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This Is Where I Get Off – Zum Tod von Robbie Robertson – Nachruf

Garth Hudson am 21. Januar 2025 verstorben

Eigentlich war es damals, Ende der sechziger Jahre, kaum zu glauben. Während sich fast die komplette ernstzunehmende Musik-Szene in psychedelischen Sounds aalte, sich Gitarren- und Schlagzeug-Soli in schwindelerregende Längen katapultierten und die Haare bis zum Allerwertesten hingen, während die Klamotten bunter kaum sein konnten, tauchte im Sommer 1968 plötzlich eine Platte namens "Music From Big Pink" wie ein einst versenktes U-Boot an der Oberfläche auf, die vor Obskuritäten nur so wimmelte. Erstmal war da überhaupt kein Name auf dem Cover, das ein (von Bob Dylan gemaltes) Gemälde darstellte. Die ersten veröffentlichten Fotos der Musiker erinnerten an Männer aus einem anderen Jahrhundert, naja, zumindest an Gestalten, die rein äußerlich die letzten etwa zehn Jahre verschlafen haben mussten und die sich im Verbund – hätte es überhaupt noch simpler sein können? – The Band nannten.

Musik-Fans wussten zwar zunächst nicht so recht, was sie mit diesen bärtigen Waldschraten anfangen sollten, aber in Musiker-Kreisen (und später auch beim Publikum) explodierte die Platte wie eine sprichwörtliche Bombe. Und nachdem das Quintett nicht auf Tour ging, pilgerten mehr und mehr musikalische Größen (unter anderem auch Eric Clapton und George Harrison) in das kleine Städtchen West Saugerties, nicht weit entfernt von Woodstock im US-Bundesstaat New York, um die Musiker hinter diesen Songs kennen lernen zu dürfen. Selbst Grateful Dead führten eine Kehrtwende in ihrem Sound durch und brachten 1970 zwei akustische Platten raus. Aber die Musiker von The Band waren eigentlich gar keine Unbekannten und seit den späten Fünfzigern die Begleitmusiker von zunächst Ronnie Hawkins und anschließend Bob Dylan. So kam es unter anderem zu dem Ereignis, dass 'the guitar god himself', Mr. Eric Clapton, unbedingt bei der Combo einsteigen wollte, jedoch mit den entwaffnend offenen Worten »Sorry, Eric, aber wir haben schon einen Gitarristen!« eine klare Abführ erhielt.

Dieser bereits vorhandene Gitarrist war niemand anderer als Jaime 'Robbie' Robertson, der im Jahr 1960 und zarten Alter von 16 Jahren den langen Weg von Kanada ins Ungewisse nach Arkansas aufbrach, um neuer Gitarrist in der Band von Ronnie Hawkins zu werden. Dessen Schlagzeuger war damals der nur unwesentlich ältere Levon Helm, was die beiden umgehend zu Freunden werden ließ. Nachdem sich The Hawks (wie die Gruppe damals noch hieß und außer den beiden Vorgenannten mittlerweile zusätzlich aus Rick Danko, Richard Manuel und Garth Hudson) von Ronnie Hawkins losgelöst hatten und mit eigenem Namen irgendwie nicht so richtig von der Stelle kamen, wurden sie von Bob Dylan engagiert und quartierten sich in den Tour-Pausen nahe Dylans Anwesen in einem großen, pink-gestrichenen Haus ein. Richtig, genannt 'The Big Pink'.

Der Erfolg schien zunächst unaufhaltbar zu sein und vor allem Robbie Robertson glänzte auf den ersten beiden Scheiben kompositorisch mit Nummern wie etwa "Chest Fever", "Across the Great Divide", "The Weight", The Night They Drove Old Dixie Down", "Up On Cripple Creek", "Rag Mama Rag" und, und, und … Auch als Gitarrist zeigte er große Klasse, ließ seine Soli jedoch nie dem Song in die Quere kommen. Leider zeigten sich jedoch bereits beim dritten Album (Stage Fright) erste Risse im Gefüge bzw. dem Zusammenhalt innerhalb des Fünfers, was zum einen der Unzufriedenheit der anderen Bandmitglieder über nicht erhaltene Songwriting Credits, zum anderen aber auch dem ausufernden Drogen-Konsum von Helm, Danko und Manuel geschuldet war. Hinsichtlich des immer waghalsigeren Lebensstils mancher, stoppte Robertson alle Aktivitäten und erklärte 1972 zum The Band-freien Jahr, nach eigener Aussage »…in erster Linie, um meine Freunde nicht sterben zu sehen. Wenn wir so weiter getourt, aufgenommen und gefeiert häten, da war ich mir sicher, wäre das nicht gut, sondern fatal gegangen. Ich hatte echt Angst um sie.«

The Band fand sich 1973 wieder zusammen, veröffentlichte weitere, jedoch nie an die ersten beiden Scheiben heranreichenden, Alben und ging auf Tour. Schließlich hatte der von Drogen und Alkohol relativ absente Robertson jedoch genug, da er mit dem Lebensstil seiner Kollegen nicht mehr klar kam. Dies stieß bei den anderen Band-Mitgliedern zwar auf wenig Gegenliebe und großen Verdruss, aber der gute Robbie ließ nicht mehr mit sich reden. Zumindest sollte der Abschied groß gefeiert werden und so fand im November, am Thanksgiving Day 1976, das letzte The Band-Konzert im Original Line-up, dazu mit vielen großartigen Gästen statt, das als The Last Waltz in die Geschichte einging. In den Jahren danach fiel Robertson, bis dahin immer der große Mahner, skurrilerweise selbst in ein tiefes Drogen-Loch, aus dem er sich nur mit Mühe wieder ausgraben konnte.

