Retter des Rock’n’Roll und das Ding mit den Klamotten
Der Kleiderschrank quillt über. Oh nein, hier ist nicht von einer jungen Mode-Influencerin die Rede, deren Traum ein Episodenengagement auf dem Traumschiff ist, sondern einem inzwischen schlohweißen älteren Herren, der im Laufe der Jahrzehnte seiner Live-Konzert-Leidenschaft unzählige Tour-Shirts gesammelt hat, die mittlerweile alle Platzkapazitäten sprengen.
Wann fing dieser – nebenbei bemerkt auch sehr teure – Irrsinn eigentlich an?
Es war am 31.08.1991 im Hannoveraner Niedersachsenstadion.
'Monsters Of Rock' hatte so viele Karten verkauft, dass vom ursprünglichen Veranstaltungsort in Oldenburg ins große Stadion umgezogen wurde. AC/DC und der damals durch MTV entfachte "Thunderstruck"-Wahn zeigte Wirkung, zusätzlich standen Metallica, Mötley Crue, QUEENSRŸCHE und die Black Crowes auf dem Billing.
Letztere hatten damals meine Aufmerksamkeit durch ihr Debütalbum "Shake Your Moneymaker" erregt, welches natürlich musikalisch am 'Kuttenträgerhorizont' weit vorbei zielte. Und so eröffnete die hippieske Truppe schräger Vögel rund um den spindeldürren Sänger Chris Robinson am frühen Nachmittag quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit/jeglichen Interesses und sie verkauften im Anschluss genau ein einziges Tourshirt:
Knapp 33 Jahre und 333 Tourshirts später sind die schwarzen Krähen für drei Konzerte wieder im Lande, um ihr erstes Studioalbum nach geschlagenen 15 Jahren zu promoten.
Dabei sind sie genau gegenüber der großen Uber-Arena (Zuschauerkapazität 17.000) untergebracht, in welcher an diesem frühen Abend die 21jährige Gen-Z-Frontfrau Olivia Rodrigo vor restlos ausverkauftem Haus residiert und laut der Stuttgarter Zeitung »nebenbei auch den Rock’n’Roll für die Generation Z« rettet. Dabei fügt es sich gut, dass ihre Anhängerschaft fast ausnahmslos aus sehr jungen weiblichen Teenagern samt begleitender Erziehungsberechtigter besteht und der Beginn ihrer Show auf 19:30 Uhr terminiert ist. So schlendern die meist älteren Herren in T-Shirts mit kiffenden Krähen unbehelligt zum Eingang der Uber Eats Music Hall und freuen sich über einen raschen Einlass, um etwas später auf einer Abendsonne gefluteten Dachterrasse mit Blick auf den heutigen Teen-Tempel überteuertes Bier aus dem Sauerland zu schlürfen.
Überpünktlich um 19:56 Uhr beendet der Support-Act Jim Jones All Stars abrupt die sonnige Idylle, um fortan garagigen Punk-Soul-Rock’n’Roll in die Dunkelheit der sich langsam füllenden Halle zu knallen. Jim Jones war bereits 1991 mit seiner damaligen Combo Thee Hypnotics Anheizer beim UK-Teil der ersten vollständigen Europa-Tour der Krähen und mischt auch diesmal den Laden veritabel auf. Dabei sorgen zwei Saxophonisten für zusätzlichen Druck, der nach einer guten halben Stunde ein durchaus begeistertes Publikum hinterlässt.
Und dann kommen die Retter des Rock’n’Rolls für die Generation X, eine Band, für die der Begriff Retro-Rock erfunden wurde, eine Band, die dem Duktus der 1960er/1970er-Jahre Classic-Rock-Koryphäen wie den Rolling Stones, Faces, Mott The Hoople oder Humble Pie eine gehörige Portion Südstaatensoul, Gospel und Country hinzufügte, um spätestens seit der Jahrtausendwende selbst zum größten Einfluss aller praktizierenden Retro-/Classicrockbands zu werden.
In guter Tradition lebte und lebt diese Formation von zwei egozerfressenden Charakter- und Kreativköpfen, deren Zwistigkeiten einer kontinuierlichen Karriere im Wege standen und stehen. Denn wer will schon voraussagen, ob der derzeitigen Reunion seit 2019 eine längere Zukunft beschieden ist?
