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The Perc Meets The Hidden Gentleman / Lavender – CD-Review

The Perc Meets The Hidden Gentleman / Lavender – CD-Review

Wow, was für ein großartiges Album!

Ein Album, das 2021 30-jähriges Jubiläum feiert. Ursprünglich 1991 erschienen, gab es zum Zehnjährigen 2001 die CD-Version und nun steht die Wiederveröffentlichung auf Vinyl und CD gottseidank wieder an, denn wer dieses Werk noch nicht besitzt, hat jetzt die Möglichkeit dazu. Der CD wurden außerdem die beiden Single-Versionen von "The Infant King"  sowie "Vermilion Sands" als Bonusstücke mitgegeben; sie sind nun erstmals auf CD vorhanden.

Bereits der Opener "Blind Faith" macht seinem Namen alle Ehre, denn das Duett von akustischer und Synthesizer-Gitarre zum völlig entspannten Gesang betten den Hörer in eine musikalische Wohlfühlhöhle, in der er es sich mit vollstem Vertrauen gemütlich macht, wissend, dass keine Misstöne die kommenden 50 Minuten stören; ja gar wissend, dass  sich musikalische Höhepunkte aneinander reihen werden. Dass das der Rezensent weiß, liegt daran, dass er Teile des Albums bereits kennt. So z. B. "This Moon Of Both Sides", ein psychedelisch krautiger Jam, welcher auch auf dem Electric Kindergarten Vol. 8 Platz fand. Und natürlich auch auf Praha, dem Live-Dokument der damaligen "Lavender"-Tour 1991/1992 aus dem Bunkr Club in Prag.

Es war zu jener Zeit nicht nur eine Tour zu einem neuen Album. Oder anders gesagt, das Ergebnis der Idee zu "Lavender" während eines gemeinsamen Südfrankreichurlaubs von Tom und Emilio war auch in der Presse wohl überwältigend. Die Musikjournalisten »überstürzten sich geradezu vor Begeisterung. Vom STERN bis zu SZ, von ME/Sounds bis zu ZILLO, vom TIP bis zur FAZ- ein einhelliger Jubelchor!«. So liest man im Pressetext des Labels weiter, dass "Lavender" auch ein Special im Fernsehkulturmagazin KONTRASTE eingeräumt wurde und eines der am meisten gespielten europäischen Alben in den amerikanischen College-Radios war. Daher ist es für mich immer noch ein Rätsel, wieso mir Band und Album damals durch die Lappen gingen.

Die Musik auf "Lavender" ist bei aller Tiefe großformatig und mitnichten von zwei Musikern alleine zu bewerkstelligen, sodass mit dem Lavender Orchestra geballte Unterstützung in Form von etwa The Voodoo (Philip Boa), Rudi Freese (The Strangemen), Tex Morton (Lolitas), Uwe Bauer (Fehlfarben), Alexander Veljanov (Deine Lakaien) oder Rüdiger Klose (Kastrierte Philosophen) bereit stand. Es ging  dann auf Tour und wie bereits erwähnt, fand eines der etwa 100 Konzerte im Prager Bunkr Club statt.

"The Infant King" ist eine flotte Nummer mit einem starken Drive und tollem Vokaleinsatz von Lea Saby sowie einem mitreißenden Gitarrenspiel von Clive Gray. Das Stück fließt unaufhaltsam in Richtung des Höhenpunktes der Platte, dem "Lavender Cantos". Bis dahin wird dem Hörer aber noch weiterhin einiges geboten. "Hole In My Head", eine gemütlich shuffelnde Lehrstunde in Sachen musikalischer REHA. Die sonoren Stimmen, der kuschelig oszillierende Synthesizer entschleunigen und wenn sich das nicht positiv auf das Wohlbefinden des Hörers auswirkt, weiß ich auch nicht …

"Hall Of Fame" strotz dagegen wieder durch überschwängliche Dynamik. Forscher Gesang der beiden Protoganisten, flirrende Synthies und eine Rhythmusabteilung unter Dauerstrom. Zuweilen wähnt man sich in einer irischen Bar, die kostenlos Whiskey ausschenkt und so für eine ausgelassene Stimmung vor der Theke sorgt. Wie muss dieses Stück live abgegangen sein …

