Stramm auf Mitte Siebzig steuern sie zu, die Rock’n’Roll-Veteranen Mick Jagger, Keith Richards sowie Charlie Watts und Ronnie Wood ist auch nicht wesentlich jünger. Finanziell haben sie schon lange ausgesorgt, aber sie haben immer noch Bock auf die Bühne, Bock auf Musik und den ganzen Rummel drum herum. Exzessive Tourneen gehören zwar mittlerweile der Vergangenheit an und auch von der neuen (wahrscheinlich letzten) Studioscheibe sollte man nicht unbedingt ein Rock-Album erwarten. Aber nichtsdestotrotz: Es juckt ihnen noch in den Fingern, den Beinen und den Stimmbändern. Und wer will es ihnen auch verbieten? Wer’s nicht mag, der lässt die letzten DVD-Veröffentlichungen eben links liegen und erfreut sich an anderem.
Im März des laufenden Jahres schrieben die Rolling Stones noch einmal Geschichte: Zum ersten Mal in ihrer 54-jährigen Karriere spielten sie ein Konzert auf Kuba. Was gar nicht mal der Band, sondern vielmehr den politischen Gegebenheiten der letzten Jahrzehnte geschuldet war. Nicht ganz unerwartet (und dennoch atemberaubend) tauchten zu der Show am 25. März 2016 laut Booklet… ahem… 1,2 Millionen Fans auf. Unvorstellbar… eigentlich gar nicht zu fassen. Logischerweise bot es sich bei einem solchen Spektakel an, auch die Filmkameras mitlaufen zu lassen und den Abend für immer zu verewigen. Ein bisschen schade ist, dass darauf außer dem Konzert selbst kaum etwas enthalten ist. Direkt zu Beginn gibt es ein paar Minuten mit Bildern aus Havanna und Kommentaren der Bandmitglieder aus dem Off. Anschließend geht es – gespickt mit tollen Aufnahmen aus dem Publikum mit bis in die Haarspitzen gespannten Menschen, denen man deutlich ansieht, dass sie es kaum erwarten können, bis es endlich losgeht – umgehend mit dem Auftritt weiter.
Verdammt gut sehen sie aus, die vier Stones-Musiker, die sich im Dezember 2015 tatsächlich nochmal (für drei Tage!!!) ins Studio begeben hatten und noch in diesem Dezember ein Blues-Album namens "Blue And Lonesome" präsentieren werden. Gut gelaunt, ein bisschen faltig vielleicht, aber richtig gesund und energiegeladen kommen sie rüber. Den Auftakt macht ein knackiges "Jumpin' Jack Flash", dem mit "It’s Only Rock’n’Roll (But I Like It)" gleich der nächste Rocker nachgeschoben wird. Die Engländer fahren – für diesen Anlass auch nachvollziehbar – die komplette 'Greatest Hits'-Kiste auf, wobei auffällt, dass dabei mit Ausnahme von "Out Of Control" (aus den Neunzigern) und "Start Me Up" (von 1981, wobei die Nummer selbst damals schon einige Jahre mehr auf dem Buckel hatte) sämtliche Stücke aus den Sechzigern und Siebzigern stammen.
Und sonst? Die Band spielt gut, abgeklärt, routiniert, greift auch mal knapp daneben (Keith!) und scheint sich prächtig zu verstehen. Was auf der einen Seite natürlich gut ist, auf der anderen aber auch ein bisschen schade, da gerade die Spannungen zwischen den Musikern (speziell Jagger und Richards) in früheren Jahren sehr oft für eine intensive und hochgradig energiegeladene Atmosphäre auf der Bühne sorgten. Aber das sind eigentlich nur Randerscheinungen, denn ich hatte es bereits erwähnt: Stones-Konzerte in der Art, wie sie bis zum Abschluss der mittleren Band-Phase (die Europa-Tour 1982) stattfanden, gehören wohl endgültig der Vergangenheit an.
