1967 war nicht gerade ein gutes Jahr für die Rolling Stones. Brian Jones hatte ständig das Rauschgift-Dezernat im Nacken, bereits ein paar Klagen der Staatsanwaltschaft am laufen und wurde immer paranoider. Seine große Liebe Anita Pallenberg verlor er an den Bandkollegen Keith Richards (was das endgültige Aus dieser Freundschaft bedeutete) und schließlich war da noch die große Razzia auf Richards Landsitz Redland’s während einer Party, die Keith und auch Mick Jagger ein Gerichtsverfahren und zumindest die eine oder andere Nacht im Knast einbrachten. LSD und andere illegale Substanzen hatten Einzug ins Leben der Bandmitglieder gehalten und mitten in diesem ganzen Chaos aus Angst vor Haftstrafen und einem gebrochenen Herzen sollte auch noch Musik entstehen? Tatsächlich passierte diesbezüglich auch nicht allzu viel. Von Ende März bis Mitte April fand eine dreiwöchige Europa-Tour statt und im Juni wurde die Single "We Love You" aufgenommen, eine zynisches Statement an die sogenannten Sittenwächter, die die Stones zu dieser Zeit schwer im Visier hatten.
Von Anfang August bis in den Oktober hinein entstanden dann während etwa vier Wochen im Studio die Aufnahmen zu "Their Satanic Majesties Request", einer Scheibe, die nach wie vor nicht den allerbesten Stand sowohl bei Fans als auch Kritikern hat. Dabei ist das Album – von ein paar Schwachpunkten abgesehen – wesentlich besser als sein Ruf, nur halt anders… Im Januar jenen Jahres war mit "Between The Butttons" das wohl poppigste aller Stones-Alben erschienen, jetzt ließ sich die Band in psychedelische, futuristische Sphären treiben. Eine Richtung, die man ihr nicht unbedingt abnahm. Das fing bereits mit dem Cover an, auf dem sich die ansonsten mit Straßenklamotten auf den Bühnen und im Fernsehen agierenden Musiker in buntem Fummel, abgefahrenen Hüten und vor ziemlich surreal anmutendem Backdrop präsentierten. Auch musikalisch war nicht alles Gold, sondern vielmehr Licht und Schatten was auf dieser neuen Scheibe, die schließlich im Dezember 1967 erschien, glänzte.
Als Einzelsongs betrachtet fallen sowohl das ziemlich uninspirierte (Fast-) Instrumental "Sing This All Together (See What Happens)", als auch "Gomper" eher durchs Raster, selbst wenn Brian Jones wahrscheinlich den Spaß seines Lebens hatte, hier (wie auch auf dem gesamten Album) mit allen möglichen Instrumenten am Start zu sein. "The Lantern" ist okay, aber ganz sicher auch nicht die stärkste Jagger/Richards-Nummer in deren Songwriter-Karriere und "On With The Show" hätte eigentlich ein guter Song sein können, wäre er anders produziert und vielleicht auch gesungen worden. Die Strophen (mit – wären sie 'ausgesungen' worden – sehr cooler Gesangslinie) werden von Jagger wie durch ein Megaphon im Stile eines Animierers vor einem Strip-Club gebracht, was ihnen leider viel von ihrem guten Potential nimmt. Schade das alles, allerdings mit einem ganz dicken 'Aber' versehen, zu dem wir später noch kommen werden.
"Their Satanic…" hat im Gegenzug aber auch sehr starkes Material anzubieten. Während der Opener "Sing This All Together" noch sehr ungewohnt, dafür aber unmittelbar ansteckend daher kommt, erleben wir bei dem folgenden "Citadel" ein bärenstarkes Richards-Gitarrenriff, das von dem aggressiven Gesang Jaggers gekontert wird, bevor die Nummer in einen von zuckersüßen, aber nie faden oder flachen Melodien beseelten Refrain übergeht. Das erste absolute Highlight. Ebenfalls zum Besten gehört die erste Single-Auskopplung "She’s A Rainbow", die man auch bis zu diesem Tag noch im Radio hören kann. Bis heute maßlos unterschätzt ist dagegen das eher unkende, futuristische "2000 Man", das aber ebenso mit starkem Songwriting und einer glänzenden Hookline über die Ziellinie geht (und u.a. sogar von Kiss auf deren Album "Dynasty" aus dem Jahr 1979 gecovert wurde). Von den Stones noch Jahrzehnte später live auf der Bühne gespielt und heute ebenso als Band-Klassiker geltend ist "2000 Light Years From Home", das noch einmal die Futuristik von "2000 Man" (und teilweise auch "Citadel") aufnimmt. Tja, und dann gibt es da noch eine echte Spezialität. Denn auf diesem Album konnte der Bassist Bill Wyman seinen einzigen von ihm komponierten und gesungenen Track in den etwas mehr als dreißig Jahren seiner Zugehörigkeit einbringen. Der Verfasser dieser Zeilen findet die Nummer nicht nur richtig stark, sie fügte sich sogar ganz hervorragend in den Gesamt-Kontext ein. Und wo andere meinen, dass Wyman ein miserabler Sänger sei, kann meine Wenigkeit diesbezüglich nur müde abwinken. "In Another Land" ist ein cooles Stück, das durchaus seine Berechtigung auf der Platte hat. Der Joker im Ärmel der Stones war auf dieser Scheibe übrigens Nicky Hopkins, der den jeweiligen Stücken auf unterschiedlichen Tasten-Instrumenten noch das entscheidende Tüpfelchen auf dem 'i' verpasste.
