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The Happy Sun / Same – CD-Review

The Happy Sun / Same

Gerhard Potuznik, der Mastermind von The Happy Sun, ist in Österreich für elektronische und alternative Musik bekannt – so lehrt es das Begleitmaterial. Um es schon mal vorweg zunehmen, mit Elektronik hat das vorliegende Album rein gar nichts zu tun, sondern vielmehr mit einer Rückbesinnung Gerhards auf das, was er in seiner frühesten musikalischen Schaffensphase, seinerzeit noch auf Kassettenrekorder, aufgezeichnet hat. Und das war eben eher Musik aus der Post Punk-Ära.

Neugierig geworden, verlasse ich an dieser Stelle die Informationen des Promoters und tauche im Web in die faszinierende Welt der Wiener Musikszene ein. Auf einem Privatsender läuft dort die Sendung Mulatschag TV mit dem Untertitel: 'Die einzige TV-Show, die Ihr wirklich braucht'. Wer sich mit der österreichischen Rockmusik auskennt, weiß sogleich, woher dieser Begriff stammt und was er bedeutet. Mulatschag nannten die Drahdiwaberl um den genialen, im letzten Jahr leider  verstorbenen Chef, Stefan Weber, ihre orgienartigen Massen-Happenings auf der Bühne. Und aus dem kulturellen Umfeld dieser einzigartigen Band hat sich das Programm entwickelt. Handgemachte und sehr geile Live-Musik im Studio, die typisch skurrile Szenerie in der Gestaltung der Location und allerlei schillernde Figuren, eben genauso, wie sich Drahdiwaberl früher auf der Bühne zeigten. Schaut Euch allein mal die x-mas Gala vom letzten Jahr im Netz an, für so eine Sendung würde ich gerne Gebühren zahlen – aber bei den Anspielungen gegen Spießbürgertum und Mainstream würden unsere öffentlich rechtlichen Untoten wohl kollektiv einen Schlag erleiden.

Zurück zu The Happy Sun. Die waren nicht nur beim Weihnachts-Special dabei, sondern traten zuletzt erneut auf bei Mulatschag TV, mit ihrem neuen Album im Gepäck, von dem sie einige Nummern sehr straight als Trio vorgetragen haben. Und Gerhard erzählt dort, dass der große Stefan Weber einst sein Kunstlehrer war (Stefan lehrte Kunst und Werken am Gymnasium bis ins Jahr 2000) und ihn in frühen Jugendjahren als Roadie mit zu den Konzerten der Drahdiwaberl mitgenommen hat. Prägende Erlebnisse und faszinierende Weg-Querungen und Begegnungen, die sich bis in die heutige Zeit erhalten haben.

All diese Querverbindungen und Vorgeschichten sollte man vielleicht kennen, um zu verstehen, was auf uns zukommt, wenn in diesen Tagen das Album gleichlautend mit dem Bandnamen aus dem erweiterten Bereich des Post Punk erscheint. Und es kommt mit Volldampf, aber auch erstaunlich eloquent daher. Die Musik hat durchaus Radiotauglichkeit. »Kommerziell, aber auf eine gute Art und Weise liebe ich dieses Album wirklich« sagt Pete Maher, der nicht nur dieses Album gemastert hat, sondern auch Scheiben beispielsweise für U2 oder die Stones!

Treibende Bässe und Gitarrenlinien, die starke Bezüge zu den frühen Achtzigern ausweisen, als man diese Musik New Wave oder Independent nannte. Die Soli sind sehr kompakt und knapp gestaltet, ausuferndes  Gefrickel wird es nicht geben. Das war in den Achtzigern nicht anders. Knackige Vokalparts und eingängige Refrains korrespondieren über zwölf kurz gehaltene Songperlen sehr harmonisch mit dem instrumentalen Grundgerüst, es verbreitet sich von Beginn an eine eigentümliche Atmosphäre zwischen willkommenen Backflashs und dem Gefühl, hier dennoch irgend etwas völlig Neues zu entdecken.

