»Platte eingelegt und sofort sitzt die Familie am Tisch« schrieb ich vor zwei Jahren beim Review zu Echoes Don’t Lie, dem Vorgänger zur vorliegenden Platte. Und auch jetzt ist es wieder so, dass man quasi schon beim Lesen des Line-ups fast den Eindruck hat, die Namen von Familienmitgliedern vor sich zu haben.
Neben der Stammbesetzung, die aus Tom 'The Perc' Redecker, Rolf Kirschbaum und Harry Payuta besteht, haben wieder viele Freunde am neuen Album mitgewirkt. Musiker, die wir bereits von anderen Werken der Band und auch aus Scheiben ihrer eigenen Bands kennen. Aber es kommen immer wieder neue Musiker an den Familientisch, wie zum Beispiel Achim Färber von den Dark Wavern Projekt Pitchfork.
Apropos Familientisch: Nicht das erste Mal ist unsere Tochter just zu dem Zeitpunkt bei uns zu Besuch, wenn die Electric Family ein neues Album veröffentlicht. Und war sie beim letzten Werk hin und weg vom Jacques Dutronc-Cover "Mini Mini", so wird ihr diesjähriger Novemberbesuch wieder mit einer Family-VÖ zusammenfallen und wieder hat die Band einen Dutronc-Song im Repertoire: "La Fille Du Père Noël".
"Sticker Che" wirkt dank dem akustischen Gitarrenspiel sehr intim und minimalistisch … durch die dezent eingesetzte Elektrische, dem Mellotron sowie der sonoren Stimme Toms wird das Stück zu einem runden Wohlfühlklima, das allerdings schon traurig bzw. düster wirkt und gekonnt in die zweite Nummer übergeht, die ein typisches Element der Family-Spielweise aufweist: Stimmungsgeladenes Gitarrenspiel, melodiöser, fast dystopischer Tenor und dann die verzerrten Vocals, die als 'gull vocals' bezeichnet werden. Gull, also Möwe, und die Band beschreibt das Stück auch als eines, das »den Flug einer Möwe über einer apokalyptischen und endzeitlichen Landschaft begleitet«. Und ja, das trifft genau ins Schwarze. Dank Kopfkino ist der Hörer dabei, sofern er sich traut, an diesem apokalyptischen Ritt bzw. Flug teilzunehmen. Psycho-Doom vom Feinsten.
Dagegen poppt "Reptile" geradezu überschwenglich aus den Lautsprechern. Fast im Rock’n’Roll-Modus quirlt es dahin und da hier Harry Payuta den Gesang übernimmt, ist auch alle Düsternis verschwunden, die ansonsten alleine schon durchs Redeckers tief gestimmte Stimmbänder immer irgendwo mitschwingt. Interessant und ungewöhnlich ist, dass Harry zum flotten Roll-Rhythmus auch die Sitar schwingen lässt. Das hat was.
"Mr. Megalomaniac" wird als »vierminütige Lärmorgie« bezeichnet. Nun, schon Wilhelm Busch ging in seiner Geschichte über den 'Gärtner Knolle' auf dieses Thema ein, aber keine Angst: es donnert zwar gewaltig in die Lauscher, aber das Thema um "Batman" und "Superman" bietet großformatigen Theatherdonner, der vielleicht für die Electric Family ungewöhnlich ist, ansonsten aber viel Spaß bereitet. Vor allem, wenn man auf Drumgewitter steht. Konträr dazu schleicht sich "Alan The Arab" einer Kobra gleich aus dem Schlangenkorb. Der orientalische Touch kopuliert mit zappaesken Strukturen auf wunderbare Weise. Schräges und Angejazztes verdrängt den Orient, geiles Tastengeflirre und rhythmischer Felleinsatz lockern auf und machen das Stück zu einem herrlichen Potpourri aus musikalischen Welten, die sich ansonsten nur schwer bis gar nicht treffen. Klasse gemacht.
