Unfassbar, fantastisch, epochal. Ein Jahrhundert-Ereignis mit einer Jahrtausend-Band. So oder so ähnlich klangen in der Samstag-Nacht die Kommentare, als wir uns auf den Weg von der 'KöPi-Arena' zum Parkhaus machten. »Ich hab Rotz-und-Wasser geheult«, sagte Moni mit bewegter Stimme. Fast ein wenig war es mir peinlich, zuzugeben, dass auch mir beim Intro zu "Behind Blue Eyes" und vor allem dem legendären Keyboard in "Baba O’Riley" irgendwie der Blick ein wenig trübe geworden war. The Who haben uns gerockt? Nein, sie haben uns verzaubert, elektrisiert und zerlegt, sie haben die Geschichte unserer Jugend in zwei unübertrefflichen Stunden wach werden und in einem nie erwarteten Glanz erstrahlen lassen. Zwei alte Haudegen spielen dem Rest der Welt den Arsch ab! Ich würde mich selbst als bekloppt bezeichnen, wenn ich das erwartet hätte.
Rückblende zum Mittag. Den absoluten Klopfer bringt meine Mutter. »Junge, in Bissingheim« (ein besonders verträumter Teil von Duisburg) »haben sie eine neue Bude aufgemacht. Die machen auch Musik. Ich glaube, diese Huh kommen auch dahin«. Da muss irgendwas durcheinander geraten sein, ich erkläre ihr, dass Die Huh The Who heißen, und wer sie waren und sind. »Nein Mutter, The Who werden wohl eher nicht in Bissingheim spielen«. Schade ist es schon…
Noch ein Flashback, diesmal 35 Jahre in die Vergangenheit. Albrecht Metzger philosophiert im 'Rockpalast' darüber, dass wir gleich alle an die Energie und Elektrizität von Pete Townshends Gitarre angeschlossen werden, sozusagen direkt über den Äther und schon wenig später erleben wir die Urgewalt einer der großartigsten Live-Bands in der Geschichte der Kultur. Gefolgt von ihren alten Woodstock-Veteranen-Freunden The Grateful Dead, die ansonsten sehr wenig mit der Londoner Jugend-Revoluzzer-Truppe gemeinsam haben, abgesehen vielleicht von der Treue ihrer Fan-Gemeinde. Idole für ein halbes Jahrhundert. Es wurde eine Nacht, die meine Generation beeinflusste. Eine Generation später, nachdem "My Generation" wiederum die damals jungen Menschen verrückt gemacht hatte.
Zurück im Hier und Jetzt: Nach einem Klasse-Auftritt von den Slydigs, die mit ihrem gradlinigen Britischen Rock allein einen Besuch wert sind, betreten die Helden die Bühne, als letzte natürlich die beiden Haupt-Protagonisten. Pete Townshend und Roger Daltrey, die Alpha-Tiere, die nicht immer nur Freunde waren. Aber allein die Band hat es in sich, ist alles andere als nur Begleitung zweier Legenden. Pino Palladino galt nach dem Tod von John Entwistle bei Pete und Roger als der Wunschkandidat für die tiefen Töne. Wenn man liest, mit wem Pino schon alles gespielt hat, dann versteht man, warum. Und Zak Starkey, der trommelnde Sohnemann des Beatles-Drummers Ringo Starr geht schon lange mit den Who auf Tour, wenn sie denn mal wieder unterwegs sind – eigentlich längst der legitime offizielle Mann am Schlag, der sein berühmtes Vorbild Keith Moon schon als kleines Kind kannte. 'Onkel Keith' hat er ihn genannt, nun sitzt er an dessen Stelle hinter der Schießbude. Schade, dass mir mein Vater solche Kontakte nicht hinterlassen hat. Und weil es gerade so schön familiär wird, passt es ganz gut, dass Pete seinen Bruder Simon Townshend als zweiten Gitarristen mitgebracht hat.
"Who Are You" war 1978 eine große Nummer, als die Band erstmals mit einem enormen Laser-Equipement auf ihrer Tournee anrückte. Was für ein bestechend klarer Sound, was für ein geiles Arrangement, das uns die Band gleich beim ersten Song um die Ohren haut. Mensch, das wird kein 'Reste-Verwertungs-Geschehen' mit hohem Mitleidsfaktor, wie ich es bei Johnny Winter zweimal sehr betrüblich erleben musste. Da sprühen die Helden vor Tatendrang und musikalischer Potenz – die sollen Ü 70 sein? Rogers Stimme kommt voller Wucht und Kraft daher, und Pete spielt an diesem Abend mit einer lässigen Entspanntheit und spielerischen Eleganz, gespickt mit seinen berühmten Riff-Rotationen und allen möglichen Sound-Malereien, wie ich ihn besser nie gehört und gesehen habe. Mit ihren Sonnenbrillen und hoch geschobenen Hemdsärmeln wirken die Beiden fast jugendlich, voller Frische und Elan.
Nach einem wunderschönen, fast klassisch anmutenden Klavier-Solo von John Corey steht mit "Love Reign O’er Me" eine echte Prüfung für Rogers Stimmgewalt auf dem Plan. Dieses dramatische Meisterwerk verlangt alle Kraft und Hingabe, aber der Junge macht das schon. Überhaupt ist die Freude groß, dass die Setlist zu einem erheblichen Anteil den beiden großen Konzeptalben, eben Tommy und Quadrophenia gewidmet ist, die quasi in einem Schnelldurchlauf behandelt werden. Ganze zehn Songs nimmt allein dieser Part ein, das bekamen wir damals in der 'Rocknacht 1981' nicht geboten.
