Dass The BoDeans aus Waukesha, Wisconsin hier zu Lande und eigentlich weltweit nicht über alle Maßen bekannt wurden, habe ich nie verstanden. Wer so leidenschaftlich und empathisch orientiert ist, darf doch nicht von weiten Teilen der Welt übersehen werden.
Über die Jungs mal was zu schreiben habe ich mir vorgenommen, seit ich für RockTimes tätig bin; die Band liegt mir so sehr am Herzen. Ich habe manche Nacht mit ihren Werken verbracht und meine tiefe Liebe gehört ihnen mit jeder Faser meines Seins.
Verlasse ich mich auf die Häufigkeit der Abspielungen auf meinem Player und den untrügerischen Geschmack meiner früheren Nachbarin Andrea, die prinzipiell mit Rockmusik nicht viel am Hut hatte, dann spreche ich hier über einen Hauptact in jeder Sammlung geiler Rockmusik. Monkey 3, Gov’t Mule und eben das hier vorliegende Live-Album der BoDeans sorgten dafür, dass Andrea sofort auf der Matte stand. Nein, um zu fragen, was das gerade Geiles war, was aus meinem Plattenspieler klang und nicht, um mich für die krawalligen Töne aus meiner Wohnung zu geißeln, wie ich es in meiner alten Behausung ein ums andere mal erlebt habe, wenn Hugo mich mit gefährlich hochrotem Kopf über meine von ihm so betitelte »Affenmusik« belehren wollte. Mein Kumpel Schorsch hat ihm einst in seiner Radiosendung ein paar Zeilen gewidmet, die ich hier aus strafrechtlichen Gründen nicht wortwörtlich wiedergeben werde. Verdient hatte es der alte Spießer allemal.
Mitte der Achtziger war die Band in Europa relativ populär mit einer halb akustischen Version von Musik, die man hierzulande im weiteren Sinne independent-mäßig einordnen wollte. "It’s Only Love" hatte genau diesen Drive. Ihr Touch zu American Folk war aber auch da schon zu spüren, selbst wenn manche Nummern geradezu post-punkige Beschleunigung erfuhren. Alan Banks hat ihnen mal ein paar wohlwollende Bemerkungen in seiner Radiosendung für den Rockpalast gewidmet.
Später wurde es eine Weile ruhiger um die Band und das Live-Album "Homebrewed – Live From The Pabst" hab ich damals gekauft, weil ich mich an die geilen Achtziger-Platten erinnerte. Ich wurde zutiefst überrascht von einer deutlich anderen Ausrichtung, denn neben einem Tastenspieler agierte man inzwischen mit Akkordeon und gab dem Ganzen einen deutlich folkloristischeren Anstrich als früher. Massentauglicher, rockiger Americana wäre eine annähernde Beschreibung und es dauerte eine Weile für mich, den neuen Duktus der Band zu verinnerlichen.
Aber dann geschah es, eines Nachts mit ziemlich viel Merlot. Über meinen Kopfhörer gelangte ich zum vierten Song der ersten CD, "You Don’t Get Much", und mit einem apokalyptischen Einschlag hab ich diese neue Musik plötzlich verstanden. Löst man sich von seinen Achtzigerjahre-Erfahrungen, tut sich plötzlich ein Universum auf, in dem bislang nur Bruce Springsteen wirklich abgeliefert hat. Dank ihrer Vergangenheit orientieren sich die BoDeans ein Stück straighter und aggressiver als der Boss. Und die Gitarrensoli sind keine virtuosen Erfindungen, sondern aus dem Moment und der Harmonie geborene Sternschnuppen, befeuert von einer vor Leidenschaft fast platzenden Truppe. Mit Melodik kann man vieles reißen, vor allem gute Gitarren-Sounds. Es reißt mich aus dem Sessel, der hypnotisch treibende Rhythmus macht mich völlig irre. Wie konnte ich anfangs an dieser Platte zweifeln. Eine folkig entspannte Weise empfängt mich mit Akkordeon und weckt jede Menge Erinnerungen an die Hooters, die damit live auch eine Menge Betrieb zu machen verstanden. Aber "If It Makes You" ist nur ein Übergang, denn dann ziehen wir uns zurück in den geschmeidig gebremsten Rhythmus von "Sleep", langsam auf Tour gebracht von charismatischen Vocals, die sich schon zu Beginn mit der reflektierenden E-Gitarre in Stimmung bringen. Der Spannungsbogen wird sehr subtil und mit aller Sensibilität aufgedreht, oh, »I just wanna sleep in my own bed again«. Dann kreiseln wir in wenig spektakulären, aber umso melodischeren Licks erst einmal davon. Nach einer weiteren, ganz sanft gesteigerten Strophe eskalieren die Saiten erneut und kulminieren mit dem sich selbst zerreißenden Gesang »I just wanna sleep, I just wanna sleep«. Wer sich der Intensität dieses Songs nicht entziehen möchte, steht jetzt aufrecht mit seinem Kopfhörer und starrt ungläubig auf den Verstärker.
