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Tom 'The Perc' Redecker / Der Family-Motor läuft rund – Interview

Electric Family

Am fünften Mai 2017 wird das neue Album 'Terra Circus" der Electric Family über Sireena erscheinen. Ein Grund für uns, mit Tom 'The Perc' Redecker etwas über seine Band und auch das neue Album zu plaudern.

RockTimes: Eigentlich sollte man ein Interview anders beginnen, Tom. Aber ich muss es loswerden: Scheiße. Ist die neue Electric Family-Platte geil!
Dabei kann man doch sagen, dass die Bandgründung eher ein Zufall war, denn The Perc bzw. The Perc Meets The Hidden Gentleman sollte 1996 auf dem Herzberg-Festival auftreten, aber Emilio Winschetti konnte zeitlich nicht, sodass du Musiker für den Auftritt suchtest, fündig wurdest und so mit der 'Notlösung' ein Jahr später das erste Album ("Welcome To The Family Show") veröffentlicht hast. Die Familie gibt es also sozusagen nur, weil der Hidden Gentlemen damals keine Zeit hatte?

Electric Family

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Tom: Erst einmal Danke für das Kompliment. In der Tat hat uns damals der Veranstalter Kalle Becker als The Perc Meets The Hidden Gentleman zum Herzberg eingeladen. Aber bekanntlich war Emilio 'The Hidden Gentleman' Winschetti damals nicht abkömmlich, ich wollte jedoch dabei sein und bot an, mit einer eigenen Band als The Perc’s Electric Family teilzunehmen. Ich hatte 1995 eine Solo-Tour zu meinem Album "Worldlooker" gemacht, und da gehörten Jochen Schoberth, Harry Payuta und Dieter Serfas (Amon Düül II) mit zur Band. Diese drei Kollegen waren sofort bei diesem neuen Projekt dabei, hinzu kam noch Tastenzauberer Volker Kahrs (Grobschnitt) und Trommler Torsten Glade und fertig war The Electric Family.

RockTimes: Und es lief anscheinend so gut, dass das Projekt nun bereits im 21ten Jahr steht. Das neue Album "Terra Circus" ist der beste Beweis, denn die Musik auf der Platte zeigt keinerlei Ermüdungserscheinungen. Im Gegenteil, sie strotzt vor Spielfreude und ist überaus rockig. War das bereits damals nach Herzberg geplant, dass die Family Jahrzehnte überdauert?

Tom: Das ließ sich natürlich noch nicht absehen. Wir waren allerdings schon sehr erstaunt und erfreut darüber, dass die Band bisher so gut ankam – sowohl bei den Fans als auch bei den Medien. Besonders bei "Tender" von 1999 und Ice Cream Phoenix von 2003 gab’s enormes Feedback. Aber 21 Jahre 'on the scene' zu sein, das ist schon erstaunlich.

RockTimes: Zumal du ja noch andere Tätigkeiten ausübst. Neben deinem Label Sireena gibt es da unter anderem ja auch noch den Perc. Deine neue Perc-Platte Koto Funk war ja auch der Grund, dass der neue Electric Family-Output auf Mai verschoben wurde. Das Perc-Herz schlägt also fester als das Family-Herz, oder dachtest du, die Fans haben jetzt nach Royal Hunt aus dem Jahr 2007 zehn Jahre auf einen Nachfolger gewartet, da kommt es auf zwei, drei Monate nicht an?

Tom: Nein, so berechnend bin ich nicht. Die Aufnahmen zu "Koto Funk" waren ja ein Überraschungsfund in meinem Archiv, das musste einfach raus. Die CD sollte jedoch nicht mit dem neuen Electric Family-Album kollidieren, da haben wir’s einfach um drei Monate geschoben. Jetzt haben wir Zeit und Luft, können uns völlig auf "Terra Circus" konzentrieren. Dieses Album liegt allen Beteiligten sehr am Herzen.

