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The Kinks / Muswell Hillbillies & Everybody’s In Show-Biz, Everybody’s A Star – 2CD-Review

The Kinks - "Muswell Hillbillies" & "Everybody's In Show-Biz, Everybody's A Star" - 2CD-Review

Mit den Alben Lola sowie dem etwas lauen Soundtrack zum Film Percy hatten die Kinks ihren langjährigen Plattenvertrag mit Pye Records erfüllt. Was erstmal eine große Erleichterung für den Songwriter Ray Davies darstellte, da er nicht mehr alle paar Monate eine neue Hit-Single abliefern musste. Nein, in Zukunft sollte, in Zukunft musste alles anders laufen. Die Engländer unterschrieben bei RCA Records und bekamen für die Arbeit im Studio vollkommene künstlerische Freiheit zugesprochen. Der Bandleader war begeistert und machte sich umgehend an die Arbeit zu einem Album, mit dem er eine ebenfalls noch ausstehende alte Rechnung begleichen wollte. In den Sechzigern hatten sich die etwas eigenwilligen Davies-Brüder und ihr Gefolge in den USA nämlich mit der dortigen Musiker-Gewerkschaft angelegt, was ihnen prompt ein mehrjähriges Tour-Verbot (und somit großen finanziellen Schaden) einbrachte. Klar war: Da sollte sich einiges ändern und verlorener Boden wieder gutgemacht werden!

Mit "Muswell Hillbillies" kam dann 1971 ein Album auf den Markt, das bis heute zu den drei Kinks-Favoriten des Verfassers zählt. Nicht nur zählen die enthaltenen Songs zu den Glanztaten des Komponisten Ray Davies, auch die Musik wurde deutlich amerikanischer, was in diesem Fall aufgrund feiner Slide-Gitarren und unüberhörbarer Zuwendung zum Country Rock unbedingt als Kompliment verstanden werden soll. Selbstverständlich ist das nicht durchgehend der Fall, bei beispielsweise "Oklahoma U.S.A.", dem Titelsong oder auch "Uncle Son" allerdings auch nicht zu leugnen. Und dann ist da natürlich noch der Lyriker Ray Davies, der mit "20th Century Man" ziemlich treffend die Zukunft voraussagte, sich in "Acute Schizophrena Paranoia Blues" selbst diagnostizierte (und ein wenig bemitleidete), bei "Skin And Bone" bereits vor 51 Jahren das Thema 'Schlankheits-Wahn' und (möglicherweise) daraus resultierende Magersucht aufgriff, bei "Alcohol" ein weiteres Kapitel aus dem dicken Wälzer 'Alkohol zerstört Karriere, Familie und Zukunft' vorträgt und schließlich …

… beim komplizierten Leben landet. Mit "Complicated Life" gelang dem Briten ein so sarkastischer wie witziger Einwurf gegen die ewigen Lamentierer unter den Menschen, die vor lauter jammern darüber und schimpfen darauf, wie schlimm doch alles ist und wie schlecht es ihnen geht, völlig vergessen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und die Situation selbst (zumindest) zu verbessern. Auch musikalisch eine klasse Nummer. Dazu findet der Hörer echte Song-Perlen wie "Have A Cuppa Tea", "Here Come The People In Grey", "Holiday" oder "Holloway Jail". Ein Hammer-Album!

Im Jahr darauf legten The Kinks mit "Everybody’s In Show-Biz, Everybody’s A Star" dann sogar einen Doppeldecker, sprich ein Doppel-Album, vor. Wobei die ersten zehn (Studio-) Songs als Gesamtheit gesehen nicht ganz so majestätisch strahlen, wie es der Vorgänger getan hat. Natürlich gibt es auch hier Highlights wie etwa "Sitting In My Hotel", "Motorway" oder "Supersonic Rocket Ship", die Country Rock-Präsenz wird noch einmal heraufbeschworen und es sind superstarke Background Vocals sowie Gitarren von Bruder Dave Davies zu hören. Punktabzüge gibt es dagegen für sich wiederholende Themen wie etwa "Maximum Consumption" (das auf das genaue Gegenteil von "Skin And Bone" zielt). Rein thematisch gesehen beschäftigt sich Platte jedoch größtenteils mit dem Leben auf Tour, speziell den Sonderbehandlungen, die man als 'Star' so erfährt, aber auch die langweiligen sowie einsamen Perioden im Tourbus oder öden Motels im Niemandsland kommen deutlich zur Sprache.

