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Tibet / Tibet – CD-Review

Tibet - "Tibet" - CD-Review

Selbst, wenn es keinen offensichtlichen Grund gibt und auch logisch nicht zu erklären ist, bleiben gewisse Dinge bzw. Vorhaben manchmal auf der Strecke. Im Falle des Rezensenten ist nur ein Beispiel dafür, dass er das einzige Album der deutschen Band Tibet auf dem Schirm bzw. auf dem (imaginären) Einkaufszettel hat, seit unser (geschmackssicherer) Co-Chef Ulli die Scheibe vor etwa achteinhalb Jahren erstmals rezensiert hatte.

Aber manchmal findet auch ein blindes Huhn wie der Verfasser dieser Zeilen ein Körnchen, wie im aktuellen Fall die Wiederveröffentlichung dieser Platte. Ulli hatte bereits damals berichtet, dass es noch weiteres Material der Band geben soll und siehe da, auf der aktuellen Version der Scheibe finden sich tatsächlich zwei Bonustracks, die kurz vor der Auflösung von Tibet (und mit leicht verändertem Line-up) aufgenommen wurden. Interessanterweise existierte die Band bereits etwa zehn Jahre bis es zu den Aufnahmen für diese Scheibe kam – und kurz danach war plötzlich alles ganz schnell vorbei.

Diese Platte ist jedenfalls eine waschechte Zeitreise zurück in die Ära des bärenstarken Kraut- bzw. Progressive Rocks aus unseren Landen. Davon abgesehen, dass sich der Sound nicht mehr wirklich wie zu Anfang der siebziger Jahre anhört, sondern sich weiterentwickelt hatte, sind hier dennoch alle guten Zutaten vertreten, die Bands wie etwa Jane, Eloy, Octopus und viele weitere ausmachte. 'Schwere' Orgelklänge, lange Instrumentalpassagen, herrlich Melodiebögen und ein Sänger, der trotz zwischenzeitlich längerer Pausen immer präsent ist – und sich überraschender- sowie zeitweise anhört wie der junge Klaus Meine zu Zeiten der Scorpions-Alben "Lonesome Crow" oder "Fly To The Rainbow" (zum Beispiel bei dem Opener "Fight Back"). Plötzlich erklingt das Instrumental "White Ships And Icebergs", das ich zwar umgehend erkenne, jedoch nicht mehr bestimmen kann, woher. Vielleicht als irgendeine Titelmeldodie einer Fernseh-Sendung oder als Soundtrack? Oder aus dem Radio? Egal, jedenfalls ein klasse Titel, der das Kopfkino so richtig in Wallung bringen kann.

Der erste Bonus Track, "Too Lazy", weicht etwas vom Sound der ersten sieben Nummern ab und präsentiert sich als einfühlsame Piano-Ballade, die die Klasse des Original-Albums locker hält. Für "Never Be The Same" steht Richard Hagel (Pee Wee Blues Band) vor dem Mikro und auch hier geht es eher beschaulich, sprich melancholisch und ruhig im Stile einer Piano-Ballade zur Sache, die jedoch von einer wunderschönen Gitarre verfeinert wird. Auf den ersten Song ist jedoch – wie bereits geschrieben – vor allem Kraut- und Progressive Rock angesagt. Interessanterweise hatte Tibet neben den üblichen Instrumenten wie Gitarre, Bass und Schlagzeug damals sogar gleich zwei Keyboarder am Start, wobei die Band es jedoch jederzeit locker schafft, einen ausgeglichenen Sound zu fabrizieren, bei dem jeder Musiker bzw. jedes Instrument genügend Freiraum erhält und auch die Tasten nie zu dominant werden.

Wer diese Perle von Album noch nicht für sich entdeckt hat, sollte sich das gleichnamige Album von Tibet unbedingt zulegen, sofern er sich für die deutsch (Kraut-) Musik der siebziger Jahre interessiert oder begeistern kann. Aber auch für Einsteiger in dieses Genre ist "Tibet" aufgrund seiner cleveren Arrangements, dem sehr guten Songwriting und der Einspielung wärmstens zu empfehlen. Hier Anspieltipps zu nennen würde bedeuten, allen anderen Tracks gegenüber ungerecht zu werden. Hört trotzdem mal in "White Ships And Icebergs" (ob ihr es auch erkennt) oder "Fight Back" rein, denn spätestens nach diesen beiden Titeln wird schon klar sein, ob ihr die Mucke von Tibet mögt. Die Scheibe reiht sich jedenfalls locker in die Klassiker der damaligen Zeit in diesem Genre ein. Dicker Tipp!