Er beschäftigte sich anschließend sehr stark mit Arbeiten an Film-Soundtracks, brachte bis zu seinem Tod aber auch noch Soloalben wie sein gleichnamiges Debüt (1987), "Storyville" (1991), das sehr starke How To Become Clairvoyant (2011) sowie seinen Schwanengesang Sinematic (2019) heraus.

Leider blieben die Fronten zwischen ihm und den anderen Band-Kollegen bis zu deren Tod (Richard Manuel nahm sich am 4. März 1986 das Leben, Rick Danko erlag am 10. Dezember 1999 einem Herzinfarkt und Levon Helm verlor den Kampf gegen den Krebs am 19. April 2012) sehr verhärtet. Aber zumindst seinem ältesten Freund Levon Helm stattete Robbie noch einen Besuch an dessen Sterbebett ab. Was da wohl besprochen wurde… wurde überhaupt gesprochen? Oder reichte die bloße Anwesenheit als große bzw. zumindest versöhnliche Geste?

Nun hat auch Robbie Robertson im Alter von 80 Jahren seinen letzten Waltzer zu Ende getanzt und sich zu drei seiner ehemaligen Band-Kollegen gesellt. Und wer weiß, was die vier Musiker-Seelen da oben über den Wolken 'under Cahoots' wieder so für Pläne schmieden? Mit Robbie Robertson hat die Welt jedenfalls einen Musiker verloren, der in Form von zumindest "Music From Big Pink" sowie The Band großen Anteil an zwei Alben für die Ewigkeit hatte, die in keiner ernsthaften Plattensammlung fehlen dürfen. Dass ihn die Auflösung von The Band und die Beziehung zu den vier einst engen Freunden auch bis ins neue Jahrtausend emotional beschäftigte, kam in mehreren Songs seiner Soloalben deutlich zur Sprache.

»Walking out on the boys was never the plan
We drifted off course, couldn’t strike up the band
We’d been working the graveyard shift, I wonder do you catch my drift?
This was trouble in the making, but it’s a risk well worth taking«

»So just pull over to the side of the road
This is where I get off
This is where I move on«

»I know where I went wrong along the way, oh«

(aus dem Song "This Is Where I Get Off", 2011)

R.I.P., Robbie, you won’t be forgotten!

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

6 Kommentare

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  1. Wolfgang

    Ich, der die damalige Zeit aufgrund meines "hohen Alters" noch miterlebt habe, vermag an dem Nachruf von Markus nichts Negatives zu erkennen, noch Aussagen, die definitiv falsch sein könnten. Und ich denke auch, dass ein solcher Nachruf nicht der Anlass sein sollte, immer mehr in Details abzuweichen, schließlich geht es lediglich darum, dem/der Verstorbenen einige Zeilen zu widmen. Wenn Nachrufe zukünftig auf solche Details "geprüft" werden, dann sollte man sich überlegen, es bei einem "Dreizeiler" zu belassen mit dem Hinweis, wer gerade gestorben ist…

    Wolfgang

  2. Manni

    Hi Markus, man merkt, dass du zur Zeit der VÖ von "Music From Big Pink" noch nichts von der beschriebenen Zeit miterlebt hast. Sonst hättest du DEN Kultsong deutlicher herausgestellt und darauf hingewiesen, dass Peter Fonda direkt die Klasse von "The Band" erkannte und deswegen The Weight für den Soundtrack des anderen Kultwerks Easy Rider auswählte. Aus Lizenzgründen zwar die Version der Gruppe "Smith", die aber unglaublich nahe am Original gehalten ist.