Wenn ich im Vorfeld des Konzerts und bei der Betrachtung meines Lieblingswerks Who’s Next auf das früher ziemlich revolutionär geprägte Wesen ihres Schaffens hingewiesen habe, dann danken sie es mir besonders in "The Rock" aus "Quadrophenia" sozusagen auf ihre Weise. Die Hintergrundbilder, die ständig zwischen Vietnam, Nixon und Queen Elisabeth wechseln, wo Banker an den Pranger gestellt werden, um am Ende in 'Nine Eleven' zu kulminieren, dem Tag, der sich gerade zum fünfzehnten Mal jährt, dann zeigt das einmal mehr, dass The Who auch heute noch Stellung beziehen. Aber die Bösen Buben der Londoner Gesellschaft aus den Sechzigern sind durchaus auch schon so etwas ähnliches wie brave Bürger des Establishments geworden, längst kulturell anerkannt und als gesellschaftlich engagierte Menschen in Erscheinung getreten. 'Teen Cancer Trust' ist eine wohltätige Stiftung zur Hilfe krebskranker Jugendlicher, Pete Townshend und Roger Daltrey sind deren größte Unterstützer. Danke, dass Ihr Eure Popularität zu solchen Zwecken einsetzt. Rocker sind vielleicht doch die besseren Menschen.
In der zehn minütigen "Amazing Journey" aus der wohl berühmtesten aller Rockopern, "Tommy", überragt Pete mit seiner vielsaitig abwechslungsreichen Arbeit an der Gitarre zu den faszinierend spacigen Bildern auf dem Screen, da zeigt der Meister alle Paletten seines Könnens, das eben so viel mehr als nur aggressive Riffs umfasst. Beinahe progressive Strukturen auf knallharter Basis, da fehlen mir fast ein wenig die Worte.
Dann, am Ende, wird es dramatisch. Nachdem "Pinball Wizzard" verarbeitet und "Tommy" mit "See Me, Feel Me" enthusiastisch zu den Akten gelegt ist, weiß ich, dass jetzt nur noch zwei Stücke zum Glück fehlen. Und sie werden sie uns nicht vorenthalten. Für die Zugabe verlassen sie nicht einmal mehr die Bühne, jetzt wird der Sack zugemacht.
Just, als uns das berühmte Keyboard-Intro signalisiert, dass es uns "Baba O’Riley" in die Gehörmuscheln einpflanzen wird, da reißt es mich aus dem Sitz. Ein Jubelschrei, rhythmisches Geklatsche, eine tobende Halle – und Michel, der heult. Versteckt und nur ein bisschen. Irgendwie hab ich es selbst kaum wahrgenommen, ich will in diesem Moment einfach nur den Moment genießen – nichts anderes. Das ist die Musik, bei der ich noch einmal live dabei sein wollte. Sie schenken sie mir in einer Schönheit und Eleganz, die alle meine Erinnerungen und Erwartungen überbietet. Hier und jetzt geht es ab. Und ich bin mitten drin dabei. Wie damals, im 'Rockpalast'. Doch da hatte ich nur den Kopfhörer und die Glotze und ein randalierendes Meerschweinchen, das sauer war, im Käfig eingesperrt zu sein, während der Boss des Nachts feiert. Heute ist es hautnah, fühlbar, die Vibrations überall um mich herum.
Und weil uns das immer noch nicht reicht, kann es jetzt nur noch einen geben. Nein, nicht den 'Highländer', der kam erst viel später und wurde von einer anderen Band begleitet. Am Ende spielen sie "Won’t Get Fooled Again", meinen ultimativen The Who-Liebling. Dazu sag ich jetzt gar nichts mehr. Das sind einfach Augenblicke, wo Du weißt: Es ist so geil, dabei zu sein.
The Who haben uns alles gegeben. Sie waren überragend, souverän, virtuos und voller Energie. Ihre Musik ist zeitlos, das habe ich noch nie so tief empfunden wie an diesem unbeschreiblichen Abend. Sie haben uns geniale Songs geschenkt, über mehr als fünf Dekaden. Sie haben der aufmuckenden Jugend Englands und ganz besonders Londons ein Gesicht gegeben und die ganze Welt mitgenommen auf ihren Weg. Die fantastische Qualität ihrer Kompositionen und ihrer eigenen Virtuosität haben sie zu dem gemacht, was sie sind. Die Ur-Väter des harten Rock und eine der größten Live-Acts in der Geschichte der Rockmusik.
Wohl dem, der das von sich sagen kann, wenn er Ü 70 ist.
Line-up The Who:
Roger Daltrey (vocals, guitar)
Pete Townshend (guitar, vocals)
Simon Townshend (guitar, backing vocals)
Pino Palladino (bass)
Zak Starkey (drums)
Loren Gold (keys, backing vocals)
John Corey (keys, backing vocals)
Frank Simes (musical director, keys, backing vocals)
Setlist Oberhausen 2016:
- Who Are You
- The Kids Are Alright
- I Can See For Miles
- My Generation
- Pictures Of Lily
- Behind Blue Eyes
- Bargain
- Join Together
- You Better You Bet
- 5:15
- I’m One
- The Rock
- Love Reign O#er Me
- Eminence Front
- Amazing Journey
- Sparks
- Acid Queen
- Pinball Wizzard
- See Me, Feel Me
- Baba O’Riley
- Won’t Get Fooled Again
1 Kommentar
Axel Wriedt
29. Oktober 2016 um 8:56 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Genau so hab ich das auch emfunden.Rock at it,s best.Mein fuenftes Who Konzert nach 1980,1981,2006 und 2007.Long live Rock,long live THE WHO!!!