Immer wieder spannend, oder besser, lehrreich informativ sind die Begleitschreiben aus dem Hause Sireena. Dass der Labeloutput in der Regel nichts von der Stange beinhaltet, dürfte Freunde des Hauses längst bekannt sein.
Bei vorliegender CD lese ich Namen wie Peter Turrini, Günther Gerstner sowie Rainald Goetz. Es werden mit "Die Schlacht um Wien" und "Festung" Theaterstücke genannt und ich fühle mich kurz als Kunstbanause, da mir weder die Namen der Männer noch die der Stücke etwas sagen.
Aber da ich ja schrieb, dass Sireenas Begleitschreiben informativ sind, wird schnell klar, was diese Namen auf einer Perc-Platte bedeuten.
1995 steuerten The Perc und Emilio Winschetti, aka The Perc Meets The Hidden Gentleman für die Inszenierung von Peter Turrinis "Die Schlacht um Wien" die Musik bei. Diese Facette von Toms Schaffen ist zumindest mir neu, allerdings erstaunt sie mich nicht sonderlich, denn wenn man sich durch den Backkatalog des Musikers hört, fällt schon auf, dass einige Stücke durchaus adäquaten Platz in allerlei Genren von Film und Theater hätten.
Der Regisseur Günther Gerstner war wohl begeistert von der musikalischen Arbeit und wollte Tom und Emilio für eine weitere Inszenierung, und zwar "Festung" von Rainald Goetz verpflichten. Tom sammelte daraufhin Ideen, um das Theaterstück musikalisch zu versorgen. Alleine am Synthesizer komponierte er "Birth To The Day", eine Nummer, die dann später mit weiteren Musikern im Studio ihre Vollendung hätte finden sollte. Fünf weitere Stücke ("Koto Funk", "Flesh & Blood Society", "Inhaler", "Heartbeat" sowie "Dwarf" lagen bereits als experimentelles Rohmaterial in der Schublade. Die fünf Songs sollten zwar ebenfalls nachbearbeitet werden, aber der experimentelle Charakter der »Industrial/Punk-Versionen« wäre mit Sicherheit erhalten geblieben, denn wie man auf Nachtkritk zum Roman von Goetz' "Festung" lesen kann, wäre die Theaterinszenierung keine à la' "Chiemgauer Volkstheater" gewesen.
Nun soll es aber genug des Konjunktivs sein, denn das Projekt wurde nicht verwirklicht und die Aufnahmen legten sich zur Ruhe im Archiv nieder, wo sie Ende des letzten Jahres bei »Recherche-Arbeiten« gefunden wurden. Genauer gesagt fand Tom die Nummer "Birth To The Day" und erinnerte sich an das gecancelte Theaterstück. Schnell war der Entschluss gefasst, "Birth To The Day" mit den anderen fünf Stücken auf CD zu bannen sowie dem Silberling zwei weitere Tracks zu spendieren: "Head In The Air – Single Edit" und "Cuppa Mocha".
Die beiden letztgenannten Kompositionen gab es lediglich zusammen auf einer Vinylsingle, die außerdem seit langer Zeit vergriffen ist. Die Gelegenheit also, die eigene Sammlung mit diesen beiden Songs sowie der 'Theatermusik' zu erweitern. Zumal die Veröffentlichung Sireena auch dermaßen wichtig ist, um die geplante Veröffentlichung des neuen Electric Family-Albums in den März 2017 zu verschieben.
Mit peitschenden Syntieklängen präsentiert sich "Inhaler" und mittlerweile ist Toms Musik so in meinem Kopf verankert, dass ein Blindhören sofort auf seine Handschrift hingewiesen hätte. Noch einfacher ist es bei dem sehr ohrgefälligen "Head In The Air", einem Stück mit Traum-Melodie, die Handschrift des Komponisten herauszuhören, da nun die markante und tiefe Stimme Toms die Szene beherrscht . Erneut fasziniert es mich, welch geniale Kompositionen der Perc immer wieder auf die Lauscher gibt. Post-apokalyptische Gitarrenakkorde verstärken die Süße, die per Melodie und sphärischer Gitarre zum Träumen einladen.
Voll in die Elektrokerbe haut "Flesh & Blood Society" mit schön nostalgisch klingendem Synthesizer. Allerlei Geräusche nebst Trompeten- oder Posaunenfitzel sowie Sprachfetzen beamen einen zeitlich zurück. In eine Zeit der Undegroundmusik. Auch "Heartbeat" möchte ich dieser Gattung zusprechen. Sehr rhythmisch, allerdings auf eine minimalistische Art, pulsiert ein elektronisches Herz, dessen Frequenz ich dem meinen aber nicht zumuten möchte. "Koto Funk" ist anzuhören, dass es die gleichen Eltern, wie die bisherigen drei Geschwister der Fünferbande hat. Alte Synthieklänge, Wortschnippsel, Geräusche und scheinbares Durcheinander sind normalerweise eher dazu geeignet eine Platte nicht zu kaufen. Das ist aber im Fall von Perc-Sachen ein Fehler, denn wenn man sich dessen Einträge im Poesiealbum einmal näher hingegeben hat, möchte man sie immer wieder nachschlagen.
Dass "Cuppa Mocha" wie das bereits erwähnte "Head In The Air" aus dem Raster fallen, ist klar, denn diese beiden Tracks wurden diesem 'Theateralbum' ja quasi 'beigelegt'. Zum Glück, denn das Dark Noir-Feeling verbreitende "Cuppa Mocha" ist ebenfalls ein must-have-Stück. "Dwarf" reiht sich in den Fünferblock, bietet per Gitarre und schleppendem Rhythmus aber Assoziationen an den großen Zappa. Jesses, dieses Theaterstück hätte aufgeführt werden müssen!
"Birth To The Day" ist ein Tastenmonster. Einfach ein Tastenmonster – gewaltig, dunkel und wabernd. Und viel zu kurz!
"Koto Funk" – eine Scheibe, die mit dem Wissen, wofür sechs der Stücke gedacht waren, auch unter der Rubrik Geschichte einsortiert werden kann. Mit den beiden Tracks der vergriffenen Vinylsingle ergibt das eine Platte, die unbedingt im Fundus stehen muss. Aber eigentlich ist das nichts Neues, denn was mich betrifft, sollten da alle Perc-Sachen stehen.
Line-up The Perc:
The Perc (vocals, all instruments)
plus
Hanno Janssen (drums)
Jochen Schoberth (guitar)
Tracklist "Koto Funk":
- Inhaler (3:36)
- Head In The Air (4:35)
- Flesh & Blood Society (8:34)
- Heartbeat (3:45)
- Koto Funk (4:40)
- Cuppa Mocha (2:38)
- Dwarf (4:43)
- Birth To The Day (3:26)
Gesamtspielzeit: 35:39, Erscheinungsjahr 2017
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