Was "Everybody’s In Show Biz…" dem Vorgänger "Muswell Hillbillies" allerdings voraus hatte und hat, war und ist mit "Celluloid Heroes" ein wahrer Jahrhundert-Song, der riesengroße Hit, der nie einer war, da er es als Single noch nicht einmal in die Charts schaffte. Unglaublich und (zumindest heutzutage) einfach nicht nachvollziehbar. Als damals zweite LP wurde "Everybody’s …" eine Live-Scheibe dazu gepackt, die auf der 'Muswell Hillbillies Tour' in New York City mitgeschnitten wurde und deshalb viele Tracks der damals aktuellen Studio-Platte enthielt. Schließlich enthält die mir vorliegende 2CD-Edition insgesamt vier Bonus Tracks, bei denen es sich jedoch lediglich um 2022 neu abgemischte Versionen von "20th Century Man", "Acute Schizophrenia Paranoia Blues" sowie "Celluloid Heroes" handelt, dazu kommt der 2022er Mix von "Travelling With My Band".

Eine sehr willkommene Veröffentlichung aus dem The Kinks-Katalog, bei der auch am Sound nichts zu kritisieren ist (wenn mir auch die Vergleichsmöglichkeiten zu früheren Ausgaben fehlen). Die siebziger Jahre hatten für die Band nun so richtig begonnen und Ray Davies sollte sich anschließend (vielleicht aus Enttäuschung über den Nicht-Erfolg von "Celluloid Heroes"?) auf den fast vernichtend unkommerziellen und teilweise schwierigen Zweiteiler "Preservation" stürzen. Aber das ist wieder ein ganz eigenes Kapitel.


Line-up The Kinks:

Ray Davies (guitars, keyboards, lead & background vocals)
Dave Davies (lead guitars, background & lead vocals)
Mick Avory (drums)
John Dalton (bass)
John Gosling (keyboards, accordion)

With:

The Mike Cotton Sound (horns – CD 1 – #2,5, CD 2)
Ken Jones (harmonica – CD 1 – #7)
Vicki Brown (background vocals – CD 1 – #4,9)
John Beecham (trombone, tuba – CD 2 – #1-10)
Mike Cotton (trumpet – CD 2 – #1-10)
Alan Holmes (saxophone & clarinet – CD 2 – #1-10)
Dave Rowberry (organ – CD 2 – #10)

Tracklist "Muswell Hillbillies & Everybody’s In Show-Biz…:

CD 1 – "Muswell Hillbillies":

  1. 20th Century Man
  2. Acute Schizophrenia Paranoia Blues
  3. Holiday
  4. Skin And Bone
  5. Alcohol
  6. Complicated Life
  7. Here Come The People In Grey
  8. Have A Cuppa Tea
  9. Holloway Jail
  10. Oklahoma U.S.A.
  11. Uncle Son
  12. Muswell Hillbillies
  13. 20th Century Man (2022 mix)
  14. Acute Schizophrenia Paranoia Blues (2022 mix)
  15. Travelling With My Band (2022 mix)

CD 2 – "Everybody’s In Show-Biz, Everybody’s A Star":

  1. Here Comes Just Another Day
  2. Maximum Consumption
  3. Unreal Reality
  4. Hot Potatoes
  5. Sitting In My Hotel
  6. Motorway
  7. You Don’t Know My Name
  8. Supersonic Rocket Ship
  9. Look A Little On The Sunny Side
  10. Celluloid Heroes
  11. Top Of The Pops (live)
  12. Brainwashed (live)
  13. Mr. Wonderful (live)
  14. Acute Schizophrenia Paranoia Blues (live)
  15. Holiday (live)
  16. Muswell Hillbillies (live)
  17. Alcohol (live)
  18. Banana Boat Song (live)
  19. Skin And Bone (live)
  20. Baby Face (live)
  21. Lola (live)
  22. Celluloid Heroes (2022 mix)

Gesamtspielzeit: 57:47 (CD 1), 77:53 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2022 (1971, 1972)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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