Hanno Janssen

Hanno Janssen

RockTimes: Das glaube ich gerne. Man darf "Terra Circus" durchaus als Meisterwerk bezeichnen. Das allerdings, ohne den Vorgängern auch nur ein Fitzelchen ihrer Klasse zu nehmen. "Terra Circus" kommt mir im Vergleich in Teilen knackiger, rockiger vor. Habt ihr euch in den letzten zehn Jahren, denn das ist die zeitliche Distanz zum letzten Studioalbum, einer Frischzellenkur unterzogen?

Tom: Im Grunde sind "Terra Circus" und der Vorläufer "Royal Hunt" Bandalben, während die Platten davor in erster Linie Projektalben waren, mit bis zu 15 Beteiligten pro Platte. Das waren aufregende Aufnahmesessions, darüber könnte ich Bücher schreiben. Bei "Royal Hunt" waren wir noch zu sechst im Studio, das bedeutete relativ schnelles und ergiebiges Arbeiten am Album. Jetzt, bei "Terra Circus", sind wir noch einen Schritt weitergegangen. Noch nie ist eine Electric Family-Besetzung so gut vorbereitet ins Studio gegangen. Das kam so: Wir wollten eigentlich im letzten Jahr eine Tour zusammen mit Agitation Free machen, noch unter dem Projektnamen Sun Temple Circus. Die Altherren aus Berlin waren sich irgendwann nicht mehr einig und sind ausgestiegen aus dem Tourprojekt. Das bedeutete das Ende. Wir hatten aber natürlich ein Live-Programm erarbeitet und anstatt Frust zu schieben, sind wir in Bremen ins Studio gegangen und haben einen Teil des Programms live eingespielt, mit durchaus einer Portion Wut im Bauch. Das merkt man dem Album auch an. Die Frischzellenkur, die du angesprochen hast, war wohl in erster Linie die Rückkehr von Harry Payuta ins Team und der Einstieg von Anders Becker, der immerhin den verstorbenen Volker Kahrs an den Keyboards beerbte und das fabelhaft gelöst hat. Einen ganz entscheidenden Einfluss auf das musikalische Endresultat hat aber sicherlich Rolf Kirschbaum, der mit seiner Vorliebe für heftige Noise-Gitarren-Licks uns alle mitgerissen hat.
Wir waren in zweieinhalb Tagen mit den Recordings fertig, ziemlich erschöpft, aber mega-zufrieden mit dem Ergebnis.

RockTimes: Zweieinhalb Tage? Ihr solltet euch als nächstes um den Berliner Flughafen kümmern. Spaß beiseite, ja, das komplette Album klingt nach einer absolut eingespielten Band. Bleibt dies das zukünftige Line-up, oder wird die Electric Family auch in Zukunft immer mal wieder durch neue Musiker Projektcharakter haben?

Tom: Ich würde jetzt erst einmal mit dieser Besetzung gerne live spielen. Das war ja immer schon die Crux der Electric Family, dass wir eigentlich zu wenig auf der Bühne stehen. Ist einfach nicht einfach, diesen Laden zusammenzuhalten. Und es muss ja auch stimmig sein. Ich bin sicher, das nächste Electric Family-Album wird kommen. Mit wem, kann ich nicht sagen. Aber ich kann dir sagen, dass es eine ganze Anzahl Mucker gibt, die gern dabei sein würden. Es könnte also sein, dass es wieder eine größere Geschichte wird.

RockTimes: Die Konstante der Family bist ja du, Tom. Quasi der Vater, wenn ich das mal so flapsig formulieren darf. Wie weit sind die anderen Musiker eingebunden, wenn es um die Songauswahl geht?

Tom: Bei "Terra Circus" haben sowohl Harry als auch Rolf Titel beigesteuert, es ging hier also sehr demokratisch zu. Ich habe mich selbst auch nie als Bandboss oder Projektleiter, sondern immer mehr als Motor gesehen. Und den brauchst du auch bei einem Verband dieser Größenordnung.