Nun aber zu "The Lavender Cantos". Mächtig und düster startet der erste Teil des Vierteilers, "Vermilion Sands Or The Snowbird And The Shrine". Das Zusammenspiel von Tasten und Stimmband sowie die einfallenden Instrumente geizen nicht mit wohligen Schauern auf des Hörers Rücken.
Songwriterisch perfekt, die Breaks hin zu akustischer Gitarre und schließlich zu Teil zwei mit dem Namen "Himinam Ana Airthai (Heaven On Earth)". Hypnotische Percussion übernimmt die Führungsrolle, indisches Feeling wabert durch das Geschehen und irgendwann startet ein psychedelischer Jam. Tasten, affengeile Gitarren, ein mantraähnlicher Rhythmus übernimmt die Szenerie und plötzlich ist man in einem Meer voller Lavalampen und süßen Gerüchen wehrlos gefangen und treibt wunschlos glücklich mit dem Jam durch surreale Welten. "Seven Flags On The Peak" macht süchtig und bereitet fast Entzugsschmerzen, wenn mit "The Return Of The Snowbird" das Ende des "Cantos" eingeleitet wird. Wenn ich jetzt sage, dass Tom und Emilio sowie ihrem Lavender Orchestra mit diesem epischen Vierteiler ein Meisterwerk gelungen ist, dann ist das in etwa die gleiche Aussage wie die, dass der Papst katholisch ist.

Auch "The Composition Of Incense" ist feinste und tiefsinnige Psychedelic – in Zeitlupentempo und mit stoisch sägenden Strings und mystisch wirkendem mazedonischen Gesang.  "Is There Anyone Cruisin' Round The Garden?" markiert das Ende der originalen Trackliste und ist auch das kürzeste Stück. Für mich auch das schwächste im Vergleich zu den vorangegangenen Schwergewichten. Allerdings bedeutet bei dieser Band ein – subjektiv so empfunden – schwächerer Titel nicht mehr und nicht weniger, als dass so eine Nummer manch anderer Band zur Ehre gereichen würde.

Mit den Singleversionen von "The Infant King" sowie "Vermilion Sands", die das Label als Bonustracks der Neuauflage des 1991er Meisterwerkes spendiert hat, endet eine großartige musikalische Reise, nicht minder großartiger Musiker. Absoluter Tipp meinerseits!

Ein zweiter Tipp an alle Fans und die, die es nach Hören dieses Albums noch werden: Im Sireena Shop gibt es eine auf 100 Exemplare limitierte Vinylausgabe von "Lavender" plus Vinylsingle und Fotokarte.


Line-up The Perc Meets The Hidden Gentleman:

Tom 'The Perc' Redecker (vocals, acoustic guitar, organ, piano, strings, synthesizer, bass)
Emilio 'The Hidden Gentleman' Winschetti (vocals, guitar)

& The Lavender Orchestra:

Birdbox (percussion)
The Voodoo (Tablas – #6)
Rüdiger Klose [†] (drums – #2)
Achim Färber (drums – #6,10)
Uwe Bauer (drums – #5)
Jochen Schoberth (synthesizer guitar – #1)
Tex Morton (guitar – #6)
Clive Gray [†] (guitar – #3,6,9)
Rudi Freese (guitar and vocals – #5)
Peter Apel (guitar – #2)
Stefan Walkau [†] (bass – #6,10)
Harry Schröder (bass – #5)
Chooby Harry Payuta (bass – #2)
Alexander Veljanov (macedonian vocals – #7)
Lea Saby (vocals – #3,9)

Tracklist "Lavender":

  1. Blind Faith (3:27)
  2. This Moon Of Both Sides (5:56)
  3. The Infant King (5:06)
  4. Hole In My Head (4:28)
  5. Hall Of Fame (4:07)
  6. The Lavender Cantos Part I-IV (12:25)
    I] Vermilion Sands Or The Snowbird And The Shrine
    II] Himinam Ana Airthai (Heaven On Earth)
    III] Seven Flags On The Peak
    IV] The Return Of The Snowbird
  7. The Composition Of Incense (5:57)
  8. Is There Anyone Cruisin' Round The Garden? (2:21)
  9. The Infant King (Single A Side) [Bonustrack] (3:29)
  10. Vermilion Sands (Single B Side) [Bonustrack] (3:31)

Gesamtspielzeit: 49:49, Erscheinungsjahr: 2021 (1991)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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