Ob die 1990 gegründeten 'Apples' weit vom berühmten Stamm fielen, darüber lässt sich spekulieren. Vermutlich um derart naheliegenden Vergleichen vorzubeugen, verwandelte Jakob Dylan sein fruchtbares Ensemble wenig später in das weithin bekannte eigenwillige Blumen-Arrangement. Die Wallflowers fristeten ihr vermeintliches Schattendasein jedoch bis zum Blitzerfolg ihrer zweiten Aussaat "Bringing Down The Horse" im Jahre 1996. "6th Avenue Heartache" schmerzte punktgenau als erste vielversprechende Single-Auskopplung. Und dann schlug "One Headlight" ein. Dylans riskante nächtliche Fahrweise erwies sich als Grammy-dekorierter Homerun, der seine Floristen unverzüglich in erlesene Kreise der Rock-Welt einführte. Heute, runde 25 Jahre nach jenem aufsehenerregenden Charts-Entrée, kann man auf zahllose Kollaborationen und Live-Auftritte mit Branchen-Lichtgestalten wie den Rolling Stones, Mike Campbell, Sheryl Crow, den Counting Crows, John Mellencamp, Mike McCready/Pearl Jam, Neil Young, Elvis Costello, T Bone Burnett/Bob Dylan, Jack Irons/Red Hot Chili Peppers oder Eric Clapton zurückblicken.
Eindrucksvolle Karrierehöhepunkte, die LA’s Straßenrandsbotaniker offenbar zu einigen sehr beachtlichen Cover-Versionen hingerissen haben müssen. Für Film-Soundtracks spielten sie unter anderem David Bowies "Heroes" ("Godzilla") ein. Den zeitlos anmutigen Bee Gees-Klassiker "I Started A Joke" vernimmt man in "Zoolander", und unter der Kategorie 'Besser als das Original' ist eine wirklich fantastische Version von Van Morrisons "Into The Mystic" einfach nur wärmstens ans Ohr, bzw. Herz zu legen! Jakob Dylans wahrhaftes Faible für anerkannte Rock-Historie dürfte dank allseits lobender Kritiken und medialer Aufmerksamkeit kürzlich auch durch "Echo In The Canyon" einer breiten Öffentlichkeit nähergebracht worden sein. In diversen Interviews auf sein glanzvolles Rockumentary angesprochen, schwärmt Dylan noch immer von den außerordentlichen Begegnungen mit Brian Wilson, Jackson Browne, Graham Nash, Michelle Phillips, ja sogar David 'Giftpfeil' Crosby, und vor allem mit dem entwaffnend authentischen, südöstlich geborenen West-Coast-Star der nächsten Generation, der selbst faszinierter Bewunderer des Laurel Canyon-Phänomens war – Tom Petty.
Brillante irdische und überirdische Einflüsse sind es also, die den sympathisch zurückhaltenden, nahen Verwandten eines renommierten Literatur-Nobelpreisträgers lehrbuchartig geprägt haben und dessen Band zu sechs Studioalben inspirierten. Schöpferische Schaffenspausen datieren die letztmalige Zusammenarbeit für "Glad All Over" ins Jahr 2012 zurück. Viele Wallflowers tauschten im Laufe ihrer Wachstumsphasen zudem die Plätze an der Wand ihres nicht allzu fest im Boden verankerten Firmengebäudes. Übrig blieb stoisch kompromisslos Jakob Dylan, der mittlerweile unmissverständlich erklärt, er ist die Band – die Band ist er. Nach zwei traditionell bezeichneten Solowerken, bereits vor rund zehn Jahren veröffentlicht, erschien nun sein nächstes, wiederum in Eigenregie und aus handwerklicher Überzeugung kategorisch live aufgenommenes Wallflowers-Kapitel "Exit Wounds".