Wenngleich ich beim Intro zu "All Your Colours Fade Into Me" zunächst ein wenig an Bauhaus denken musste, entwickelt sich der Song doch irgendwie anders und schon in der nächsten Nummer,"On A Rail", wird mir klar, welche Synapsen da bei mir angeklickt wurden. Letztgenannter Track sprüht vor psychedelischem Geist. Der repetitive mehrstimmige Gesang, die schönen schrägen Melodien, das erinnert stark an den Spirit der Sixties, als solche Musik ersonnen wurde und die auch bei den Schweizer Kollegen von Universe By Ear so ausgeprägt zelebriert wird. Die vom Rhythmus her tatsächlich recht punkigen Nummern wie "Alien Girl" und das als Single bereits erfolgreiche "Summerrain" (die Nummer aus der Mulatschag x-mas Gala) wirken überhaupt nicht düster oder gar destruktiv. Nein, diese Musik hat eine eigenartig unterschwellig wirkende positive und optimistische Ausrichtung.

Dass mich "The Smiling Enemy" ein wenig an The Armoury Show erinnert, freut sehr, denn die haben damals in einer der letzten Rocknächte des Rockpalast einen sehr schönen zeitgemäßen Auftritt abgeliefert, der leider längst in Vergessenheit geraten ist. Die Backlines der Gitarre im nachfolgenden "Rabbit Gang" folgen stilistisch der vorgenannten Quelle, aber insgesamt stellt der Song mit seinen traumhaft schönen Harmonien aus mehrstimmigem Gesang über unterstützenden intensiven Riffs eine glasklare Verwandtschaft zu einer meiner Lieblingsbands aus Seattle her, die leider nie so ganz an den Ruhm berühmter Nachbarn heranreichten. The Walkabouts, die den Seatlle-Sound von einer recht folkigen Basis eroberten. Wenn wir in der Textzeile »you’re on a temporary ride« ankommen, dann kulminiert nicht nur das Lied. Geile Nummer.

"Born To Realize" setzt vor dem letzten Drittel noch einmal eine krachende Powernummer mit ausgeprägten Riffs, die eher dem Hard Rock als punkigen Wurzeln zuzuschreiben sind.
Der geniale Refrain in "Harmonize" vermittelt dann sogar ein starkes Pink Floyd-Feeling, wer hätte das hier erwartet? Der zurückgefahrene Antrieb pendelt sich in eine Art reflektierende Stimmung und die psychedelischen Gesänge legen ein Stück weit das Unbewusste zwischen den Ohren des geneigten Zuhörers frei, eine Meditation, wohin auch immer. Die finalisierende Hookline kulminiert diesen Drift.

Die Texte sind vielschichtig und deutbar in diesem oder jenem Sinn, vor allem aber sind sie sehr poetisch: »Under a happy sun, guided safe from harm through the summerrain, through the hazy clouds of pain.« Das Prinzip von Gegensätzlichkeit zieht sich fast wie ein roter Faden durch die Lyrik, irgendwie Ying & Yang, wer weiß. Das schöne Cover mit den zwei Gesichtshälften, hier hart und fest fast wie eine Statue, da sich auflösend in einem schillernd bunten, geheimnisvollen Kosmos, verstärkt diese These. Doch wenn man ganz genau hinschaut, wird man feststellen, dass auch die Randbezirke der harten Hälfte sich bereits in jenem Kosmos aufzulösen beginnen. Spannende Rätsel, die uns die Band und vermutlich ganz besonders Gerhard Potuznik damit bereitstellt.

Da wo in der Vergangenheit bei den Urvätern dieser Musik manche Platte daher kam wie ein Soundtrack zum Suizid oder gar Weltuntergang, vermittelt die Musik von The Happy Sun durchgängig ein gutes Gefühl. Bei "Red" wird es dabei fast sogar ein wenig poppig. Das geht in die Beine, ohne jemals trivial zu wirken. Nein, die Kompositionen sind raffiniert und mit viel Gespür für die historischen Vorbilder ausgearbeitet und so sind schöne eingängige, aber authentische Melodien mit allerlei psychedelischen Anflügen und musikgeschichtlichen Anspielungen entstanden. Indie Rock muss nicht depri sein.

