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The Show Must Go On – Zwischenruf

Show mus go on - in welchen Dimensionen sind Events noch beherrschbar?

Dieser Text wurde unter den Eindrücken der Berichte über die Unwetter und damit verbundenen Festivalabbrüche bei Rock am Ring 2016 in Mendig sowie Southside und Hurricane geschrieben. Darin geäußerte Gedanken treiben mich aber schon seit zig Jahren um. Vermutlich in kleinen Teilen schon seit meinem eigenen, ersten und letzten Rock am Ring Besuch im Jahr 1987.

Damals ging es zwei Tage und es gab zwei Bühnen, auf denen im Wechsel die etwa 20 Bands spielten. Eigentlich noch überschaubar. Trotzdem sind mir etliche Acts nicht wirklich in Erinnerung geblieben. Was nicht so sehr am Wetter lag, obwohl Dauerregen, Matsch, nette Gespräche unter Folien, die als Regenschutz dienten sowie schwere Unwetter in der letzten Nacht, auch damals schon an der Tagesordnung waren. Auch irgendwelcher Konsum von Alkoholika oder sonstigem ist nicht das, was meine Erinnerung trübt. Aber dazu später mehr…

Sind Musikevents in solchen Dimensionen noch beherrschbar?

Der Fairness halber möchte ich diese Frage nicht nur auf Rock am Ring beziehen, sondern generell auf derartige Großveranstaltungen. Ich will an dieser Stelle auch gar nicht all die organisatorischen Schwierigkeiten einzeln aufgreifen und bewerten. Events mit fünfstelligen Besucherzahlen und mehr bringen Situationen mit sich, die der Situation geschuldet sind: Schlange stehen, warten, vielleicht auch Versorgungslücken (so haben mehrere Redakteure schon erlebt, dass auf halber Strecke die Getränkevorräte der Buden zu Ende gingen und das, was den Besuchern am Eingang abgenommen worden war, zu den Ständen gekarrt wurde). Stau bei der Abreise, Stau bei der Anreise, vieles davon lässt sich auch mit guter Organisation nicht ganz vermeiden. Mal klappt es besser, mal schlechter. Die Sanis haben Arbeit, die Security sollte wissen, was sie tut, die dahinter stehende Logistik ist ein Riesenaufgabe. Weite Wege werden ab einer gewissen Größe unvermeidbar. Auf einem großen Open Air-Event kann man nicht damit rechnen, mal schnell ins Auto zu gehen, wenn es kräftig regnet. Geschweige denn reinflüchten, wenn einem das Zelt durch Unwetter um die Ohren fliegt, so wie bei meinem Rock am Ring Besuch damals, als die Autos noch direkt bei den Zelten standen, bzw. gleich als Unterkunft dienten. Umso wichtiger sind möglichst frühzeitige Durchsagen bei Unwetterwarnungen, damit Besucher eine Chance haben, sich in Sicherheit zu bringen. Müsste nicht eigentlich die maximale Entfernung, die Besucher zurücklegen müssen, der Maßstab für die Vorwarnzeit sein? Und wenn die nicht zu gewährleisten ist und keine sicheren Ausweichplätze zur Verfügung stehen, ist es dann zu verantworten, das Event weiterzuführen? Natürlich sind auch die kleinen Festivals nicht gegen Unwetter gefeit – siehe die Absage des Summernight Open Air, das die Veranstalter, einen kleinen Verein hart getroffen hat.

Wird das Wetter halten?

Wird das Wetter halten?

Ganz klar, je größer das Ereignis, umso größer die räumliche Ausdehnung, desto weiter die Wege. Je größer die Veranstaltung, desto mehr Security, Merch, sonstige Logistik, die die erforderliche Koordination und Überwachung immer schwieriger macht. Was wieder zur Frage in der Überschrift zurückführt – sind Musikevents in solchen Dimensionen noch beherrschbar?
Spätestens wenn der Einzugsbereich größer ist und das Event sich über mehrere Tage erstreckt, werden Campingmöglichkeiten nötig und werden auf Plätzen eingerichtet, die dafür gar nicht gedacht sind. Dixie-Häuschen, Duschen, Einkaufsmöglichkeiten, Wege, Ausschilderung usw. bringen nicht nur Herausforderungen mit sich, sondern kosten auch Geld und müssen sich zwangsläufig in den Ticketpreisen niederschlagen.

Vielleicht ist es da sogar naheliegend, noch ein bisschen mehr anzubieten, damit sich all diese Investitionen lohnen. Noch eine Band, eine zweite Bühne oder gar ein dritte, die dann Alternativprogramm zu den anderen bietet, bietet sich dann an. Wenn schon, denn schon…. und schon läuft die immer größer – immer schneller-Spirale. »The Show Must Go On!« Dahinter steckt vermutlich auch der Versuch, einen möglichst großen Interessentenkreis anzusprechen. Wer nicht wegen Headliner A kommt, kommt vielleicht wegen Headliner B oder vielleicht wegen drei der Bands zu den anderen Zeiten. Irgendwas Interessantes wird schon für Jeden dabeisein… und wenn es nur die vielgerühmte Atmosphäre ist, wegen der das Ticket gekauft und angereist wird. Party auf dem Parkplatz/Camping, über den es so mancher ohnehin nicht mehr hinausschafft. Dabei sein ist alles. Was die nächste Frage aufwirft:

Geht es überhaupt noch um die Musik?

