
Wieder einmal hat es der Musikgott gut gemeint; er hat dafür gesorgt, dass ein Album aus dem Jahr 2020 in meinem Player gelandet ist, was es wohl nicht wäre, hätte nicht ein ehemaliger Arbeitskollege – übrigens selbst Musiker – gemeint, dass ich diese Band einmal anchecken sollte.
Dabei wäre es durchaus denkbar gewesen, der Band bzw. den Musikern in früheren Jahren irgendwo im 'Grenzgebiet' Saarland/Pfalz über den Weg gelaufen zu sein. Die Musiker kommen nämlich aus dem Saarland und werden in den wenigen Stellen im Netz als »Urgesteine der saarländischen Rockszene« bezeichnet. Der Rezensent, von Hause aus Pfälzer aus der unmittelbaren Grenzregion, muss aber gestehen, Neuland zu betreten, was diese Urgesteine betrifft.
Wenn man nach The Art Of Schwanengesang sucht, wird man, wie bereits gesagt, nur sehr schwach fündig, aber alle Musiker sind zu finden und deren Vitae sind sehr aussagekräftig.
Sicher ist Sänger und Basser Piet Eifel an erster Stelle zu nennen, der 1990 mit dem Saarlouiser Gitarristen Thomas Schmidt Art Of Schwanengesang (TAOS) gegründet hat. An den Drums saßen im Lauf der Zeit Norbert Küntzer sowie Amby Schillo. Aktuell besteht die Band neben Piet nur noch aus dem Drummer Bernd Wegener. Wobei Bernd als Drummer zu bezeichnen sehr untertrieben ist, denn der Mann ist ein Klangkünstler, dessen Fähigkeiten und Spielart weit über das rhythmische 'Begleiten' hinausreichen. Neben TAOS Klang-Performances gibt es Solo-Klangvorführungen und regelrechte Klang- und Lichtinstallationen mit allerlei Gerätschaften. Andere Projekte in denen er zu finden ist, sind z. B. Fliegen und Surfen oder Orlando & Die Unerlösten.
Piet, den man »zu den besten Sängern der Region« zählt ist seit Mitte 1970 als Musiker unterwegs und vielen Saarländern dürften Name wie Farewell, Highway Control, Kater Carlos Chaos Combo, Sprühfix, Marx Rootschilt Tillermann, Frankenstein oder Dreist geläufig sein. Heute ist er außer bei TAOS auch Member bei The Retronaut.
Vielleicht weiß der saarländische Teil der RockTimes-Redaktion da noch etwas mehr …
Nun aber zur EP "Joan’s Revenge", meinen Recherchen nach der dritte Output nach "AOR" und "Songs Pour Juanita". Das Duo wusste wohl, dass für die gewählten Stücke dieses Albums Verstärkung keine schlechte Idee wäre, sodass drei Gastmusiker in das Line-up geholt wurden. An der Gitarre ist das Wegeners Bandmate von Fliegen und Surfen, Frank Prost. Marcel Sude, auch Produzent und Toningenieur der Scheibe, bedient die Tasten und für das jazzige "Nature Boy" hat sich seine Frau Kathrin das Saxophon umgehängt.
Los geht es mit mit einem der wohl bekanntesten Songs der Rockgeschichte, wobei ich vor jedem den Hut ziehe, der dieses Stück beim Blindhören auf Anhieb erkennt. Mit sonorer und absolut souveräner Stimme kriecht Piet in die Gehörgänge und nimmt dich auf Anhieb gefangen. Sein Bass-Spiel wirkt fast wie eine weitere, knarzende, Stimme. Bernd verstärkt das wohlige Feeling durch adäquates Spiel mit Sticks und Fellen. Die Version von TAOS hat so wenig mit den bekannten Versionen zu tun wie ein Windrad mit dem Kernfusionsreaktor unserer Sonne. Ist das Original von Joni Mitchell – für mich zumindest – schrill und kühl, die wohl bekannteste Version von Crosby, Stills, Nash & Young äußerst rockig, so gehen die beiden Protagonisten einen völlig anderen Weg. Sie nehmen Tempo heraus und spendieren dem Ganzen ein paar Säcke Gänsehaut-Samen. Tief emotional und musikalisch perfekt arrangiert wabert das Stück Richtung Großhirn und in eben diesem Organ beginnt es zu arbeiten. Man – also ich – sinniert über das, was man gerade goutiert. Aus dem Nichts flirrt Zappa für einen winzigen Moment durch den Kopf, wenn Frank seine Gitarre kurz bedient, aber irgendwie ist da der Text und auch die Melodie, die beide Assoziationen wecken. Nur an was und wen?
Dann kommt der Refrain und alles ist klar.
»We are stardust, we are golden
We are billion-year-old carbon
And we’ve got to get ourselves
Back to the garden«.
"Woodstock". Aber der genialen Version dieses Klassikers wird noch ein Schmankerl beigepackt; wie aus dem Nichts ertönt die Gitarre und spielt eine Sequenz aus Hendrix' "Third Stone From The Sun". Die Passage, die auch auf Cozy Powells Interpretation ("Dance With The Devil") zu hören ist.
Kleiner Hinweis am Rande: Wer auf Powells Drumgewitter steht, sollte sich einmal eine Band anhören, die der gemeine Rocker ansonsten eher nicht auf dem Schirm hat: Boney M. Die haben auf ihrem 15-Minüter "Nightflight To Venus/Rasputin" Powells Solo auch ganz lecker verarbeitet;
Wenn nicht gerade ein CSN&Y-Abend ansteht, wird mein "Woodstock" in Zukunft wohl im Saarland liegen.
