«

»

The Dust Coda / Mojo Skyline – CD-Review

The Dust Coda / Mojo Skyline

Eine Infusionsspritze für das Rollende im Rock

»Rock’n’Roll is dead – long live Rock’n’Roll …« was 1995 Lenny Kravitz apokalyptisch verkündete, wollten schon Rainbow 1978 nicht wahrhaben. Vordergründig musste in den vergangenen Jahren zumindest konstatiert werden, dass über die althergebrachten Publikationswege wie terrestrisches Radio (ohne Nischensender) oder 'Live'-TV (ohne Nischensendungen mitten in der Nacht) in Sachen elektrisch verstärkter Gitarrensoli tote Hose herrschte, auch wenn sich Campino und die Seinen hinsichtlich medialer Aufmerksamkeit sicherlich nicht zu beklagen brauchten. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass beispielsweise Festivals wie Hurricane, Southside, Rock am Ring, Rock im Park oder gar Wacken immer größer und damit kommerziell attraktiver wurden, sich nicht nur im Internet Spartensender bildeten, die es gerne krachen lassen, die Mediatheken der öffentlich rechtlichen Sendeanstalten für Freund*innen rockmusikalischer Klänge zunehmend Angebote bereitstellten und die Auswahl an Printmagazinen entsprechenden Inhalts eher größer denn kleiner wurde.
Somit darf etwas überraschend konstatiert werden, dass die Rockmusik lebendiger denn je ist, wobei auch ein kurzer Blick in die aktuellen Top20 der bundesdeutschen Albumcharts lohnt: Etwas großzügig ausgelegt haben dort derzeit zwölf von zwanzig Werken etwas mit Rockmusik zu tun.

Allerdings gibt es aus der Sicht des Rezensenten einen gewaltigen Haken: Es fehlt sehr überwiegend der 'Roll' im Rock! 1981 schmetterten Y&T breitbeinig »Hungry For Rock, Ready To Roll« den hungrigen Kuttenträger*innen entgegen, heutzutage ist das offenbar der klassischen Nische vorbehalten, die beispielsweise ihre Musik über Bandcamp an die Interessent*innen bringt, bei Facebook maximal vierstellige Follower-Zahlen hat und beim Streamingdienst froh sein muss, diese Vierstelligkeit bei den monatlichen Hörer*innen überhaupt zu erreichen.

Das britische Independent-Label Earache Records, welches sich in der zweiten Hälfte der 1980er und ersten Hälfte der 1990er Jahre auf die Fahne geschrieben hatte, den sogenannten 'Extreme'-Metal zu protegieren, ist seit geraumer Zeit bemüht, so eine Art 'New Wave Of Classic Rock' zu lancieren, wobei beispielsweise heutige Genre-Hochkaräter wie die Rival Sons oder Blackberry Smoke kräftig Anschub leisteten. In diesem Wind segeln ganz aktuell auch The Dust Coda, ein nicht mehr ganz taufrisches Quartett aus London, welches sich 2013 zusammenfand, 2017 sein Debütalbum veröffentlichte und nun via Earache mit "Mojo Skyline" an den Start geht.

Die PR-Abteilung weiß zu berichten, dass sie dabei »elegant klingen und dennoch genügend Punch besitzen, sie Blues und Soul in ihrer DNS haben, sie die rohe Poesie von Led Zeppelin ebenso wie die Muskelspiele von Guns N' Roses beherrschen und all das souverän ins 21. Jahrhundert hieven.« Und es ist von einer Menge 'Swagger' die Rede … und tatsächlich, für eine bis dato doch eher in Kreisen von Spezialisten (Nerds) verankerte Band mit überschaubarer Anzahl von Facebook- und Streaming-Zugriffen pustet einem bei "Mojo Skyline" die geballte Kraft prahlerischen Selbstbewusstseins in erstaunlicher Größe-Dimension entgegen. Es ist hörbar kein Zufall, dass sie bereits für Acts wie Black Stone Cherry oder The Dead Daisies die Party eröffneten.
Ihr Produzent Clint Murphy, der auch für Aufnahme und Mix verantwortlich zeichnete, verpasste dem Ganzen den dazu hervorragend passenden Vollfett-Sound, der allerdings leider – wie so häufig in den letzten gut 25 Jahren – unter gehöriger Dynamikkompression leidet.

