The Band war im Jahr 1968 scheinbar wie aus dem Nichts in der Musik-Szene aufgetaucht und wirbelte diese mit dem Debütalbum "Music From Big Pink" gewaltig durcheinander. Sehr bald – auch weil erst mal keine Tour zur Platte folgte – rankten sich Geschichten und Gerüchte um die ’seltsamen Hinterwäldler', wie sie damals in Musik-Zeitschriften auch schon mal bezeichnet wurden. Dem grandiosen Erstwerk folgte mit der gleichnamigen zweiten Scheibe der nächste Hammer und die Mysterien häuften sich. Unter anderem auch durch den ersten großen Auftritt der Gruppe im New Yorker Fillmore East, den der Gitarrist Robbie Robertson (der kurz zuvor einen körperlichen und psychischen Zusammenbruch erlitten hatte) nur unter Hypnose absolvieren konnte. Dabei waren die vier Kanadier und der US-Amerikaner (Levon Helm) gar nicht so geheimnisvoll und hatten schon viele harte Jahre und Bühnenschlachten unter dem Namen The Hawks für Ronnie Hawkins sowie Bob Dylan absolviert.
Nach dem ebenfalls noch sehr erfolgreichen dritten Album, Stage Fright (1970), sollte jedoch alles nicht mehr so sein, wie davor. Denn einerseits strebte der Hauptsongwriter und Gitarrist Robbie Robertson eine Veränderung im Sound an, andererseits – und deutlich verheerender – schien die bisher so unzertrennliche Gemeinschaft (was wohl mit dem Albumtitel "Cahoots" – in 'Cahoots' sein bedeutet in etwa soviel wie 'unter einer Decke stecken' – noch einmal herauf beschworen werden sollte) am Auseinanderbrechen. Neben dem 'ewigen Sorgenkind' Richard Manuel hatten sich mittlerweile auch Rick Danko und Levon Helm harten Drogen hingegeben, was einen scheinbar unverrückbaren Keil zwischen sie und Robertson trieb. Dazu kamen innere Streitigkeiten darüber, dass fast die kompletten Songwriting Credits an den Gitarristen gingen. Um es anders zu sagen, taumelte der Team Spirit – zumindest wenn man den veröffentlichten Büchern über The Band glauben schenken mag – während der Aufnahmen zur neuen Platte zwischen stark angeschlagen bis gar nicht mehr vorhanden.
Dass "Cahoots" bis heute ein eher zwiegespaltenes Verhältnis unter den Fans besitzt, begründet sich zum Einen durch den bereits angesprochenen neuen und letzten Endes glatteren, ’saubereren' Sound der Platte. Songs mit mehreren Lead-Sängern sind nach wie vor vorhanden, dennoch lassen diese hier das 'geniale Chaos', die Spontanität und wilde Rohheit der (zumindest) ersten beiden Scheiben vermissen. Zum Zweiten ist das Songwriting – nach einer eigentlich blitzsauberen damaligen ersten LP-Seite – in der zweiten Halbzeit nicht mehr ganz so zwingend, wie noch zuvor. Bei Tracks wie beispielsweise "Shoot Out In Chinatown", "Smoke Signal" oder "Thinkin' Out Loud" wartet der Hörer vergebens auf den entscheidenden Kick. "Volcano" gefällt durch starke Strophen, die dann jedoch durch einen, sagen wir mal, etwas einfallslosen Refrain wieder runtergerissen werden. Und "River Hymn" glänzt zwar durch eine starke Performance, leidet jedoch unter dem vorhersehbaren Songwriting.
Es ist ab beileibe nicht alles schlecht auf "Cahoots" und bei den gerade kritisierten Punkten handelt es sich eigentlich auch schon fast um Jammern auf hohem Niveau. Wenden wir uns also mal den Stärken der Scheibe zu. Das Unternehmen beginnt mit dem ungewohnten, dafür aber ungeheuer spritzigen und funkigen "Life Is A Carnival", das mit verstärktem Saxofon und den Co-Lead Vocals von Helm und Danko mitreisst. Dass Richard Manuel ein außergewöhnlich Sänger war, stellt er auf dieser Platte erstmals eindrucksvoll bei "Last Of The Blacksmiths" unter Beweis und legt später unter anderem mit "The Moon Struck One" nochmal bärenstark nach.
