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The Neal Morse Band / Alive Again – CD/DVD-Review

The Neal Morse Band - Alive Again

Beeindruckend, dieser Mann und seine Band – von der ersten Sekunde des Konzerts an.
»Leave it all behind you, time to let it go.
Free the chains that bind you, let your heart go and follow the call.«

… mit diesen ersten Zeilen von "The Call" beginnt das Konzert vom März 2015 im niederländischen Boerderij – und schon zum ersten Mal jagen einem Neal Morse & Konsorten heiße und kalte Schauer den Rücken runter, denn die fünf singen brillant a cappella. Und wenn sie ihren instrumentalen Neben- (Neal Morse) bzw. Hauptbeschäftigungen (der Rest der Truppe) nachgehen, dann wird der Genussfaktor natürlich nicht geringer. Morse hat dieselbe Gruppe beisammen wie im Studio bei "The Grand Experiment", darunter seine musikalischen Langzeit-Buddies Randy George, der einen beneidenswerten Groove hat und dazu noch eine unglaubliche Gemütlichkeit ausstrahlt, und Mike Portnoy, dessen Drumstil wie immer so unglaublich organisch klingt. Gitarrist Eric Gillette liefert vortreffliche Soli ab (toll u. a.: Das Outro der Spock’s Beard-Nummer "Harm’s Way"!). Und Bill Hubauer sorgt nicht nur für einen warmen Orgelsound, sondern nimmt auch mal das Saxofon in die Hand, um bei "Leviathan" für zusätzliche Dramatik zu sorgen und die Klarinette, um die der ruhige Gänsehautnummer "Waterfall" butterzart ausklingen zu lassen.

Klar, wer "Live Momentum" oder auch "Morsefest 2014" sein eigen nennt, der kennt (abgesehen vom persönlichen Erleben) diese Band-Konstellation schon – Mr. Morse ist schließlich nie um eine Veröffentlichung verlegen. Doch spätestens mit der berechtigten Berücksichtigung der Stücke vom 2015er-Album "The Grand Experiment" macht er "Alive Again" zu Pflichtstoff. Außer den bereits erwähnten "Waterfall" (hypnotisierend schön!) und "The Call" (Deluxe-Mitsing-Refrain!) finden sich noch zwei weitere neue Nummern auf der Set- bzw. Tracklist. Da wäre zum einen der Titelsong des Albums, "The Grand Experiment", dieser straighte Rocker mit seiner beinahe folkig-melodischen Hookline, die live richtig schön 'feierlich' Laune macht. Und zum anderen (natürlich) der lange Riemen "Alive Again", der alles Melodische und Proggig-Instrumentale bietet, wofür man Neal Morse und seine Band liebt und sich auch dieses Mal wieder neu verliebt.

Der Brüller schlechthin sind aber die paar Minuten Spielzeit, die die Live-Version länger als die Studioversion machen. Wo andere Bands im Instrumentalteil 'einfach nur' jammen, wechselt die Neal Morse Band einfach mal durch. Mit einer beneidenswerten Lässigkeit spielt Keyboarder Bill Hubauer plötzlich Eric Gillettes Gitarre, weil dieser ohnehin gerade Mike Portnoy an den Drums abgelöst hat und Portnoy zum Bassisus konvertiert ist. Und die können das alle auch noch richtig gut; ich kann nicht ausmachen, dass sich einer verspielen würde – was für eine Show! Dann stellt Mike Portnoy, inzwischen auf seinen Schemel zurückgekehrt, noch fest, dass man ja 'El Rando' vergessen habe. Also spielt Randy George noch ein paar Takte Gitarre und Keyboard und im Knien ein 'Solo' an den Bass-Pedalen, das die komplette Band schließlich wieder in den Song zurückführt, den sie eigentlich laut Setlist performen wollte. Das ist vielleicht der extrovertierte, der spaßige Höhepunkt dieser knapp zweieinhalbstündigen Show.

Die einfühlsamsten Momente – und die bleiben wohl noch stärker hängen- die liefert Neal Morse solo, ganz allein an seiner akustischen Gitarre. In "There Is Nothing That God Can’t Change" erzählt er eine Reihe von Geschichten, die ihn ganz persönlich in seinem Glauben gestärkt und ihm Kraft gegeben haben. Darunter ist auch das das Schicksal seiner eigenen Tochter, die mit einem Herzfehler geboren wurde. Dabei singt Morse mit einer Mischung aus brüchiger Stimme und Inbrunst und heult dabei Rotz und Wasser. Wen das nicht berührt, dem fehlt etwas im Leben. Denn egal, wie man jetzt zu seiner Religiosität stehen mag – glauben wir nicht alle an etwas?

… Und sei es nur gute Musik und ihre magische Wirkung. Die kommt mit dieser Veröffentlichung sehr authentisch ins Wohnzimmer, sei es auf den beiden CDs oder auf der DVD. Das einzige kleine Manko ist, dass der Klang des Gesangs ein wenig brillanter rüberkommen könnte – liegt es vielleicht daran, dass die Qualität des Headsets, das Neal Morse benutzt, nicht ganz so gut ist wie es bei einem ’normalen' Mikro wäre? Kann sein. Aber es stört auch nicht wirklich und nicht oft. Der Bildschnitt ist dafür um so besser – dynamisch, wenn es darauf ankommt (auch mal ’schräge' Einstellungen oder auch ein Portnoy-Fuß beim Double Bass), aber nie hektisch. Tolles Teil.

Die gut eine Stunde lange Tour-Doku der DVD begleitet die Jungs bei den Proben in winterlichen Verhältnissen und auf Tour in Europa und Nordamerika. Da sieht das Leben 'on the road' einmal nach dem größten Spaß aus, wenn Tour-Städte erkundet werden und man zusammen Beatles-Stoff singt – und dann denkt man sich 'No way!', wenn man miterlebt, wie Neal Morse und Mike Portnoy unterwegs richtig krank werden. Eine tolle Truppe ist das auf jeden Fall – und es scheint gar kein Zufall mehr zu sein, dass auf den Alben seit Neuestem nicht mehr nur 'Neal Morse' draufsteht, sondern 'The Neal Morse Band'.


Line-up Neal Morse Band:

Neal Morse (vocals, keyboards, guitar)
Mike Portnoy (drums, vocals)
Randy George (bass, bass pedals, vocals)
Bill Hubauer (keyboards, guitar, clarinet, saxophone, vocals)
Eric Gillette (lead guitar, vocals)

Tracklist "Alive Again":

CD 1:

  1. Alive Again Intro
  2. The Call
  3. Leviathan
  4. The Grand Experiment
  5. Harm’s Way
  6. Bill’s Keyboard Solo
  7. The Creation
  8. There Is Nothing That God Can’t Change

CD 2:

  1. Waterfall
  2. Eric’s Gtr Solo
  3. In The Fire
  4. Alive Again
  5. Rejoice
  6. Oh Lord, My God
  7. Reunion
  8. King Jesus

DVD: All tracks on CDs, "Alive Again Tour Doc".
Gesamtspielzeit: 64:53 (CD 1), 73:58 (CD 2), ca. 207 min. (DVD), Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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