Was im Nebel der Vergangenheit etwas untergegangen zu sein scheint ist die Tatsache, dass der seit Jahrzehnten anerkannte und respektierte englische Gitarrist Chris Spedding Mitte bis Ende der siebziger Jahre auch ganz kräftig seine Händchen im Londoner Punk Rock drin hatte. So half er damals beispielsweise den Sex Pistols bei der Einspielung bzw. den Aufnahmen zu ihrem ersten Demo oder spielte auch mal ein Radio-Konzert mit der damals noch blutjungen Band The Vibrators. Irgendwie bestand auch danach immer wieder lockerer Kontakt zur letztgenannten Band, aber über die Jahre verlor man sich dann doch aus den Augen. Umso überraschter war die Band über einen Anruf Speddings und die Frage, ob sie nicht Lust hätte, ein Album in ihrer Original-Besetzung mit ihm einzuspielen. Neben der Freundschaft und dem gegenseitigen Respekt waren die Punk-Rocker dem guten Chris wohl auch noch einen Gefallen schuldig und so dauerte es nicht lange, bis die Idee tatsächlich umgesetzt wurde.
Nun gut, wenn man bedenkt, dass die erste Zusammenarbeit vor mehr als vierzig Jahren stattfand, kann man sich das heutige Alter der Protagonisten in etwa ausrechnen. Nicht, dass etwa die Qualität unter dem fortgeschrittenen Alter von Musikern zwangsläufig leidet, nur ist oft die alte Spritzigkeit nicht mehr ganz so prall wie einst. Und so hört sich "Mars Casino" dann auch an – genau genommen ein ultracooles Rockalbum mit starken Riffs und immer noch ordentlich Bumms, aus innovativer Sicht allerdings in etwa so aufregend wie das Testbild eines schwarz-weiß-Fernsehers in den Siebzigern. Wem das nichts ausmacht, der wird hier allerdings durchaus seinen Spaß haben. Das 'Punk' im 'Punk Rock' kann man bei The Vibrators mittlerweile zwar geflissentlich streichen, dennoch haben wir es mit rauem und ungeglättetem Rock ohne Bügelfalten zu tun.
Die Lead Vocals hat sich Spedding brüderlich mit Knox und John Ellis geteilt und auch auf seinem Instrument drängt sich der gefragte Session-Gitarrist nie wirklich in den Vordergrund. Typisch Team-Player eben. Auf diesen 13 Tracks schaffen es die Briten immer wieder melodische Gesangslinien an den Start zu bringen, die andererseits aber nie süßlich in den Ohren kleben bleiben. Der Gesang hört sich manchmal etwas achselzuckend bzw. altersweise-gewisse Dinge einfach nur noch akzeptierend an, was allerdings sehr gut zu den Texten passt und in der Melange eine dichte Chemie entwickelt, die ein ganz bestimmtes Feeling kreiert. Speddings hervorragende Arbeit an der Sechssaitigen nimmt man dann zunächst auch gar nicht so bewusst war, bis sich die Ohren während der nächsten Hördurchläufe plötzlich immer mehr spitzen. Der Mann ist immer noch richtig klasse auf seinem Instrument.
Und genauso wie die Gitarrenarbeit des Engländers, kriechen auch die Songs immer mehr unter die Haut des Hörers. Somit sollte man sich keinesfalls vom ersten Eindruck leiten und die Scheibe möglicherweise enttäuscht auf den 'Fehlkauf-Stapel' legen, denn "Mars Casino" wächst mit jedem Hörduchlauf mehr. Klassik-, Jazz- und Pop-Puristen werden hier zwar mit Sicherheit nicht glücklich werden, allen anderen sei das Anchecken von Nummern wie "Jesus Stole My Little Dog", "Platinum Dress", "Paper Tiger" (super Gitarre!) oder "Follow Your Destiny" aber durchaus empfohlen. Wollte man ganz böse sein, könnte man "Mars Casino" vorschnell und verächtlich als 'Alte-Herren-Rock' abtun, aber das wäre ein großer Fehler. Denn rocken können diese Jungs nach wie vor. Und wie!
Line-up The Vibrators and Chris Spedding:
Chris Spedding (guitars, lead & background vocals)
Pat Collier (bass, background vocals)
John Ellis (guitars, lead & background vocals)
Knox (guitars, lead & background vocals)
Eddie (drums & percussion, background vocals)
Tracklist "Mars Casino":
- Mars Casino
- Jesus Stole My Little Dog
- Garbage Can
- Turn The Pages
- Big Black Sea
- Woman 3.2
- Follow Your Destiny
- Love Me Forever
- Made In Heaven
- Platinum Dress
- Passing Of Day
- Paper Tiger
- This Is The Way
Gesamspielzeit: 44:08, Erscheinungsjahr: 2020
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