Während der Aufnahmen war der damals ebenfalls in Woodstock lebende Van Morrison (der später in der Nacht von Manuel beim Ausparken fast überfahren wurde) für einen Abend zu Gast, mit dem der spontane Song "4% Pantomime" entstand. Kompositorisch keine Höchstleistung, dient dieser vor allem zur Untermalung des – zugegebenermaßen – starken Duetts des Nordiren mit Richard Manuel. Und last but not least ist da der supergeile Dylan-Song "When I Paint My Masterpiece", der der Platte doch einen gewaltigen Schub nach vorne gibt. Bei den Bonus Tracks glänzen die Outtakes "Don’t Do It" (Jahre später auf der Abschieds-Platte The Last Waltz erschienen) sowie der heimliche Hit "Endless Highway" (erstmals auf der Dylan-/The Band-Live-Scheibe Before The Flood veröffentlicht) und man kann sich eigentlich nur über Songauswahl des fertigen "Cahoots" wundern. Hätte man die beiden letztgenannten Tracks (oder sogar auch noch das weitere Outtake "Bessie Smith") mit drauf genommen und beispielsweise "Thinkin' Out Loud", "Smoke Signal" oder "Shoot Out In Chinatown" weggelassen, wäre das Gesamtergebnis deutlich besser ausgefallen.
Nachdem "Music From Big Pink" sowie "Stage Fright" einen Gold- und "The Band" sogar Platin-Status eingespielt hatten, ging "Cahoots" leer aus. Solche Verkaufszahlen müssen zwar nicht immer etwas über die Qualität einer Platte sagen, sie sprechen zwischen den Zeilen aber dennoch eine deutliche Sprache.
Der zweite Silberling enthält Ausschnitte eines Auftritts aus dem Pariser Olympia Theatre aus dem Mai 1971. Es war die erste Europa-Tour, seitdem das Quintett als Begleitband von Bob Dylan noch fünf Jahre zuvor Abend für Abend ausgebuht wurde. Nicht wegen dessen musikalischer Qualität wohlgemerkt, sondern vielmehr weil das Publikum damals nicht akzeptieren wollte, dass der ehemalige Folk-Musiker Dylan sich plötzlich von einer elektrischen Band unterstützen ließ. Da "Cahoots" erst etwa ein halbes Jahr später erschien, befinden sich hier ’nur' Tracks aus den ersten drei Alben, dafür reihen sich die Klassiker wie "The Night They Drove Old Dixie Down", "Across The Great Divide", "Chest Fever", "Rag Mama Rag" oder "The W.S. Walcott Medicine Show" (um nur mal die bekanntesten zu nennen) nahtlos aneinander. Hinzu kommen mit "Lovin' You Is Sweeter Than Ever", (The Four Tops, geschrieben von Stevie Wonder) sowie "Slippin' And Slidin'" (Little Richard) zwei sehr starke Coversongs.
The Band war an jenem Abend des 25. Mai 1971 jedenfalls allerbestens in Form. Der insgesamt starke Sound hat ein paar kleine Schwankungen, die von sehr gut über gut bis zu einer schrecklich verzerrten Violine am Anfang von "Rag Mama Rag" mäandern. Definitiv ein sehr willkommener Bonus und eine super Ergänzung. Abschließend findet man auf dieser Doppel-CD-Ausgabe noch die Instrumental-Versionen von "Life Is A Carnival" sowie "Volcano" und letzten Endes einen coolen ’stripped down mix' von "Thinkin' Out Loud".
