer Musik auf der Schnittstelle zwischen Progressive- und Melodic (Power) Metal. Und auch das Selbstbewusstsein des alleinigen Songschreibers, Gitarristen, Keyboarders, Gründungsmitglieds und seit geraumer Zeit auch Lead Sängers Dean Wells ist groß. Sonst würde die Platte nicht mal eben mit einem Fünfundzwanzigminüter starten. Es ist der Titeltrack des Albums.

Und was soll man sagen: Die Taktik geht auf! Selten wurde ich von einem so langen Teil schon beim ersten Hören derart gepackt. Der Longtrack "Sorella Minore" (auf Deutsch die 'kleine Schwester') ist inhaltlich laut Angaben der Band die Fortsetzung einer Geschichte um das tragische Familienschicksal zweier Schwestern und glänzt trotz der immensen Track-Länge mit einem erstklassigen und hochmelodischen Refrain, den man schon beim zweiten Mal Hören mitsingen möchte und der später auch aus verschiedenen Perspektiven mit verschiedenen Stimmen dargeboten wird. So schlüpft Gastsängerin Jennifer Borg (Divine Ascension) in die Rolle der kleinen Schwester; und auch Silvio Massaro (Vanishing Point) und Ex-Teramaze-Sänger Nathan Peachey haben ihe Auftritte. Das Ganze hat also durchaus etwas von einer Shakespeare'esken Aufführung. Und so passen auch das Foto-Shooting in altem Jahrmarkt-Stil sowie die Angabe »Music directed by Dean Wells Das hier braucht nicht nur einen Songschreiber, sondern gleich einen Regisseur.

Die Stimmen, die sich zum Gesang erheben, sind technisch stark und bringen die notwenige Leidenschaft ausgezeichnet rüber. Instrumental gibt es einen vor Power strotzenden Mix aus proggigen Riff-Salven und Keyboards, die opulent die Klangräume füllen. Die Aufnahmen sind stark 'durchproduziert', überschreiten aber nie die Grenze zu Kitsch oder Künstlichkeit. Die Musik macht dramatisch Druck, ist auch in Zwischenphasen mal lyrisch leise und – natürlich, bei 25 Minuten Spielzeit – episch entfaltend. Mit einem B-Part in der Mitte, der mehr ist als ein B-Part, sondern irgendwie fast alle Buchstaben des Alphabets bräuchte, um ihn zu beschreiben. Die Band variiert Tempo und Temperatur; von Klavier bis Growls ist alles dabei. Genialerweise scheint alles zusammenzupassen – so aufgewühlt die Protagonisten der Story beschrieben werden, so vielschichtig ist auch die klangliche Umsetzung. Und all die großen und kleinen Melodien sind betörend schön – von den emotionalen Gitarrensoli bis hin zu jenem bereits erwähnten Killer-Refrain. Klasse.

Fans von Bands wie Pyramaze, Balance Of Power, Vanden Plas, Cyhra, Seventh Wonder oder Secret Sphere sollten sich dieses Album unbedingt anhören. Der Tipp fällt relativ leicht – und auch, wenn Teramaze wenig 'Pluspunkte' für Eigenständigkeit einheimsen, so gibt es überhaupt keinen Grund für Minuspunkte wegen eines So-wie-andere-Seins. Denn "Sorella Minore" ist einfach grandios gemacht. Es stimmt alles: Songwriting, anspruchsvolle Technik, Produktion, Gesang. Kritisch könnte man allenfalls die verhältnismäßig knappe Spielzeit von gut 40 Minuten sehen. Dafür bringen Teramaze aber auch öfter was Neues raus – den Vorgänger von "Sorella Minore" gab es 2020. Ach ja – und ein kleines bisschen mehr als ’nur' den Titeltrack gibt es ja dann doch noch: die düster, heavy und trocken groovende Nummer "Take Your Shot" sowie die eher atmosphärisch-getragenen Songs "Stone" und "Between These Shadows", wobei besonders ersterer wirklich sehr verzaubert.


Line-up Teramaze:

Dean Wells (vocals, guitars, keyboards)
Andrew Cameron (bass)
Chris Zoupa (guitars, keyboards)
Nick Ross (drums)

Guest musicians:
Silvio Massaro (vocals)
Jennifer Borg (vocals)
Nathan Peachey (vocals)

Tracklist "Sorella Minore":

  1. Sorella Minore (25:46)
  2. Stone (5:15)
  3. Take Your Shot (4:56)
  4. Between These Shadows (4:46)

Gesamtspielzeit: 40:47, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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