Den jugendlichen, lauthalsen Alternative Sound von "The Difference", "One Headlight" und Co. hat Klanggärtner Jakob unglaubliche zweieinhalb Jahrzehnte nach der kometenhaften Hochblüte seiner Mauerblumen hinter sich gelassen. Sehr akzentuiert diktiert er stattdessen den aktuellen Zustandsbericht der Wallflowers ins Mikrofon. Subtile, ganzheitliche, rhythmisch treibende Seelentrips durchfährt man hier auf einer erdigen, sehr organischen Roads-Rock-Spur, alles zwei Stufen leiser und eine Oktave tiefer als die krachenden MTV-Neunziger damals blasteten. "Maybe Your Heart’s Not In It No More" startet den medizinischen Befund von "Exit Wounds". Zugegebenermaßen attraktiv hört sich das an. Eingängig und unerwartet. Gesanglich hervorragend assistiert wird Dr. Dylan von Country-Szene-Größe Shelby Lynne. Nurse Shelby unterstützt den rauen Mentalchirurgen noch bei drei weiteren Song-Diagnosen und gemeinsam stellt das Team der Cross-over-Spezialisten seine wirksame interdisziplinäre Folk-Roots-Rock-Therapie vor.
Ist man (zurecht?) überrascht von Dylans songwriterischen Qualitäten? Ja, man ist. Den schmutzigen Staub gelebten Lebens von tatsächlich schon 51 Jahren pustet der Folk-Poet schmerzhaft, sarkastisch, desillusioniert und doch manchmal hoffnungsvoll ins Gesicht des Hörers. Von der Straße weg parkt er den Rettungswagen vor der "Dive Bar In My Heart" und verbindet die 'Austrittswunden' seiner Schussopfer mit feinen Bar-Rock-Saiten und ein paar herzzerreißenden second-hand Emotionen. Hellwach geht der Dramaturg dann das Projekt des nächsten Tages an: "Move The River" ist ein ziemliches Kabinettstück und ambitionierter Durchschläger des Longplayers – kraftvoll, ausdrucksstark zelebrierte Sehnsucht nach Veränderung in den in einer neuen Dimension aufgewühlten Jahren seit 2016. Ein Anfall von ohnmächtiger Wut, das "Who’s That Man Walking 'Round My Garden" scheinbar ebenso zu vermitteln versucht.
"Wrong End Of The Spear" und "The Daylight Between Us" bewegen sich stilistisch nah am "River"- oder "Nebraska"-Springsteen, dessen charakteristische Glaubwürdigkeit, lyrische Bildhaftigkeit und nicht zuletzt stimmliche Präsenz man durchaus auch Dylan bescheinigen möchte, der selbst fast wie der frühe 80er Boss klingt.
Flüsse wird er sicher nicht versetzen, dennoch zieht der Wahl-Kalifornier erstaunlich souverän wie trendresistent seine Bahnen in vielfach erkundeten Gewässern und macht eigentlich nicht viel falsch, muss man anerkennend feststellen.
Alles in allem ist Jakob Dylan ein selbstbewusstes, stimmiges Album gelungen, das klärt, warum sich der stahlblauäugige Rockromantiker die sprichwörtliche Butter schon längst nicht mehr vom Brot nehmen lässt. Die Wallflowers scheinen endgültig angekommen, haben ihre Wurzeln absolut zeitbeständig untermauert und ihren Charme auf den zweiten Blick zielsicher installiert.
Und ich kann mir nicht helfen, man fragt sich doch, was er wohl so über diese neue Arbeit seines nahen Verwandten denkt … der Nobelpreisträger.
Line-up The Wallflowers:
Jakob Dylan (vocals, guitar)
Butch Walker (guitar, keyboards, percussion, backing vocals)
Mark Stepro (drums)
Whynot Jensveld (bass)
Aaron Embry (keyboards)
Val McCallum (guitar)
Shelby Lynne (vocals – #1, 5-7)
Brian Griffin (drums – #6)
Tracklist 'Exit Wounds':
- Maybe Your Heart’s Not In It No More
- Roots And Wings
- I Hear The Ocean (When I Wanna Hear Trains)
- The Dive Bar In My Heart
- Darlin' Hold On
- Move The River
- I’ll Let You Down (But Will Not Give You Up)
- Wrong End Of The Spear
- Who’s That Man Walking 'Round My Garden
- The Daylight Between Us
Gesamtspielzeit: 39:53, Erscheinungsjahr: 2021
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