    Die Textdeutung von "The Weight" war jahrzehntelang ein Mysterium, bis Levon Helm in seiner Autobiographie das Rätsel aufdröselte. Später erläuterte Robbie, der sowohl für die Musik als auch für die Lyrics verantwortlich zeichnete, dass der Text vom spanischen Filmmacher Luis Buñuel inspiriert war:

    (Buñuel) hat so viele Filme über die Unmöglichkeit des Heiligtums gemacht. In "Viridiana" und "Nazarín" versuchen Menschen, gut zu sein, sie versuchen, ihr Ding zu machen. In "The Weight" geht es um dasselbe. Leute wie Buñuel haben Filme gemacht, die diese religiösen Konnotationen hatten, aber es war nicht unbedingt eine religiöse Bedeutung. Bei Buñuel gab es diese Leute, die versuchten, gut zu sein, aber es ist unmöglich, gut zu sein. In "The Weight" ging es um eine ganz einfache Sache. Jemand sagt: "Hör mal, würdest du mir diesen Gefallen tun? Wenn du dort ankommst, sagst du jemandem 'Hallo' oder gibst du jemandem das hier oder hebst du eine von diesen für mich auf? Oh? Du fährst nach Nazareth, dort ist die Gitarrenfabrik von Martin. Tun Sie mir einen Gefallen, wenn Sie dort sind." Das ist es, worum es geht. Der Typ fährt also hin, und eins führt zum anderen, und es ist wie: "Heilige Scheiße, was ist denn jetzt daraus geworden? Ich bin nur hierher gekommen, um jemandem 'Hallo' zu sagen, und jetzt stecke ich in dieser unglaublichen Zwickmühle." Für mich war das damals sehr Buñuel-mäßig.

    »I pulled in to Nazareth
    Was feeling 'bout half past dead
    I just need someplace
    Where I can lay my head
    "Hey, mister, can you tell me
    Where a man might find a bed?"
    He just grinned and shook my hand
    "No" was all he said«

    Gemeinsam trauern wir um Robbie Robertson, einen der größten Musiker der modernen Musikgeschichte!

    1. Markus Kerren

      Hi Manni,

      selbstverständlich ist mir bekannt, dass "The Weight" für den Soundtrack von "Easy Rider" verwendet wurde und ehrlich gesagt, hätte ich locker auch noch zehn weitere Punkte dieser Combo bzw. Robertson stärker herausheben können, wenn ich gewollt hätte. Die Bunuel-Filme habe ich allerdings tatsächlich noch nicht gesehen.

      Dennoch danke für die schöne Ergänzung!

      1. Manni

        In dem mit sehr guten Songs reichlich bestückten Katalog von "The Band" sind zwei so ikonisch, dass sie an der Spitze des Outputs stehen. Nicht so unbedingt in musikalischer Hinsicht, sondern textlich: Eben "The Weight" und das die schiere Verzweiflung des imaginären unterlegenen Südstaatlers "Virgil Caine" beschreibende, an Eindringlichkeit kaum zu überbietende Bürgerkriegsdrama "The Night They Drove Old Dixie Down".

        Stellvertretend der 3. Vers:

        Like my father before me, I will work the land
        And like my brother above me, who took a rebel stand
        He was just eighteen, proud and brave
        But a Yankee laid him in his grave
        I swear by the mud below my feet
        You can’t raise a Caine back up when he’s in defeat

    2. Mario Keim

      Hallo Manni, in Kreisen von Modelleisenbahnern nennt man diejenigen, die völlig detailbesessen sind, Nietenzähler. Als ein solcher Zeitgenosse betätigst Du Dich hier in einem anderen Sektor, ob bewusst oder unbewusst. Hast Du Dich vielleicht ansatzweise mit dem Nachruf von Markus beschäftigt? Ist Dir dabei möglicherweise aufgefallen, dass es sich aus traurigem Anlass in puncto Qualität und Quantität um eine außergewöhnliche Arbeit handelt? Mit Verlaub: Auch wenn Du die Leserschaft mit einer Besonderheit (Liedtitel) vertraut machst, so sollte man bitteschön die berühmt-berüchtigte Kirche im Dorf belassen… Dein Einleitungssatz, den Du an die Adresse unseres geschätzten Autors Markus richtest, ich eine glatte Verfehlung! Das ist einfach am Thema vorbei und sehr ärgerlich. Über Schulnoten reden wir an dieser Stelle besser nicht …

      1. Manni

        Mario, Du hast den schlafenden, eigentlich harmlosen Hund geweckt.

        "Nietenzähler"! Ich fass es nicht! DAS sagst DU mir? Du hast nicht mal ansatzweise verstanden. Markus wohl schon. Wenn du keine Ahnung von der Materie (Zeit und Bedeutung) hast, lass es besser. Ich kann nur noch den Kopf schütteln.

        Du warst genau wie alt in 1969/1970? Um überhaupt sagen zu können, wie es damals war? Zeitgefühl, nenn es Zeitgeist… Markus weiß es einzuschätzen. Aber DU willst das negieren? MIR sagen, wie es damals war oder was ich heute dazu sagen darf? In deinem diesbezüglichem limitierten Denken?

        Ich glaube, du wirst dies hier kaum weiterfolgen wollen, ohne dich dann komplett zum Dep… lassen wir das. Wir können aber, wenn gewünscht, gerne ins Detail gehen. Loyalität ist keine schlechte Sache, kann aber zurückfeuern, wenn nicht eine durch eigenes Wissen hinterlegte Überzeugung dahintersteht. Du bringst hier nichts, das eine eigene unwiderlegbare Substanz hätte.

        Du vergibst Schulnoten? Für dich dann freundlicherweise keine Zahl, sondern: x, setzen!

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