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Tibet / Porta Westfalica 1975 – CD-Review

Tibet - "Porta Westfalica 1975" - CD-Review

Das gabs ja auch in den siebziger Jahren, genau wie davor und danach, schon: Bands, die es Zeit ihres Bestehens zwar nur auf ein einziges Album brachten, dieses dann aber immer wieder veröffentlicht und als Kult-Scheibe abgefeiert wurde und wird. Und um genau solch einen Fall handelt es sich auch bei der aus dem Sauerland stammenden Band Tibet. Re-Issues wurden auch in der RockTimes-Redaktion sowohl in der Vinyl-Version von unserem Ulli, als auch ein paar Jahre später im CD-Format, hoch gelobt.

Wahrscheinlich war niemand weniger überrascht als die Mitglieder der 1980 aufgelösten Band selbst, dass vor nicht allzu langer Zeit Live-Aufnahmen aus dem Jahr 1975 wiedergefunden wurden. Dabei handelt es sich größtenteils um ein Konzert vom 13. Juli jenen Jahres auf einem Festival in Porta Westfalica. Angefügt wurde ein weiterer Live-Track, etwa aus derselben Zeit, aber von einem anderen Konzert stammend sowie die Nummer "Take What’s Yours" von einem Auftritt aus dem Jahr 1976, der aus zeitlichen Gründen auf der (in Kürze veröffentlicht werdenden) Vinyl-Version der Scheibe fehlen wird.

Tibet startete 1971 als Instrumental-Band und auch im Sommer 1975 war noch kein Sänger an Bord. Allerdings muss auch gesagt werden, dass man einen solchen auf den sieben hier enthaltenen Songs nicht unbedingt vermisst. Die Stücke wirken sehr abwechslungsreich und werden nie langweilig, während ein grundsolides Rhythmus-Fundament aus Bass und Drums dann von den Melodien gebenden Keyboards und Gitarren-Einlagen veredelt werden. Leider hatte die Band das Pech, dass Teile ihres Equipments bei einem Auftritt am Vorabend in die Brüche gegangen waren. Wofür sich 'Pöngse' Krutzsch auch mehrfach (vom Bauchgefühl des Rezesenten sogar ZU oft) entschuldigt, was aber gar nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Logischerweise hatte die Band soundtechnisch mittlerweile einen anderen Selbst-Anspruch, aber diese sieben Tracks sind auch in dieser Form noch jederzeit sehr gut genießbar. Klar, High Fidelity sollte man von diesen knapp fünfzig Jahre alten Bändern nicht erwarten, aber da gibt es ja noch den Sound-Hexer Eroc, dem die Bänder zur Restaurierung übergeben wurden und der – auch nach Aussage der Band – wieder mal grandiose Arbeit abgeliefert hat.

Der heimliche Star der Porta Westfalica-Aufnahmen des Rezensenten ist 'Zinken' (auch 'Ami' genannt) Hamann, dessen Bass einen richtig coolen erdig-warmen Sound auffährt, aber auch die anderen drei Musiker ('Kumpa' an den Keyboards teilweise spektakulär) lassen spieltechnisch nichts vermissen. Songs wie "The Dawning Of Delirium" oder "Miss One’s Way" (die von 'Pöngse' immer mit witzig-fantasievollen 'falschen' deutschen Titeln vorgestellt werden) glänzen mit einer Mischung aus tonnenweise Feeling bei den ruhigeren Parts und plötzlichen Eruptionen, die die notwendige Härte in die Mixtur einfließen lassen. Natürlich hört sich Tibet anders an, aber vom Feeling der Songs wurde der Rezensent dann doch immer wieder mal an die Band Jane in den Siebzigern erinnert. Eroc hat dann "Baroque’n’Roll" – eigentlich während eines anderen Konzerts aufgenommen – soundtechnisch so mit eingebaut, als hätte es zum eigentlichen Gig gehört. Der CD-Bonus Track "Take What’s Yours" ist die einzige Nummer aus dem Jahr 1976. Was wiederum bedeutet, dass hier Deff Ballin, der den ausgestiegenen Dieter Kumpakischkis an den Tasten ersetzt hatte, zu hören ist. Ebenfalls eine coole Nummer und willkommene Ergänzung.

Zwei Stücke, nämlich das erste ("Fight Back") sowie das letzte ("Take What’s Yours"), landeten dann auch auf der einzigen Studioplatte der zwischendurch auf sechs Musiker angewachsenen Band. Und danach … war ein halbes Jahr später im März 1980 plötzlich Schluss. »Aus beruflichen Gründen …«, wie es in den (sehr lesenswerten) Liner Notes dieser CD heißt. Sehr schade, aber immerhin sind der Nachwelt mit zwei Alben (und einer Single aus dem Jahr 1976) doch noch Aufnahmen dieser sehr coolen Band erhalten geblieben.

Tibet hatten übrigens, so wie auch die Band Nektar, einen festen Mann für die ausgefallene Light Show an ihrer Seite. Und eben jener Wolfgang M. 'Traudl' Wilka hat zeitgleich mit der Veröffentlichung von "Porta Westfalica 1975" auch ein kleines Buch mit dem Namen "Tibet – 52 Jahre Rockband-Geschichte" heraus gegeben. In kurzen Kapiteln lässt uns Wilka hier an seinen Erinnerungen mit der Band teilhaben. Sehr lesenswert und von Fakten sowie Anekdoten (zusätzlich aus Fotos und 'alten' Presseberichten) bestehend ist dabei das einzig Bedauernswerte, dass das Werk mit 68 Seiten sehr kurz ausgefallen ist. Wer dennoch Interesse hat, kann das Teil direkt beim Autor (E-mail an: wolfgangwilka(at)aol.com) für 12,50 € inkl. Porto und Verpackung bestellen. Sowohl die CD, als auch das Buch sind absolut lohnenswert!


Line-up Tibet:

Jürgen 'Pöngse' Krutzsch (guitars)
Dieter 'Kumpa' Kumpakischkis (keyboards)
Karl-Heinz 'Zinken' Hamann (bass)
Fred 'Teppich' Teske (drums)
Wolfgang M. 'Traudl' Wilka (light show)

Tracklist "Porta Westfalica 1975":

  1. Fight Back
  2. Kaleidoscope
  3. Monkey Man
  4. The Dawning Of Delirium
  5. Miss One’s Way
  6. Baroque’n’Roll
  7. Take What’s Yours (cd bonus track)

Gesamtspielzeit: 54:21, Erscheinungsjahr: 2024 (1975)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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