Im Hier und Jetzt gilt es aber das Erscheinen ihres Comeback-Studioalbums abzufeiern.
Eine imposante Bühne zwischen Variété- und Zirkusfeeling mit bunt zusammengewürfelten Vintage-Amptürmen, hoch erhobenem Schlagzeugpodest, rechts daneben einer gewaltigen Orgel, links daneben zwei Backgroundsängerinnen und im Parterre auf der linken Seite einem schelmisch lächelnden Chuck Berry mit Neu-Gitarrist Nico Bereciartua davor, rechts neben ihm der seit 1997 am Tieftöner tätige Sven Pipien, auf der rechten Seite Bandgründer und Gitarrist Rich Robinson und in der Mitte – direkt vor einem riesigen Schminkspiegel – schließlich sein Partner in Crime und älterer Bruder Chris Robinson … das alles zusammen bildet den Rahmen einer Rock’n’Roll-Sause für ältere Semester, die alle ohne Kutte unterwegs sind, was noch nachträglich das Desinteresse 33 Jahre zuvor erklärt, als Kuttenträger selbstredend in der deutlichen Mehrheit waren.
Die schwarzen Krähen steigen gleich mit zwei Stücken von Happiness Bastards ein und es werden schließlich deren sechs sein, die sich in der Setlist wiederfinden. Diese besteht aus einem feststehenden Gerüst von neun Songs, acht wiederum variieren von Gig zu Gig, womit sich die Band ein Stück weit ihre ursprüngliche Unberechenbarkeit bewahrt. Ansonsten ist von ihrer Jam-Attitüde der mittleren Phase kaum noch etwas übrig und kommt lediglich bei "Thorn In My Pride" zum Tragen. Hier glänzt Chris Robinson prompt an der Harp und selbiges darf auch Nico Bereciartua an den Saiten, der an dieser Stelle explizit herausstellen kann, eine andere Tonalität im Vergleich zu Rich Robinson einzubringen. Letzterer agiert gewohnt souverän aber in seinem Gestus arg zurückhaltend und streift gerne mal das Röhrchen über den Finger.
Insgesamt regiert genau die konzentrierte Kompaktheit, die auch das neue Album auszeichnet, so dass keine Nummer, außer das besagte "Thorn In My Pride", die Fünf-Minuten-Grenze überschreiten dürfte. Und so fliegt der Abend dahin, Publikumsfavoriten wie "Twice As Hard" (1990), "Hard To Handle" (1990) mit tatkräftiger Unterstützung der beiden Jim-Jones-Saxophonisten, "Jealous Again" (1990) oder "Remedy" (1992) werden nicht nur am lautesten abgefeiert, sondern zeigen in ihrem Wiedererkennungswert auch auf, dass die beiden ersten Alben der Band nicht zufällig ihre mit Abstand erfolgreichsten sind.
Fixpunkt auf der Bühne ist und bleibt der Performer Chris Robinson, nach wie vor mit einer enormen Bühnenpräsenz ausgestattet und einer Stimme, die nicht so kratzig wie Rod Stewart und nicht so mächtig wie Steve Marriott ist, aber sehr gut in Form. Die Posen zwischen Stewart und Jagger sitzen locker, wobei es nicht mehr ganz so zappelig zugeht und die Interaktion mit dem zahlreich erschienenen Publikum ist zwar vorhanden, aber ähnlich komprimiert wie das ganze Programm, welches letztlich nach knapp 90 Minuten bereits endet.
Zuvor lässt Chris Robinson für die einzige Zugabe seinen Seelenverwandten Jim Jones auf die Bühne kommen und begleitet vom Pappaufsteller Chuck Berry wird ein überaus fetziges "High School Confidential" von Jerry Lee Lewis intoniert, welches konsequenterweise auch viel zu kurz ist.
So bleibt nur noch der Gang zum Merch-Stand und die geneigte Leserin/der geneigter Leser wird es schon ahnen … irgendwie muss der Kleiderschrank ja ähnlich zur Explosion gebracht werden, wie die Black Crowes den Classic-Rock in klassischer Tatort-Länge.
Impressionen der Show:
Bildnachweis für alle Bilder des Events: © 2024 | Olaf 'Olli' Oetken | RockTimes
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