Bleibt final nur noch fest zu stellen, dass – selbst wenn dieses vierte Album aus den weiter oben beschriebenen Gründen nicht mehr ganz so stark war wie die ersten drei Werke – "Cahoots" in dieser Neuauflage nach wie vor ein Muss für jeden Roots Rock-Fans sein sollte. Im Januar 2022 wird übrigens noch die 'Super Deluxe Edition' erscheinen, die aus 2CDs + Blu-ray + 2LPs + einer 7″ Vinyl Box bestehen soll.
Line-up The Band – CD 1:
Richard Manuel (piano, drums, background vocals, lead vocals – #3,5-7,14,16)
Levon Helm (drums, mandolin, guitar, background vocals, lead vocals – #1,2,4,6,9,11,13,15)
Rick Danko (bass, background vocals, lead vocals – #1,4,6,8,10,12,15)
Robbie Robertson (guitars)
Garth Hudson (organ, saxophone, accordion)
With:
Allen Toussaint (horns – CD 1 – #1)
Van Morrison (lead vocals – CD 1 -#5,14)
Tracklist "Cahoots – 50th Anniversary Edition":
- Life Is A Carnival
- When I Paint My Masterpiece
- Last Of The Blacksmiths
- Where Do We Go From Here?
- 4% Pantomime
- Shoot Out In Chinatown
- The Moon Struck One
- Thinkin' Out Loud
- Smoke Signal
- Volcano
- River Hymn
- Endless Highway (early studio take, 2021 mix)
- When I Paint My Masterpiece (alternate take, 2021 mix)
- 4% Pantomime (takes 1 & 2)
- Don’t Do It (outtake, 2021 mix)
- Bessie Smith (outtake)
- The W.S. Walcott Medicine Show
- We Can Talk
- Loving You Is Sweeter Than Ever
- The Night They Drove Old Dixie Down
- Across The Great Divide
- The Unfaithful Servant
- Don’t Do It
- The Genetic Method
- Chest Fever
- Rag Mama Rag
- Slippin' And Slidin'
- Life Is A Carnival (instrumental)
- Volcano (instrumental)
- Thinkin' Out Loud (stripped down mix)
Gesamtspielzeit: 66:18 (CD 1), 60:25 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2021 (1971)
3 Kommentare
Manni
3. Januar 2022 um 16:56 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Markus,
kleine Korrektur: "Don’t Do It" ist nicht auf "The Last Waltz" erschienen, weder auf der 1978er 3-LP Version noch auf der von dir verlinkten 40th Anniversary Edition. Als Studio Outtake hätte er auch nicht dazu gepasst.
Der Song wurde 1972 als A-Seite einer Single herausgebracht (B-Seite war "Rag Mama Rag") Eine hervorragende Live-Version war auch erstmals im gleichen Jahr zu hören, nämlich auf dem Doppelalbum "Rock Of Ages" (ein exquisites Liveset, mitgeschnitten an Silvester 1971 in NYC)
Manni
3. Januar 2022 um 17:04 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Oh, Discogs sagt mir, dass ich mich korrigieren muss: Auf der A-Seite der Single ist eine von 5:00 auf 3:30 gekürzte Version vom "Rock Of Ages" Livealbum.
Dann hörte man den Studiotrack wohl erstmals auf "The Best Of The Band" aus 1976.
Markus Kerren
3. Januar 2022 um 17:11 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Manni,
aah ja, bzgl. "Don’t Do It" hab ich mich offensichtlich von meiner 4CD-Box von "The Last Waltz" (Rhino Records) aus dem Jahr 2002 in die Irre führen lassen, da ist die Nummer nämlich (wie auch im Konzertfilm) enthalten.
Und ja: "Rock Of Ages", das Silvester-Konzert 1971, bevor Robbie Robertson die Aktivitäten der Combo für ein ganzes Jahr auf Eis legte, weil er Angst hatte, dass (speziell) Richard Manuel bei gleich bleibendem Arbeitspensum das Jahr 1972 nicht überleben würde 🙂
Danke für die Ergänzung,
Markus