"News From The Echo Room" ist quasi ein Relikt aus der Echoplatte. Die Band wollte eigentlich einen Nachfolger zu "Echo Room" komponieren, verwarf den Gedanken dann aber doch und vorliegender Track ist der einzige, der eine Veröffentlichung schaffte. Flott, mit futuristischem Keyboardspiel, akzentuierter Percussion und wabernden Strukturen knüpft der Track an seinen 'Eltern' an.
"La Fille Du Père Noël": Im Vergleich mit dem Original interpretiert die Family das Stück im relativ schweren Blues Rock-Gewand, ohne dieses typisch französische Flair vermissen zu lassen. Das liegt nicht nur an den Lyrics auf französisch und auch die düster sägende Gitarre ändert daran nichts.
"Who’s Your Dream Girl" ist die wohl melodischste Nummer und lebt von einer Symbiose aus der warmen Stimme Harrys und einer unaufgeregt agierenden Rhythmussektion, die sich altbewährten Zutaten aus der Rezeptur von Interpreten wie z. B. Al Stewart bedient, auf der anderen Seite durch das Sitarspiel wieder bei der Family ist.
Ein zehnminütiger Livekracher beended "Saba". Mitgeschnitten wurde "I Love The Lighthouse" am 17. Februar 2018 im 'Das Bett' in Frankfurt. Gerade die Vielminüter sind meines Erachtens die Perlen im Repertoire der Electric Family. Wenn die Band ihre tranceartigen, psychedelischen Jams zelebriert, die Clubs in Oasen der Entspannung verwandelt, in denen trotz hypnotisierenden Klangwänden sowohl Band als auch Zuhörer schweißgebadet höchste musikaliche Vollbedienung liefern bzw. genießen.
Davon könnt ihr euch ab 17. November überzeugen, denn dann gibt es die Electric Family zusammen mit Universe By Ear endlich wieder live zu erleben.
Selbstverständlich gibt es diese Art von Musik auch auf dem edlen Medium: der Vinyplatte.
Line-up The Electric Family:
Tom 'The Perc' Redecker (vocals, guitar, acoustic guitar, synthesizer)
Rolf Kirschbaum (lead guitar, mouth harp, vocals, guitar, keyboards)
Harry Payuta (bass, sitar, vocals, guitar)
Anders Becker (organ, synthesizer, mellotron, vocals, keyboard)
Steff Ulrich (drums, vocals)
Kilian Redecker (percussion, Korean flute, synthesizer)
Jochen Schobert (guitar)
Theo von Thyssen (background vocals)
Burghard Rausch (drums)
Achim Färber (drums)
Marlon Klein (drums)
Peter Apel (bass, guitar)
Buddy Taco (drums)
Torsten Glade (drums, percussion)
Tracklist "Saba":
- Sticker Che (4:00)
- Gull Sweat (6:35)
- Reptile (3:!3)
- Mr. Megalomaniac (4:00)
- Alan The Arab (5:37)
- News From The Echo Room (5:00)
- La Fille Du Père Noël (3:51)
- Who’s Your Dream Girl (3:44)
- I Love The Lighthouse (9:42)
Gesamtspielzeit: 45:47, Erscheinungsjahr: 2022
1 Kommentar
Joe Dorner
17. November 2022 um 10:18 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Die Musik wäre sehr gut, wenn der Sänger nicht wäre. Es ist mir unbegreiflich, wie jemand mit einem derartig starkem Akzent glaubt, Englisch singen zu sollen. So schlecht war das Englisch der meisten deutschsprachigen Sänger in den 70ern … weil der Schulunterricht oft mäßig war und man mangels Internet oder englischen Freunden so gut wie nie jemanden Englisch SPRECHEN gehört hat. Komischerweise lernt man vom Musikhören nicht die englische Aussprache. Auch die alten Birth Control sind mir mit ihrem grottigen Englisch unvergessen. Anderer Sänger und E.F. wären eine tolle Band.