Wer geht noch auf ein Festival, weil er wirklich zwei oder drei Tage Musik erleben will? Und auf welches Festival geht derjenige? Auf das, das neben Black Sabbath Fettes Brot auf dem Plan stehen hat? Auf eines, bei dem ihn aus dem Überangebot vielleicht 10% der Bands wirklich interessieren? Mein Rock am Ring Besuch damals, kam eher zufällig zustande. Eigentlich hatten wir Tickets für Bowie in Stuttgart – das wurde abgesagt, der Ring als Alternative ohne Aufpreis angeboten. Na gut, Hauptsache Bowie…alles Andere war dann halt dabei, brachte erfreuliche Entdeckungen wie Flatsch! mit sich, ließ aber auch andere Musiker irgendwo unter ferner liefen (sprich auf der anderen Bühne) untergehen, so wie Bob Geldof beispielsweise. Den lernte ich erst etliche Jahre später in der vergleichsweise kleinen Mannheimer Feuerwache so richtig schätzen. Auf Rock am Ring? Ganz ehrlich, ich kann mich nicht erinnern, es waren einfach zu viele. Die großen Events waren für mich persönlich eher notwendiges Übel, um namhafte Größen zu sehen. Die sind mir in Erinnerung geblieben, weil sie das Ziel waren. Andere Acts, die mich im kleineren Rahmen total begeisterten, gingen einfach in der Fülle der Eindrücke unter, weil meine individuelle Aufnahmefähigkeit ausgereizt war. Nicht wegen zugeknallter Birne, sondern weil es zu viel von allem war. Die großen Events, von denen ich hier spreche, waren immer noch überschaubar, im Vergleich zu dem, was mittlerweile Usus ist. Denn irgendwann in den 90er Jahren nahm die immer größer – immer schneller-Spirale Fahrt auf. War beispielsweise das Bizarre Festival 1987 noch eintägig und mit Bands bestückt, die mich damals wirklich interessierten (The MissionSiuoxsie And The Banshees sowie Iggy Pop), so wuchs es innerhalb weniger Jahre ebenfalls zum bunten Gemischtwarenladen an. Wird schon für jeden Geschmack irgendwas dabei sein und wenn nicht, dann wird es die Atmosphäre richten. Denn – geht es dabei überhaupt noch um die Musik?

Was aber, wenn es wirklich um die Musik geht?

Ax Genrich beim PSI-Rock Open Air 2014

Nach drinnen verlegtes PSI-Rock Open Air 2014

Gerade nach den Ereignissen in Mendig, aber auch durch die dadurch hervorgerufenen Erinnerungen, freue ich mich schon jetzt auf das nächste Finki-Festival. Auch wenn es vielleich wieder regnet, schüttet, gewittert – das Auto steht keine 10 Minunten entfernt. Oder ein PSI-Rock-Festival im 7er Club, das gegebenenfalls nach drinnen verlegt wird. Oder ein anderes dieser vielen kleinen aber feinen Events, die statt 80 Bands nur eine Handvoll bieten, dafür aber mit recht hoher »wenn dir dies gefällt, wird dir auch das gefallen«-Wahrscheinlichkeit. Und selbst dort stellt sich oft irgendwann das Gefühl ein, nicht mehr mehr aufnehmen zu können. Und seien die Bands noch so gut, irgendwann ist ein Füllstand erreicht und überschritten. Wie angenehm sind dann Umbaupausen. Oder die Möglichkeit, ein paar Meter weg und doch immer noch nah dran, kurz abzuschalten, um wieder mit Freude weiterhören zu können.

Indoor wie auch Open Air gibt es ein reichhaltiges Angebot kleinerer Festivals für alle Geschmäcker. Metaller zieht es vielleicht eher zum Hammer Of Doom, dem A Chance For Metal, Rock Hard oder zum NOAF. Blueser können quer durch die Republik und auch über die Landesgrenzen hinaus fündig und glücklich werden, ob bei Blues Moose Veranstaltungen, Go Music oder irgendeinem der zahlreichen anderen Bluesfestivals. Garantiert wettersicher und mit Sicherheit ein ganz beeindruckendes Erlebnis ist das German Kultrock in der Balver Höhle. Und wenn ihr mehr finden wollt, dann stöbert einfach mal bei den Events in unserem Archiv, da haben sich über die Jahre etliche Berichte angesammelt, von Metal-Kreuzfahrten bis Zappanale.

Für mich persönlich sind drei bis vier Bands pro Tag das Optimum. Wenn es früh losgeht, dürfen es auch fünf sein. Umbaupausen sind mir dabei ganz lieb, denn dann kann ich selbst auch pausieren ohne was zu verpassen, was ich gerne sehen möchte. Auch bei Festivals gilt unser Motto »Nimm dir Zeit für gute Musik!«. Dazu passen die kleineren Events, die nicht nur organisatorisch, sondern auch für meine Aufnahmefähigkeit beherrschbarer sind.

Wie seht Ihr das, liebe Leser? Lieber Party bis morgens um fünf und Dauerbeschallung aus allen Ecken, totaler Overkill oder klein aber fein? Wieviele Bands in welchem Zeitraum sind Euer Optimum und welches Festival mögt Ihr am liebsten?

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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Mail: sabine(at)rocktimes.de

3 Kommentare

  1. Ulli Heiser

    Das nennt man Tradition. War schon weiland in Woodstock so 🙂

    1. Sabine Feickert

      Welche Tradition, Ulli? Schlammwaten oder musikalischer Overkill? 😉

  2. Andrea Groh

    sehr passend… dieser Artikel zum zweiten Wacken-Tag… ja, das W:O:A fing bereits Mittwoch an, auch wenn da "nur" 5 (!) Bühnen benutzt wurden…
    Heute sind es 7, morgen 8 (!!) – und mehrere Bands spielen nach Mitternacht erst, darunter die Thrash-Größe Testament, als allerletztes um 2:20 Uhr dann Kampfar… wer ist dann noch wach, der sich morgens die ersten um 11 Uhr angesehen hat…

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