Es ist genau das perfekte Spiel zwischen den beiden Sängern und Gitarristen Sam Llanas (der akustische Gitarrero) und Kurt Neumann (dem entsprechend der elektrische), welches den Emotionspegel so hoch hält.
Beide agieren wie unter Strom, und das haben sie schon immer, besonders in den puristischeren Sounds der Achtziger. Aber in diesen Americana orientierten Versionen bilden die Orgel und das Akkordeon einen Nährboden für Musik, wie sie aus dem Herzen der mitunter merkwürdigen Staaten zu entwachsen scheint. Authentisch, leidenschaftlich, geil.
Und wenn "Feed The Fire" angespielt wird, kommen wir zum vielleicht erfolgreichsten Song der Achtziger-Phase und Sam sowie Kurt lassen ihn auch auf dieser Scheibe krachen. Mit Folk hat das hier nichts mehr zu tun, es darf nach allen Regeln abgerockt werden.
Ihr habt eine Party am Start und wollt endlich mal wieder Rockmusik bieten? Bitteschön, hier ist die Blaupause für eine abgefahrene Stimmung, denn jetzt geht echt die Post ab. Kauft genug Bier, nach der Nummer verspürt man Durst. "Feed The Fire" hat einen Sog hinein ins Unendliche, die stimmungsvollen Breaks laden dabei nur den Akku auf. Versucht’s mal, Leute, mit der Musik werdet Ihr King Of Rock’n’Roll.
Und dann fallen wir zurück in die schönste Ballade des Albums und jeder denkt, hey, das muss doch Springsteen sein. Nee, "Once In A While" ist nichts als The BoDeans, wenn sie ihren Emotions-Trip einschlagen. Das fantastische an dieser wunderbaren Reise ist, dass man gar nicht anders kann, als auf diesen melancholischen Zug aufzuspringen. Irgendwie haben sie uns bei den Eiern: »These are days to remember…« Und die sanfte Gitarre macht den Deckel drauf. Ein Gemisch aus Begeisterung, Gänsehaut und Tränen lässt mich aus dem Lied driften. The BoDeans sind Menschenflüsterer, am Ende kriegen sie uns alle.
(An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich den Text zu diesem Review irgendwann im Sommerurlaub geschrieben und irgendwie vergessen hatte. Das Zitat des Menschenflüsterers sollte nichts anderes als eine Metapher auf den ähnlichen Titel des Robert Redford-Films sein, damals gab es diesen bescheuerten Werbespot(t) mit jenem zotteligen Bademantel-Eumel noch nicht – mein Menschenflüsterer distanziert sich aufs Maximale von diesem Sinnbild zeitgeschichtlicher Blödheit!).
Gute Sache, mag man denken und "Good Things" heißt dann auch der letzte Wohlfühlsong auf der ersten Scheibe, bei dem erstmals das Publikum richtig einsteigt und seine Textsicherheit belegt. Kurt phrasiert fast ein wenig wie The Edge von U2 und erinnert damit noch einmal daran, dass The BoDeans musikalisch auch in anderen Feldern einst gedüngt haben. Ich empfinde unglaubliche Glücksgefühle, wenn ich die zweite CD auflege, denn das, was bislang geboten wurde, kann man nur als einen musikalischen Orkan beschreiben. Aufrichtig, hoch energetisch, aber mit einem Maximum an Gefühl. Mehr davon!
Passend zur Stimmung bringt die Band im zweiten Set das wohl emotionalste Werk ihrer Geschichte, das schon auf der ersten Live-Platte alle Hüllen gesprengt hat. "Naked". Nirgendwo wird die Intensität und das perfekte Zusammenspiel zwischen Sam und Kurt besser geboten als hier, vor allem im zwischenzeitlichen Break. Wem das nicht nahe geht, merkt nichts mehr. Aber hier haben wir auch die Schweineorgel dazu und ein Solo wie einen Liebestanz. Was für eine Nummer, für eine solche allein würde ich Rock-Fan werden. Purer Wahnsinn.
Und nach einer kurzen Pause kommen sie zu dem zweiten Aufreißer, "True Devotion" vom Album "Black And White", welches ebenfalls sehr zu empfehlen ist. Wie hier mit der Unterstützung der Orgel Spannung aufgebaut wird, ist einfach unschlagbar, der empathische Gesang dazu treibt in schwer zu beschreibende Hochgefühle. Eine Nummer zwischen sanftem Songwriting und völliger Ekstase. Nennt mir Bands, die ein solches Spannungsfeld in ein paar Minuten Musik einbringen können.