Bei "La Venegance De Jeanne" handelt es sich um den Text des mittelalterlichen Chansons "L’homme armé", dem man den Albumtitel in französischer Sprache als Tracknamen verpasst hat. Into und Outro sind wohl Wegeners Klangkollagen geschuldet, denn da wird fast experimentell mit allerlei Zutaten 'gespielt', bis dann Piet das Mikro nimmt und monoton, ja fast hypnotisch den Text rezitiert. Das erinnert mich etwas an Jacques Dutroncs "Mini Mini" – natürlich in der Electric Family–Version. Diese Nummer, die einen erstmal aus dem "Woodstock"-Feeling reißt, gewinnt mit den Minuten und wenn man sich das live vorstellt (diesen hypnotischen Jam kann man fast endlos spielen), muss da die sprichwörtliche Post abgehen. Marcel steuert Elektronisches bei und in Verbindung mit dem harten Bass sowie der abgestimmten Perucssion ist das schon fast Underground.
Der "Nature Boy" ist im Gegensatz zu "Woodstock" etwas schneller zu identifizieren. Geschrieben von Eden Ahbez – und vielleicht sogar das erste sogenannte One Hit-Wonder – wurde es 1947 durch Nat King Cole bekannt und im weiteren Verlauf zu einem Standard-Song des Jazz. Ella Fitzgerald, Miles Davis, John Coltrane, Frank Sinatra, Marvin Gaye, James Brown, Nils Landgren oder auch Nick Cave, Cher, Leonard Nimoy, Demis Roussos, Grace Slick und Lady Gaga bedienten sich neben vielen weiteren Künstlern an diesem Song; und George Benson sowie David Bowie. Die Benson-Version ist übrigens eines meiner Lieblingsstücke des Musikers. The Art Of Schwanengesang lehnen ihre Version allerdings an Bowie an. Tempo und Ausdruck gemahnen sehr an David und die sängerische Klasse Eifels wird auch dadurch bestätigt, dass er wie Bowie klingen kann, stimmlich, als auch im Ausdruck. Eine ganz tolle Interpretation. Perfekt eingeflochten ist die Saxofonpassage von Kathrin, die angenehm mit den dicken Saiten korrelieren.
Die musikalische Bandbreite der Saarländer ist allerdings noch nicht erschöpft, denn mit "Fischerweise" kommt nun ein fast 200 Jahre altes Stück des Komponisten Franz Schubert und da kan man nun in der Tat von Underground sprechen. Knallhartes Bass-Spiel zum alten Text rotzt und knarzt rauf und runter und wäre es von der Natur gegeben, dass auch Instrumente …, dann würde hier ein Saitenorgasmus dem anderen folgen. Dazu hämmert unbeirrbar die Perucssion und ja, in Verbindung mit dem 'Fischer, der mit seinem Liede zu früher Stunde die gold’ne Sonne wachruft', ist das eine brachial brutale Hausnummer.
Albumtitel sowie das Coverbild lassen erkennen, dass Jeanne d’Arc aka die Jungfrau von Orleans, ihres Zeichens französische Nationalheldin, thematisch präsent ist. So lag es wohl nahe, dass Cohens "Joan Of Arc" den Weg in die Trackliste gefunden hat. Wo Cohen die Saiten zupft und streichelt, geht Piets Stimme mit den Saiten seines Basses eine Symbiose ein. Wer auf tiefe Frequenzen steht und eine gescheite Anlage bzw. Kopfhörer hat, sollte mal auf Rechtsanschlag gehen. Ein Genuss, dem Duett aus Vocals und Saitengeflimmer zu lauschen. Im Hintergrund tickt die Perucssion unbeirrbar und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Die Tiefe des Originals wird zu jeder Zeit erreicht und in Verbindung mit den Lyrics berührt das Stück ungemein.
Hält sich Piet anfangs noch an das stoische »La-la-la-la…«, so steigert er sich aus dem Blauen heraus in gekonnten Falsettgesang und beweist erneut seine stimmliche Qualität.
Mein lieber Jolli, jetzt hann ich fast die Flemm (um einmal die Sprache der Musiker zu benutzen), weil die EP mit ihren fünf Tracks schon zu Ende ist. Danke Falk, dass du mir diese Band vorgestellt hast. Die Platte bleibt in der Nähe meines Players.
Line-up The Art Of Schwanengesang:
Piet Eifel (vocals, bass, guitar)
Bernd Wegener (drums)
Guests:
Marcel Sude (vocoder – #2, string player – #2, piano – #5)
Kathrin Sude (tenor saxophone – #3)
Frank Post (guitar – #5)
Tracklist "Joan’s Revenge":
- Woodstock (6:01)
- La Venegance De Jeanne (8:53)
- Nature Boy (4:38)
- Fischerweise (3:11)
- Joan Of Arc (8:56)
Gesamtspielzeit: 31:39, Erscheinungsjahr: 2020
1 Kommentar
Bernd Wegener
9. August 2022 um 15:00 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Lieber Ulli Heiser,
herzlichen Dank für diese sachverständige und sehr freundliche Kritik, freut uns sehr!
Beste Grüße von Bernd Wegener und Piet Eifel