Bezüglich der Begleitmusiker gab es (teilweise zwangsläufig) ein paar Änderungen. Der verstorbene Bobby Keys am Saxofon wird natürlich vermisst, dazu fällt umgehend die Abstinenz der bärenstarken Background-Sängerin Lisa Fisher auf. Beide werden aber gut vertreten und mit Chuck Leavell (piano), Matt Clifford (keyboards), Darryl Jones (bass) sowie Bernard Fowler (background vocals) sind noch viele langjährige Sidekicks mit von der Partie. Sasha Allen macht bei den weiblichen Gesangsparts (u. a. bei "Gimme Shelter") eine richtig gute Figur und auch die Saxofonisten lassen nichts anbrennen. Ich weiß nicht, ob es an meinem Fernsehgerät liegt, aber mir kommen die Gitarren bei der DVD deutlich zu leise vor, was bei den CDs nicht der Fall ist. Davon abgesehen gibt es am Sound aber kaum was zu rütteln und auch die Bildführung lässt wenig zu wünschen übrig.
Welche 'Leuchte' allerdings auf die Idee kam, das Konzert für die DVD-Version zu zerstückeln (einfach mal fünf Songs rauszuschneiden und dann aus dem Kontext gerissen als Bonus-Material zu präsentieren), würde mich schon interessieren. Eine vollkommen sinnlose Aktion, die schlicht und ergreifend nicht nachvollziehbar ist. Sollte der Hauptfilm ein gewisses Zeitlimit nicht sprengen und falls ja, für wen? Sollte der Streifen in der Nachverwertung auch noch für TV-Anstalten (die sich dann trotzdem alles so zusammenschneiden, wie es ihnen in den Kram passt) passend gemacht werden? Einfach nur ärgerlich…
Aber ich möchte dieses Review nicht mit negativen Vibes beschließen, denn die Band ist nach wie vor voll im Saft, das Konzert (mit wenigen Abstrichen) superklasse anzusehen und letzten Endes war dies ein Event, der in die Annalen der Musik-Historie eingehen wird. Wer diese Jungs davor schon geliebt hat, der wird auch "Havana Moon" mit einem süffisanten Lächeln genießen können, ab und zu mal schmunzeln, aber ebenso um die eine oder andere Überraschung erfreut sein.
Die RockTimes-Redaktion ist auf das kommende Studioalbum jedenfalls schon gespannt wie der oft angeführte Flitzebogen!
Line-up The Rolling Stones:
Mick Jagger (guitar, harmonica lead vocals)
Keith Richards (guitars, lead vocals – #7,16[DVD])
Charlie Watts (drums)
Ronnie Wood (guitars)
With:
Darryl Jones (bass, background vocals)
Chuck Leavell (keyboards, musical director)
Karl Denson (saxophone)
Tom Ries (saxophone, keyboards)
Matt Clifford (keyboards)
Bernard Fowler (background vocals)
Sasha Allen (background vocals)
Coro Entrevoces (choir – #12 [DVD])
Tracklist "Havana Moon":
CD 1:
- Jumpin' Jack Flash
- It’s Only Rock’n’Roll (But I Like It)
- Tumbling Dice
- Out Of Control
- All Down The Line
- Angie
- Paint It Black
- Honky Tonk Women
- You Got The Silver
- Before They Make Me Run
- Midnight Rambler
- Miss You
- Gimme Shelter
- Start Me Up
- Sympathy For The Devil
- Brown Sugar
- You Can’t Always Get What You Want
- (I Can’t Get No) Satisfaction
- Jumpin' Jack Flash
- It’s Only Rock’n’Roll (But I Like It)
- Out Of Control
- Angie
- Paint It Black
- Honky Tonk Women
- You Got The Silver
- Midnight Rambler
- Gimme Shelter
- Sympathy For The Devil
- Brown Sugar
- You Can’t Always Get What You Want
- (I Can’t Get No) Satisfaction
Bonus Tracks:
- Tumbling Dice
- All Down The Line
- Before They Make Me Run
- Miss You
- Start Me Up
Gesamtspielzeit: 64:02 (CD 1), 55:23 (CD 2), 138:00 (DVD), Erscheinungsjahr: 2016
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