Aufgrund der beschriebenen Eigenschaften, den psychedelischen Anflügen und stets erkennbaren Bezügen auch zu den Sixties würde ich dem Ko-Produzenten des Albums, Bernd Heinrauch, recht geben, der die Musik von The Happy Sun als eine Art »Ende der 70er Jahre Shoegaze Psychedelic Rock« bezeichnet hat. Das trifft es vermutlich besser als die Post Punk-Schublade.

Ich kann mir nicht helfen, im Rahmen der Recherchen, der Bezüge zu Drahdiwaberl und einem eigenartig schräg, nostalgischen Gefühl beim Anhören des Albums musste ich, der mit der österreichischen Kultur und dem Land an sich schon vor langer Zeit angebandelt hat, permanent daran denken, dass diese Musik genial wäre für eine zeitgemäße Wiederauferstehung des Majors Kottan. Auch in dieser Fernsehserie war Rockmusik mit tiefen Wurzeln eine wesentliche Begleiterscheinung, viele Handlungsstränge wurden durch entsprechende Songs untermalt. Und Stefan Weber höchst selbst war in einer Folge mit dabei, als er mit den Drahdiwaberln auch den "Ausgeflippten Lodenfreak" auf die Bühne brachte. Vielleicht sind es ja nur Halluzinationen eines durchgeknallten Rezensenten, aber es würde zu der Verspieltheit der österreichischen alternativen Kultur und einem Konglomerat aus schwarzem Humor, hintergründigem Schauspiel und geiler Musik einfach gut passen.

Gregor Seberg könnte den Kottan spielen, Josef Hader den nunmehr zweibeinigen Dezernatsleiter Schremser. Der Schrammel hingegen ist nicht mehr mit an Bord, er wurde ein Opfer seines Berufs, als er sich beim Einparken des Dienstfahrrads versehentlich selbst überfahren hat. Und Polizeipräsident h.c. Pilch wurde von dem Wahn befallen, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Er ermordete den Kaffeeautomaten, besorgte sich eine hässliche blonde Polyester-Perücke und überfiel die US und A. Dort hat er sich das Pseudonym Donald Trump gegeben und versucht nun, seinen teuflischen Plan umzusetzen.
Was wäre das für ein Plot. Und die Musik von The Happy Sun wäre ein perfekter Soundtrack, bezieht sie sich doch genau auf die Zeit, in der die ursprüngliche Serie ausgestrahlt und damals von vielen noch nicht verstanden wurde, weil sie ihrer Zeit weit voraus war. Damit wäre die Klammer perfekt.

Gerhard Potuznik kehrt mit seiner neuen Band zu seinen Wurzeln zurück und verlässt ausdrücklich die Pfade, die er in den letzten Dekaden beschritten hat. Er holt eine inzwischen fast schon historische Musik aus einer längst vergangenen Epoche zurück in unsere Welt und schafft es dennoch durch seine starke psychedelische Ausprägung abseits aller Fürsten der Finsternis, einen ganz eigenen Stil zu hinein zu interpretieren. Eben irgendwo in diesem Spannungsfeld aus Post Punk, Shoegaze, Pschedelic und Achtziger Jahre, die schon damals gerne die Sixties zitierten. Genau dieser Mix ist es, der in mir dieses Kottan-Hinrgespinst hat wachsen lassen. Die Musiker mögen mir diese Spinnerei jenseits der eigentlichen Platten-Besprechung verzeihen.


Line-up The Happy Sun:

Gerhard Potuznik (guitar, vocals)
Philipp Pluhar (drums)
Christof Baumgartner (bass)
Andreas Koch (guitar)
Christine Nemec (aditional vocals)

Tracklist "The Happy Sun":

  1. Alien Girl
  2. AllYour Colours Fade Into Me
  3. On A Rail
  4. Summerrain
  5. The Smiling Enemy
  6. Rabbit Gang
  7. Stars Without Fame
  8. Born To realize
  9. Red
  10. Evil Heart
  11. Harmonize
  12. The House On Highland Avenue

Gesamtspielzeit: 45:15, Erscheinungsdatum: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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