Murphy arbeitete in der Vergangenheit u. a. auch für das britische Classic Rock-Flagschiff Thunder, welches musikalisch bei The Dust Coda hörbar seine Spuren hinterlassen hat. Der vom fünften Kontinent stammende Mikrofonakrobat John Drake hat glücklicherweise das dafür nötige Rüstzeug, um bei solchen Bezugsgrößen nicht unterzugehen. Er siedelt sich irgendwo zwischen Thunders Danny Bowes und Joshua Michael Kiszka von Greta Van Fleet an, was auch witzigerweise vom Lebensalter her passen dürfte. Und da Greta Van Fleet bei der 'New Wave Of Classic-Rock' derzeit kommerziell das Maß aller Dinge sind, finden sich konsequenterweise auf "Mojo Skyline" Passagen, die nicht nur gesanglich an die Jungspunde gemahnen. Allerdings tönt John Drake bei seiner Stimmbandquälerei deutlich geerdeter und weniger affektiert, was sich einerseits auf Albumlänge als sehr angenehm erweist und andererseits zur Musik von The Dust Coda auch wesentlich besser passt, denn in ihrer Abrechnung mit Formatradio und Mainstream-TV "They Don’t Know Rock’n’Roll" (ganz im Sinne des Rezensenten) steht nicht nur der 'Roll' im Titel, sondern hier wird auch vortrefflich Deep Purple mit Thunder vermählt … ein Fest.

Allerdings fehlt insgesamt etwas die Unverwechselbarkeit, sowohl stimmlich als auch musikalisch. Herausragend ist dagegen aus Sicht des Rezensenten ausgerechnet der Titel, der an Position vier erstmals etwas den Fuß vom Gas nimmt … "Dream Alight" lässt die blutjungen Platzhirsche Greta Van Fleet tatsächlich alt aussehen. Weitere Highlights sind das größenwahnsinnige "Rolling" (ja, ja, nomen est omen) mit allerfeinster Saitenarbeit von Adam Mackie, die beste britische Schule offenbart (Jimmy Page, Peter Green, Paul Kossoff) und der Rausschmeißer "It’s A Jam", der unverschämt infektiös groovt (Grüße an Tony Ho, bass) und des Rezensenten 'Roll' absolut formidabel auf den Punkt bringt.

Fazit: Viel Rock – wenig Roll … da machen die vier Herren von The Dust Coda nicht mit! "Mojo Skyline" hätte den Fehler begehen können, vor Kraft kaum laufen zu können. Aber Kraftkehle John Drake und die Seinen sind gewitzt genug, in ausreichender Menge schmissige Riffs, Hooks, Tempovariation, Melodiedichte, Groove und Seele in die Waagschale zu werfen. "Mojo Skyline" verdient deutlich mehr, als nur ein oberflächliches Hinhören und lässt das Pendel unzweifelhaft in Richtung "Long Live Rock’n’Roll" schwingen!


Line-up The Dust Coda:

John Drake (vocals, guitars)
Adam Mackie (guitars)
Scott Miller (drums)
Tony Ho (bass)

Guests:
Nick Nasmyth (piano & organ – #5,7,10)
Tom Pinder & Gavin Fitzjohn (horns – #5)

Tracklist "Mojo Skyline":

  1. Demon (4:16)
  2. Breakdown (3:53)
  3. Limbo Man (4:23)
  4. Dream Alight (4:43)
  5. Jimmy 2 Times (4:29)
  6. Rolling (6:11)
  7. Bourbon Pouring (4:10)
  8. I’ve Been Waiting (3:03)
  9. She’s Gone (3:54)
  10. They Don’t Know Rock’n’Roll (3:26)
  11. Best Believe It (4:26)
  12. It’s A Jam (4:39)

Gesamtspielzeit: 51:33, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Olaf 'Olli' Oetken

Beiträge im Archiv
Hauptgenres (Hard Rock, Southern Rock, Country Rock, AOR, Progressive Rock)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>