Licht und Schatten also, sehr gute, gute und ein paar schwächere Songs. Wenn wir jetzt aber zu dem bereits angedeuteten großen 'Aber' kommen, dann ist ein Aspekt nicht zu übersehen: Die Platte bzw. die einzelnen Songs wirken zusammen wie ein großes Ganzes, verfügen insgesamt über eine dichte Atmosphäre und wirken tatsächlich auch heute noch wie ein Trip in die zweite Hälfte der Sechziger, in denen sowieso alles anders war als zuvor und danach. Der Verfasser dieser Zeilen hört "Their Satanic Majesties Request"– selbst wenn es keine offensichtliche Erklärung dafür gibt – am liebsten in den kalten, verregneten und verschneiten Wintermonaten, in denen man keinen Hund mehr vor die Tür schickt.
Ganz sicher nicht die beste Scheibe der Rolling Stones, aber dennoch eine, die wesentlich besser ist als ihr Ruf. Zum fünfzigsten Jubiläum hat Universal Music das Album noch einmal (sowohl als CD wie auch Vinyl) neu aufgelegt und das gleich doppelt. Einmal in der Stereo- und einmal in der Mono-Version. Vom Sound her sind beide Varianten überragend, wobei die Mono-Version eine Spur druckvoller aus den Boxen strömt. Schade ist lediglich, dass komplett auf zusätzliches Material (wie die Non-Album-Single "We Love You", die Single-B-Seite "Child Of The Moon" zu dem ca. ein halbes Jahr später erschienenen "Jumpin' Jack Flash" oder das Outtake "Shades Of Orange") verzichtet wurde. Insgesamt durch die richtig stark neu gemasterte Soundqualität aber dennoch ein echtes Sahnestückchen!
Line-up The Rolling Stones:
Mick Jagger (percussion – #1,5,8, maracas – #2,9,10, glockenspiel – #2, tambourine – #6, lead & background vocals)
Keith Richards (acoustic & electric guitars, fuzz bass – #2,9, bass -#10, background vocals)
Brian Jones (mellotron – #1-3,5-10, electric dulcimer – #2,8,9, flute – #2,5, saxophone – #1, percussion – #1,5, sound effects – #3, acoustic guitar – #4, vibraphone – #5, jew’s harp – #5, brass – #5, organ – #7, recorder – #8, harp – #10, concert harmonica – #10)
Bill Wyman (bass, piano – #3, organ – #3, mellotron – #5, oscillator – #9, lead vocals – #3)
Charlie Watts (drums & percussion, tambourine – #5,10, congas – #5, tabla – #8, claves – #10)
With:
Nicky Hopkins (piano – #1,5-7,9,10, organ – #4,8, harpsichord – #2,3)
John Paul Jones (string arrangement – #6)
Ronnie Lane (background vocals – #3)
Steve Marriott (background vocals – #3)
Eddie Kramer (claves – #9)
Tracklist "Their Satanic Majesties Request (The 50th Anniversary):
- Sing This All Together (stereo remaster)
- Citadel (stereo remaster)
- In Another Land (stereo remaster)
- 2000 Man (stereo remaster)
- Sing This All Together [See What Happens] (stereo remaster)
- She’s A Rainbow (stereo remaster)
- The Lantern (stereo remaster)
- Gomper (stereo remaster)
- 2000 Light Years From Home (stereo remaster)
- On With The Show (stereo remaster)
- Sing This All Together (mono remaster)
- Citadel (mono remaster)
- In Another Land (mono remaster)
- 2000 Man (mono remaster)
- Sing This All Together [See What Happens] (mono remaster)
- She’s A Rainbow (mono remaster)
- The Lantern (mono remaster)
- Gomper (mono remaster)
- 2000 Light Years From Home (mono remaster)
- On With The Show (mono remaster)
Gesamtspielzeit: 44:04 (CD 1), 44:04 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2017 (1967)
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