Sie bremsen uns ein mit dem herzzerreißend schönen "Two Souls" und einer Gitarre, die die Weiten der Prärie, der Wüste und des Grand Canyon in sich zu vereinen scheint. "She’s A Runaway" bekommt dagegen einen rockigeren Anzug als früher und lässt unsere Nackenmuskeln agieren. Das ist aber nichts im Gegensatz zum vielleicht größten Kracher des Albums. Bei "Fadeaway" muss man sich eigentlich nur auf den Rhythmus einlassen, denn wenn die Gitarre aus dem Hafen ablegt, dann gibt es keine Schutzzonen mehr, »now we are riding the storm out«, haben REO Speedwagon mal geschrieben.
Und wie, einfach alles fallen lassen, was bremst und die Sau raus lassen, nächster Halt: Ekstase!
Die Mittel zum Erfolg können so einfach sein, wenn man sein Herz in beide Hände legt. Ich sage es noch einmal, es ist nicht ungewöhnliche Virtuosität, die hier wirkt. Es ist einzig und allein eine alles einfangende Leidenschaft und Empathie, gegen die es kein Mittel gibt. Und das ist gut so.
Momentan, und das ist auch noch einmal ein Texteinschub aus diesen Tagen, sieht es tatsächlich so aus, dass mein sehnlichster Wunsch nach der Meisterschaft für die Reds aus Liverpool in 2020 in Erfüllung gehen wird. Viele Punkte Vorsprung nach all den Spielen sind eigentlich unfassbar und auch wenn es vermessen sein sollte, beginne ich mir allmählich Gedanken zu machen, wie das denn werden wird, wenn es tatsächlich gelingt. Die Musik von The Bodeans wird mit dabei sein. Ich sehe uns alle schon tanzen: »These Are Days To Remember«…
Aber auch diejenigen, die keine Begleitumstände benötigen und einfach gradlinig ehrliche und zutiefst mitreißende Musik mögen, die einigermaßen allgemeinverständlich klingt und nicht allzu sehr kompliziert daher kommt, die werden an "Homebrewed … " von den BoDeans nicht vorbei kommen. Mehr Herz, als die fünf Jungs aus den Staaten hier auf die Bühne bringen, kann man nicht zeigen.
"Homebrewed" von The BoDeans ist eine meiner liebsten Platten, die ich natürlich ausgesprochen unkritisch sehe und die aus meiner Sicht in unserem Archiv nicht fehlen darf, es war mir ein tiefes Bedürfnis, diese wundervolle Scheibe endlich bei uns zu besprechen. Und wer Rockmusik mit unterschiedlich ausgeprägten Einflüssen aus der amerikanischen Kultur mag, wird verstehen, warum ich diese Musik so sehr liebe. Muss ich an dieser Stelle erwähnen, dass die doppelte Live-CD "Joe Dirt Car" eine noch kernigere Version der beschriebenen Songs bereitstellt? Schon mal "Say About Love" gehört? So geil, so eine abgefahrene Band…
Doch The BoDeans sind nicht die einzige unterschätzte Band aus diesem Themenkreis. Ähnlich lang wie diese Besprechung hier schweben mir The Walkabouts aus Seatle durchs Kleinhirn, auch die sind in der öffentlichen Wahrnehmung immer eher im zweiten Glied gelandet und haben doch so wahnsinnig tolle Musik gemacht. Und wer kennt Arbouretum aus der Stoner-Szene, die auch einen folkigen Background haben? Beiden muss ich demnächst mal meinen Respekt erweisen und irgendwas Altes ausgraben. Man muss ja nicht zwingend nur den Neuerscheinungen hinterher jagen.
Line-up The BoDeans:
Kurt Neumann (vocals, guitar)
Sam Llanas (vocals, guitar)
Bob Griffin (bass)
Kenny Aronoff (drums)
Bukka Allen (keyboards, accordion)
Tracklist "Homebrewed … ":
CD 1:
- Texas Ride Song
- (We Can) Live
- No One
- You Don’t Get Much
- If It Makes You
- Sleep
- Still The Night
- Feed The Fire
- Once In A While
- Good Things
CD 2:
- Naked
- 617
- Crazy
- True Devotion
- Two Souls
- She’s A Runaway
- Fadeaway
- Closer To Free
Gesamtspielzeit: 60:37 (CD 1), 42:50 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2005
2 Kommentare
Rainer Hellstern
10. Januar 2020 um 18:42 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Super, so genialer Tip. Super Live Platte
Die Love, Hope…Platte hat damals Alan Bangs in seiner Nachtshow vorgestellt.
Hab ich mir danach gleich zugelegt.
Hab dann die BoDeans wieder aus den Augen
verloren bis gerade eben obwohl ich die Platte immer wieder Mal raus gekruschtelt habe.
Danke..so eine Freude…
Rainy
Günter Lotz
5. Januar 2020 um 12:20 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für die gute Besprechung! Die Band hatte ich irgendwie aus den Augen (Ohren) verloren. Gleich mal bei einem Streamingdienst reingehört.