Line-up Tibet:

Klaus Werthmann (lead vocals)
Deff Ballin (keyboards, percussion)
Dieter Kumpakischkis (keyboards)
Karl-Heiz Hamann (bass, percussion)
Fred Teske (drums, percussion, guitars, vocals)
Jürgen Krutzsch (guitars, percussion)
Elmar Hegemann (vocals & keyboards – #8)
Richard Hagel (lead vocals – #9)

Tracklist "Tibet"

  1. Fight Back
  2. City By The Sea
  3. White Ships And Icebergs
  4. Seaside Evening
  5. Take What’s Yours
  6. Eagles
  7. No More Time
  8. Too Lazy (bonus track)
  9. Never Be T:he Same (bonus track)

Gesamtspielzeit: 48:49, Erscheinungsjahr: 2021 (1979)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
News
Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

7 Kommentare

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  1. Traudl

    https://www.youtube.com/watch?v=FRIj4GWBnjE

    Das war die 3. Englandtour von TIBET 1977. Gleich zu Beginn hatte unser Van einen Motorschaden und wir mussten mit verschiedenen Leihwagen touren. Leider gibt’s davon keine Konzertaufnahmen, da unser Drummer gefilmt hat und beides gleichzeitig war ihm zu schwierig. Die Musik am Anfang und am Ende stammt von unserer ersten LP, der Mittelteil ist von einem live-concert von 1975 "Tibet live 1975 Porta Westfalica" (erschienen auf Garden-Of-Delights-Records 7/24).

    1. Manni

      Wow… dieser Mittelteil aus Porta Westpfalica… ich bin begeistert, hatte die Band jedoch in den 70ern nicht auf dem Schirm und die Informationsmöglichkeiten waren ja auch im Vergleich zu heute mehr oder weniger nicht existent. Ich hab die CD bei Green Brain bestellt und nächste Woche wird sie hier ein. Da freu ich mich drauf. Scheint Stand heute schon ausverkauft zu sein (kein Wunder)

      Am Rande und interessehalber: Auf Prog Archives steht zum Album von 1979: "Gerüchten zufolge waren die Original-Masterbänder nirgends zu finden, als Musea Records 1994 beschloss, das Album auf CD zu veröffentlichen, so dass das Label eine Neuaufnahme des gesamten Albums veranlasste. Es ist unklar, ob die ursprünglichen Bandmitglieder auch die Musiker waren, die die CD-Version des Albums aufgenommen haben."

      Ist da was dran? Für mich klingt die Musik nämlich nicht nach "re-recorded".

      1. Traudl

        Hallo Manni, da ist absolut nichts dran! Alles Lüge. Man hat von einer – noch jungfräulichen – LP, die CD produziert. Sie ist 1 zu 1 kopiert worden. Auch die rezensierte CD ist Original + 2 Bonustracks. Auf Internetseiten findet man teilweise abenteuerliche Behauptungen und viele Blödsinn. LG Traudl

  2. Traudl

    Am 26. Juli ist die neue CD der Werdohler Gruppe TIBET "Porta Westfalica 1975" erschienen. Das Konzert fand am 13. Juli 1975 auf der Freilichtbühne in Porta Westfalica statt. Die Aufnahmen waren fast 50 Jahre verschollen, wurden erst letztes Jahr wiedergefunden und von Walter Nowitzki, Hermann Braunschmidt und EROC zu neuem Leben erweckt. Reichhaltiges Booklet mit 32 Seiten! Als LP in Planung.
    Label: Garden-Of-Delight-Records, Nr.: 199

  3. Traudl

    Von Oktober 1972 bis März 1980 hat Tibet 150 Live-Konzerte gegeben, davon waren 8 in England. Von einem Konzertmitschnitt im Jahr 1975 wird im Frühjahr 2024 eine CD und ein Vinyl-Album erscheinen. Da bin ich mal auf deine Rezension gespannt.
    By the way: Ich habe über die Bandgeschichte ein kleines Buch geschrieben – Tibet 52 Jahre Rockbandgeschichte –

    1. Markus Kerren

      Hallo Traudl,

      besten Dank für deine Anmerkungen. Auf den Konzert-Mitschnitt darf man ganz sicher gespannt sein. Und die Sache mit deinem Buch hört sich auch sehr interessant an. Falls du uns ein Rezensionsexemplar zukommen lässt, werden wir es auch gerne hier vorstellen.

      Beste Grüße,
      Markus

  4. Traudl

    Wenn ich mich richtig erinnere wurde White Ships And Icebergs für einen Werbefilm bei VW in Wolfsburg benutzt. Wer also damals dort sein Auto abgeholt hat, hat den Song vielleicht gehört. Ich war übrigens bei den Aufnahmen auch im Studio:

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