Da ist es (wieder): Das meiner Meinung nach absolute Meisterstück der Electric Family. Die musikalische Familie um Sireena-Labelchef Tom 'The Perc' Redecker gehört seit vielen Jahren zum erlauchten Kreis der Bands, deren Output mit Spannung und Freude in unserer Redaktion erwartet werden.
Das vorliegende Album "Tender" stammt aus dem Jahr 1999, ist die zweite Platte der Band und bis dato ihre erfolgreichste. Das wundert mich nicht, sind doch mit "In The Web" und der "Betancuria"-Suite zwei absolute, mir schon bekannte, Überflieger mit an Bord. Auf die beiden erwähnten Nummern bin ich bereits vor etwas mehr als einem Jahr gestoßen: auf der Werkschau The Long March … From Bremen To Betancuria.
Schon damals haben mich die beiden "Tender"-Stücke vom Hocker gerissen und zwar derart, dass die CD nicht ins Regal kam, sondern ihren Platz in der Küche fand, wo sie immer wieder schnell für den täglichen Ohralgenuss greifbar ist. Schon so mancher Besucher durfte sich daran erfreuen und gerade letztens war sie beim Besuch der Tochter in Dauerrotation. Ich kann meinen Eindruck vom 2018er Review nicht nur wiederholen sondern ihn auch bestätigen. Eine Melodie zum Niederknien und diese geile Gitarre gibt es gleich am Anfang. Es werden keine Gefangenen gemacht. In Verbindung mit den sonoren Vocals und dem mit der Gitarren um die Wette solierenden Saxofon sollte "In The Web" eigentlich waffenscheinpflichtig sein.
Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr … (um den alten Rainer Maria Rilke etwas zu bemühen), kommt ein weiterer Kracher daher: Der "Betancuria"-Dreiteiler. "Part One: The Conquest" stimmt in typischer Family-Manier mit Toms Vocals ein und steigert sich mit dem wieder psychedelische Rauchschwaden hinter sich herziehenden Gitarrenspiel sowie durch Evelyn Gramels betörenden Gesang. Das ist Prog Rock vom Feinsten. Und dann wieder Rilke, ihr wisst ja …
"Morro De La Cruz" heißt der zweite Teil. Angekündigt als ein Instrumental. Das passt, wenn man Neil Young nicht mitzählt. Genau, den Neil gibt es am Anfang des Stücks zu hören. Nicht als Gastsänger, sondern als eingespieltes Interview, welches Dr. Fritz Werner Haver in den 90er Jahren mit ihm führte. Danach kippt der Track in einen irre Trance-Jam vom Feinsten, der Untote zappeln lassen kann. Solange bis "Part Three: Loveflow" Evelyn Gramel wieder in den Vordergrund rückt. Was für eine Truppe is da am werkeln!
Die 'Truppe' ist auf vorliegendem Digipak auch optisch zu sehen, denn aus Anlass des zwanzigjährigen Jubiläums des Albums hat Sireena selbiges nicht einfach ’nur' neu aufgelegt, sondern eine DVD beigelegt, die die 30-minütige Dokumentation "The Making Of Tender" enthält. Diese stammt von dem Bremer Filemacher Stefan Malschowski, der die Aufnahmen zum Album mit seiner Kamera begleitete. Leider war das Original Master nicht mehr auffindbar, sodass man auf eine 1999er VHS-Cassette zurückgreifen musste. Dementsprechend ist die Qualität der DVD nicht die beste, aber sobald man die Protagonisten nicht nur akustisch sondern auch optisch erleben kann, ist das Thema der Qualität gegessen. Toll ist es z. B., die beiden Drummer zusammen in Aktion zu sehen
Zurück zum Audioteil, welches keinerlei Aussetzer zu verzeichnen hat. "Candyman" begeistert durch tribalen, stoisch und orientalisch eingefärbten Rhythmus, etwas verfremdete Vocals und Powallas hypnotisierendem Lap Steel-Spiel. Ein irres und hammermäßiges Stück Musik. Auf "Bricks Of Time" findet die Veredelung anstelle der Lap Steel durch das Banjo statt. Diesem psychedelischen Zeitlupenstück ist ein vertrackt spielendes Schlagzeug zur Seite gestellt (das klappt mit zwei Drummern vorzüglich), während Gitarre und Keyboard sphärische Stimmung zaubern. Auch diese Nummer atmet wie die meisten Lieder diese Mischung aus staubigem Folk, psychedelischem Americana Blues und die sechs Saiten gemahnen sehr oft an die Band des interviewten Maestros. Speziell die beiden letztgenannten Desert-Jams erinnern mich an den Drive der Langversionen von z. B. Ad Vanderveens "Water Under The Bridge" oder Lee Claytons "10000 Years/Sexual Moon". Ähnlich, aber gezügelter und wieder mit sonoren Vokals präsentieren sich "Danger Girl", "Telemark Landing" sowie "More And More".
Meister Neil hatten wir ja bereits auf Track Nummer fünf. "Left For Dead" stammt aus der Feder eines seiner Crazy Horses, Sonny Mone. Logisch, dass sich auch und gerade dieses Stück in die rauchgeschwängerte und staubige Szenerie perfekt einfügt. Messerscharf schneidet der Sechssaiter die Luft zu Bass und Drums, die aus dem-Doomkeller brodeln.
Jesses, ist das ein Album. Folkig, düster. Desertstaub und Psychedelic haften an den Grundgerüsten und das Saitenspiel ist so genial wie vielseitig. Die Stammbesetzung der Electric Family hatte sich mit Hagen Liebing (Ärzte), Tex Morton (Lolitas, Pseiko Lüde), Willi Pappe (Thirsty Moon), Uwe 'The Voodoo' Knak (Phillip Boa And The Voodoo Club), Jo Hielscher (Hagener Ramblers) und Franz Powalla (Lokomotive Kreuzberg) auch gewaltige Verstärkung ins Line-up geholt. Wie bereits eingangs erwähnt, für mich das Meisterwerk der Formation. Nicht umsonst wurde "Tender" seinerzeit für den Deutschen Schallplattenpreis nominiert.
Bis zum 20. Juli dieses Jahres habt ihr die Chance, eines von insgesamt drei Exemplaren zu gewinnen. Hier geht es zur Verlosung.
Line-up The Electric Family:
Peter Apel (guitars, banjo)
Torsten Glase (drums, backing vocals)
Evelyn Gramel (vocals)
Thommi Hein (vocals, guitar)
Jo Hielscher (drums)
Volker Kahrs (keyboards)
Rolf Kirschbaum (guitar, programmings)
Hagen Liebling (bass)
Tex Morton (guitars)
Willi Pappe (sax)
Harry Payuta (bass, vocals)
Franz (lap steel guitar)
Tom 'The Perc' Redecker (vocals, guitars, keyboards)
Jochen Schoberth (guitars)
The Voodoo (percussion)
Tracklist "Tender":
- Telemark Landing
- In The Web
- More And More
- Betancuria Part One: The Conquest
- Betancuria Part Two: Morro De La Cruz
- Betancuria Part Three: Loveflow
- Candyman
- Bricks Of Time
- Danger Girl
- Left For Dead
Gessamtspielzeit: 46:32 (CD), 29:06 (DVD),Erscheinungsjahr: 2019 (1999)
Neueste Kommentare