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The New Mourning / When The Light Fades – CD-Review

The New Mourning / When The Light Fades

Thomas Pronai ist ein agiler Vertreter der österreichischen alternativen Rockszene, auch wenn seine Taten und seine früheren Projekte The Beautiful Kantine sowie Bo Canda & His Broken Hearts bislang nicht zum Rezensenten durchgedrungen sind. Das Informationsmaterial des angesagten Labels Noise Appeal Records deutet an, dass Thomas sich gerne immer wieder neu erfindet, so gesehen darf man davon ausgehen, dass das neue Projekt The New Mourning nicht zwingend auf den genannten Wurzeln basiert. Daher werde ich dieser Spur auch nicht weiter nachgehen.
"When The Light Fades" ist bereits gegen Ende 2019 binnen zweier Tage während einer Tourpause eingespielt worden. Warum es erst jetzt zur Veröffentlichung kommt, ahnen wir alle, die winzigen Viren-Fieslinge haben auch dieses Album lange auf Eis gelegt.

Wenn man die begleitenden Infos verarbeitet und das Album einmal durchgehört hat, wird man feststellen, dass wir es mit einer Musik fernab des Mainstreams zu tun haben, Musik, die man grundlegend dem Shoegaze zuordnen kann. Die Muster und Strukturen der einzelnen Songs werden dabei gerne und vorsätzlich reduziert, teilweise auch simplifiziert auf monotone einsilbige Akkorde wie gleich im hypnotischen Opener "Involved", der ein wenig vom Geist der Velvet Underground verströmt und mich damit gleich bei den Cojones packt. Die Musik kommt sehr psychedelisch rüber, das getragen schwebende Break im Mittelteil wirkt fast tranceartig. Man spürt sofort, dass diese Musik einen Plan hat – oder besser der, der dahintersteckt. Die irgendwie defensiv im Hintergrund wirkenden, leicht eintönigen Vocals verstärken diesen Sog. Wie im Shoegaze stilistisch typisch beziehen sich die Harmonien und Melodien gelegentlich auf die Muster der späten Sechziger. Dass man in den härteren Nummern somit ein wenig an Songs aus dem Brit-Pop erinnert wird, ist daher folgerichtig, denn der hat sich aus dem Shoegaze entwickelt.

A propos Simplifizierung: Vereinfachung heißt keinesfalls Langeweile. Vielmehr wird durch die entschlackt klare Sprache der Gitarren eine unmissverständliche, elektrisierende Atmossphäre kreiert, die sich im Verlauf der Songs mitunter in wilde psychedelische Dehnungen und Streckungen entlädt, wie im Finale des schönen "I Lost My Faith In You". Diese energetischen Crescendi wirken sehr tief. Letztgenanntes Stück wurde übrigens vor der Pandemie als Single veröffentlicht, das Vinyl ist aber schon vergriffen. Dieses Album erscheint im Übrigen als LP und digital, die Besprechung erfolgt per CD-R.

"The Touch" vermittelt eine Menge von dem Feeling, welches der Titel verspricht, ein Stück weit fühlt man sich wirklich in eine Reise hinein in die Dunkelheit versetzt. Dies aber ohne düstere Attitüden, eher wie die Tauchfahrt hinein in etwas Geheimnisvolles. Schön, wie hier über dem monoton dahin streichenden Rhythmus die repetitiven Gitarrenlinien immer weiter ausschweifen, wie Kreise, die größer und Größer werden. Dadurch entwickelt sich eine sanfte und doch starke Hypnotik. Unser früherer Autor Michael hat mal über die Band Felt geschrieben, die haben solche Strukturen bereits damals in den Achtzigern gespielt. Solche Songs scheinen im Irgendwo und Nirgendwo zu enden, aber ich denke, genau das ist ja gewollt.

Und als ob die Assoziation zur Band Felt bestätigt werden soll, weckt gerade "My Darkest Friend" starke Erinnerungen an deren Kompositionen, was klar den rotierenden, schlichten Akkorden geschuldet ist. Wenn im Hintergrund dezente synthetische Klänge aufkommen, wird man sich vielleicht wundern, dass keinerlei Synthies oder Keyboards im Line-up genannt sind. Diese Ergänzungen wurden durch den Gastmusiker Thomas Spechtl eingespielt und mit Thomas Pronai im Nachhinein als Overdubs verarbeitet. Das erfolgt aber mit Sensibilität und Fingerspitzengefühl, der Charakter der Musik als klar gitarrenorientiert geht dabei keinesfalls verloren.
Dass man mit solchen Klängen sicher auch ein größeres Publikum erreichen kann, beweist eindeutig "The Change" mit einigem Radio-Potenzial. Schön, wie der Song sich zu seiner Mainline regelrecht verdichtet und mit einem kratzigen, fast Acid-getränkten Solo exponiert. Brust raus und auf die Zwölf.
Der Titelsong kommt dann wieder sehr psychedelisch und getragen daher und lebt von der elektrisierenden Spannung zwischen einer klar und sauber mäandernden Gitarre, deren Schleifen von einer fuzzigen Konkurrenz zerfetzt wird. Am Ende verlieren sich beide Gitarrenlinien im Fuzz – cool!

Doch ein gutes Album hat am Ende immer noch ein Ass im Ärmel. "Fall From Graze" kulminiert die Eigenschaften der bereits gehörten Kompositionen zu einem fetten Finale. Schon der simple, herzschlagartige Rhythmus nimmt seltsam gefangen, hier liegen die synthetischen Klänge wie ein organischer Teppich unter der aufbegehrenden und spannungsgeladenen Komposition. Die repetitiven Akkorde brennen sich mehr und mehr ins Hirn und vermitteln ein düsteres Ende. Der abschließende Steigerungslauf hat eine wirklich krasse Sogwirkung, man fühlt sich, als würde man in ein schwarzes Loch gesaugt. Was für eine Intensität.

Schade, dass man selbst im Net keine Hinweise darauf findet, welche Rolle Thomas Pronai im Line-up übernommen hat. Ich nehme mal an, dass er für Vocals und Bass verantwortlich zeichnet und setze dies mit einem Fragezeichen in den abschließenden Steckbrief. Bei den ersten Aufnahmen zur damaligen Single, die in London eingespielt wurden, hatte Thomas noch alle Instrumente selbst gespielt. Zitat des Labels: »Pronai geht es um das Spannungsfeld zwischen selbstauferlegten Einschränkungen (wenige Akkorde, puristischer Sound, wenige Worte…) und der Freiheit aus Mustern und Strukturen auszubrechen.« Das findet man sehr wohl wieder und die psychedelische Kraft, die dieses Spannungsfeld erzeugt, sorgt für jede Menge Spaß am Hören.


Line-up The New Mourning:

Thomas Pronai (vocals, bass?)
Georg Allacher (guitar)
Gerald Allacher (drums)
Michi Rieder (guitar)

Tracklist "When The Light Fades":

  1. Involved
  2. I Lost My Faith In You
  3. Apotropaic
  4. The Touch
  5. My Darkest Friend
  6. The Change
  7. When The Light Fades
  8. Fall From Grace

Gesamtspielzeit: 44:40, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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