Die Beatles wurden im Jahr 1967 nicht nur geschäftlich, sondern auch persönlich sehr schwer von dem überraschenden Tod ihres Managers Brian Epstein getroffen. Ob dieser Schicksalsschlag tatsächlich auch für die stärkere Hinwendung in Richtung eines indischen Gurus verantwortlich war, sei mal dahingestellt. Fakt ist jedoch, dass sich die komplette Band inklusive Gefolge Anfang 1968 nach Indien zu eben jenem Guru begab, um einerseits mal ein bisschen abzutauchen und andererseits wieder zur Ruhe zu kommen. Was als gute Idee begann, entwickelte sich allerdings bereits kurze Zeit später als eher nicht ganz so geglückte Aktion. Ringo Starr reiste bereits zwei Wochen später wieder ab, weil ihm angeblich das Essen nicht schmeckte und auch Paul McCartney hielt es lediglich zwei weitere Wochen aus. Der einzige, der die Zeit in Indien wirklich genoss war George Harrison, aber immerhin blieb John Lennon (der als Grund für seine Abreise anschließend sexuelle Übergriffe des Gurus auf das Schöne Geschlecht unter seinen europäischen Gästen dafür verantwortlich machte) ebenfalls bis April, bevor auch diese beiden sich auf den Rückweg machten. Und alles andere mal außen vor gelassen, war während dieses Trips immerhin das Songwriting sehr ergiebig gewesen.
Die Aufnahmen zum inoffiziell sogenannten 'White Album' erstreckten sich über einen Zeitraum von viereinhalb Monaten. Zumeist war man wieder in den Abbey Road Studios am werkeln, während ein paar wenige Nummern (u. a. "Dear Prudence") in den sich damals ebenfalls in London befindlichen Trident Studios aufgenommen wurden. Die Stimmung innerhalb der Band war nicht sehr gut und speziell Lennon und McCartney hatten Probleme miteinander. Im August kam es sogar so weit, dass Ringo Starr die Band verließ, was sich kurze Zeit später jedoch wieder rückgängig machen ließ. Und musikalisch? Selbstverständlich findet sich auch auf dieser Doppel-LP wieder grandioses Material in Form von beispielsweise "Helter Skelter", "Back In The U.S.S.R.", "Happiness Is A Warm Gun", "Yer Blues", "While My Guitar Gently Weeps" und weiteren, es sind jedoch auch erstaunlich viele Tracks vertreten, die dieses Level nicht halten konnten und können.
Da ist mit "Don’t Pass Me By" der erste (auf einem Beatles-Album) von Ringo selbst komponierte Track irgendwo auf der zweiten LP-Seite versteckt, der als… naja, gerade eben als Ringo-Song durchgeht. Das zweite von dem Drummer gesungene Stück ist das abschließende "Good Night", aber… meine Güte, was war das denn? Irgendwie hat man hier das Gefühl, sich in einem Dean Martin– oder Frank Sinatra-Titel der späten Fünfziger zu befinden und kann sich eines befremdenden Gefühls nicht wirklich erwehren. Von den vier hier vertretenen Harrsion-Nummern fällt das vielleicht noch als interessant zu bezeichnende "Long, Long, Long" ziemlich ab und ein Track wie "Why Don’t We Do It In The Road" gehört ganz sicher auch nicht zu McCartneys stärksten. "Ob-La-Di, Ob-La-Da" ist trotz seines Erfolges ein eher belangloses Pop-Konstrukt und bei der ca. achteinhalbminütigen Klang-Collage "Revolution 9" kam der Lennon/Ono-Hang zur Avantgarde deutlich durch.
Ohne dieses Thema hier erneut breittreten zu wollen, kam ein nicht unerheblicher Teil der Spannungen im Studio auch deshalb zustande, weil Yoko Ono bei jeder Session anwesend war. Bis dahin war es nämlich ein ungeschriebenes Gesetz der Liverpooler, dass Lebenspartner im Studio während der Arbeit nichts zu suchen hatten. Die miese Stimmung zog sich noch etwa 18 Monate durch und das Ende dieser Geschichte dürfte weitläufig bekannt sein. Meine persönliche Wiederentdeckung auf diesem Werk ist neben den vielen bekannten Tracks der Titel "Dear Prudence", der zur Zeit auf meiner Favoritenliste ganz oben steht. Es gibt also viel Licht, allerdings auch Schatten zu vermelden und ich tendiere deutlich zu der Meinung des Produzenten George Martin, der der Band dringend davon abriet eine Doppel-LP zu veröffentlichen und lieber die besten Tracks auf einer einzigen Vinyl-Scheibe unters Volk zu bringen.
Auf der mir vorliegenden 3 CD-Variante dieser Wiederveröffentlichung befinden sich auf dem dritten Silberling insgesamt 27 Demo-Songs, die die Beatles nach ihrer Rückkehr aus Indien in George Harrisons Haus in England (Esher) aufnahmen. Hier angekommen wird es dann so richtig interessant, da man einfach mal nachvollziehen kann, wie sich viele der heute weltweit abgefeierten Stücke in ihrer ganz frühen Form angehört haben. Festgehalten sind beispielsweise auch die Tracks "Mean Mr. Mustard" sowie "Polythene Pam", die offiziell in ihrer 'fertigen' Form im Folgejahr auf dem Album "Abbey Road" erschienen und dann ist da auch das hier als "Child Of Nature" aufgeführte Stück, das Lennon später zu der Nummer "Jealous Guy" umschrieb und auf seinem zweiten Soloalbum Imagine veröffentlichte.
Ein sehr interessantes Album also, das zu seinem fünfzigsten Geburtstag mit hochinteressantem Bonus-Material angereichert wurde. Trotz ein paar Schwächen also eine ganz feine Sache für (unter) den Weihnachtsbaum und auch danach.
Line-up The Beatles:
George Harrison (lead, harmony & background vocals, lead, rhythm, acoustic and bass guitars, Hammond organ, additional drums & percussion)
John Lennon (lead, harmony & background vocals, acoustic, lead, rhythm and bass guitars, piano, Hammond organ, harmonium, mellotron, harmonica, tenor saxophone, additional drums & percussion)
Paul McCartney (lead, harmony & background vocals, bass, acoustic, lead & rhythm guitars, acoustic & electric pianos, Hammond organ, percussion, drums, recorder, flugelhorn)
Ringo Starr (drums & percussion, piano, lead & background vocals)
Eric Clapton (lead guitar)
Mal Evans (trumpet, handclaps, background vocals)
Jack Fallon (violin)
Pattie Harrion (background vocals)
Jackie Lomax (handclaps, background vocals)
Yoko Ono (lead & backing vocals)
Maureen Starkey (background vocals)
Ted Barker (trombone)
Leon Calvert (trumpet, flugelhorn)
Henry Datyner (violin)
Eric Bowie, Norman Lederman (violin)
Ronald Thomas (violin)
Bernard Miller (cello)
Dennis McConnell (cello)
Lou Soufier (cello)
Les Maddox (violin)
Reginald Kilby (cello)
Eldon Fox (cello)
Frederick Alexander (cello)
Harry Klein (saxophone)
Dennis Walton (saxophone)
Ronald Chamberlain (saxophone)
Jim Chest (saxophone)
Rex Morris (saxophone)
Raymond Newman (clarinet)
David Smith (clarinet)
Art Ellefson (tenor sax)
Danny Moss (tenor sax)
Derek Collins (tenor sax)
Ronnie Ross (baritone sax)
Bernard George (baritone sax)
Alf Reece ( tuba)
The Mike Sammes Singers (background vocals)
Stanley Reynolds (trumpet)
Ronnie Hughes (trumpet)
Chris Shepard (stumpf fiddle)
Tony Tunstall (french horn)
John Underwood and
Keith Cummings (viola)
Leo Birnbaum (viola)
Henry Myerscough (viola)
Tracklist "The Beatles":
- Back In The U.S.S.R.
- Dear Prudence
- Glass Onion
- Ob-La-Di, Ob-La-Da
- Wild Honey Pie
- The Continuing Story Of Bungalow Bill
- While My Guitar Gently Weeps
- Happiness Is A Warm Gun
- Martha My Dear
- I’m So Tired
- Blackbird
- Piggies
- Rocky Raccoon
- Don’t Pass Me By
- Why Don’t We Do It In The Road
- I Will
- Julia
CD 2:
- Birthday
- Yer Blues
- Mother Nature’s Son
- Everybody’s Got Something To Hide Except Me And My Monkey
- Sexy Sadie
- Helter Skelter
- Long, Long, Long
- Revolution 1
- Honey Pie
- Savoy Truffle
- Cry Baby Cry
- Revolution 9
- Good Night
CD 3 (Esher Demos):
- Back In The U.S.S.R
- Dear Prudence
- Glass Onion
- Ob-La-Di, Ob-La-Da
- The Continuing Story Of Bungalow Bill
- While My Guitar Gently Weeps
- Happiness Is A Warm Gun
- I’m So Tired
- Blackbird
- Piggies
- Rocky Raccoon
- Julia
- Yer Blues
- Mother Nature’s Son
- Everybody’s Got Something To Hide Except Me And My Monkey
- Sexy Sadie
- Revolution
- Honey Pie
- Cry Baby Cry
- Sour Milk Sea
- Junk
- Child Of Nature
- Circles
- Mean Mr. Mustard
- Polythene Pam
- Not Guilty
- What’s The New Mary Jane
Gesamtspielzeit: 46:30 (CD 1), 47:21 (CD 2), 75:22 (CD 3), Erscheinungsjahr: 2018 (1968)
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