Electric Family

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RockTimes: Ja, zumal viele der bis dato beteiligten Musiker ja auch einen gehörigen Background haben. Das sind durch die Bank Musiker mit enormer Reputation. Apropos Musiker mit Reputation: Immer mal wieder finden sich Coverversionen auf den Alben. Coversongs können ja kontrovers gesehen werden. Warum spielt die Electric Family Covers?

Tom: Die Coverversionen sind so etwas wie das Salz in der Suppe der Electric Family. Wir spielen ja nicht einfach nur nach, sondern wir versuchen aus Fremdkompostionen eigene Titel zu machen – ohne das Copyright zu verletzen. Dafür ist unser Respekt vor den Originalkünstlern einfach zu groß. Vanilla Fudge haben das schon vor über 40 Jahren vortrefflich vorgeführt. Oder höre dir "Lonesome Me" in der Version von Neil Young auf "After The Goldrush" an. Das Original von Don Gibson ist eine locker treibende Western Swing-Nummer, Young macht daraus einen schweren, tieftraurigen Blues. Also haben wir in der Vergangenheit eben aus Crazy Horses "Left For Dead" schon fast eine Doom-Version gemacht und bei "Careful With That Axe, Eugene" Pedal Steel-Gitarren und wüste Synthie-Attacken eingesetzt. Auf "Terra Circus" gibt’s bei "Lucrecia My Reflection" von den Sisters Of Mercy Sitar zu Akustikgitarren und eine ausgiebige Noise-Orgie im Schlussteil. Und bei "Mary Mary, So Contrary" von Can trifft Slide Guitar auf 60’s Jazzorgel. Nur so machen Coversongs für uns Sinn.

RockTimes: Bis auf "Bitch" von den Stones – das war wirklich nicht mein Ding gewesen – fand ich die Coversongs auch sehr gelungen. Die beiden vom kommenden Album stehen den Originalen nicht nur in nichts nach, ich finde sie sogar besser. Dazu aber mehr in meinem Review zu "Terra Circus". Nach welchen Kriterien sucht ihr denn die Songs aus, denen ihr euren Stempel aufdrücken wollt? Sind das einfach Nummern auf die ihr steht, oder wählt ihr aus, was sich mit eurer Spielart passend modifizieren lässt?

Tom: Oft komme ich mit der Idee an, die Umsetzung machen wir dann aber gemeinsam.

Electric Family

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RockTimes: Ich habe vollstes Vertrauen, dass ihr auch in Zukunft geile 'Muster' findet, denn mein erster Blick ins Booklet einer neuen Family-CD gilt der Suche was-gibt-es-denn-diesmal-für-ein-Cover? Aber die Songs sind ja nur eine Seite der Medaille. Die andere, ganz wichtige Seite, ist die der beteiligten Musiker. Was sind die Kriterien, dass jemand Familienmitglied wird. Erzähle doch einfach einmal …

Tom: Die aktuelle Besetzung besteht mit Rolf Kirschbaum, Harry Payuta, Hanno Jansen und mir ja aus Urmitgliedern, die schon beim ersten Album 1997 dabei waren, quasi The Electric Family 'Mark 1'. Und wir kennen uns zum Teil ja auch bereits viel länger. Mit Rolf arbeite ich schon seit rund 30 Jahren zusammen, also schon zu Zeiten von The Perc Meets The Hidden Gentleman. Harry hat 1991 auf unserem Album "Lavender" mitgespielt, seitdem haben wir eine Menge Zeit miteinander im Studio und auf der Bühne verbracht. Man kennt, schätzt und vertraut sich – das ist ein echtes Pfund! Neu hinzugekommen ist mit Anders Becker ein weiterer Keyboarder. Ein unglaublich netter Mensch mit einem Riesenherz für die späten Sixties, der sich strikt weigert, digitale Keys zu spielen und stattdessen mit einem Auto voll analoger Synthies anrückt. Standesgemäß bekleidet mit Batik-Shirt und Schlaghose. Aber er spielt halt großartig und trägt entscheidend zum Family-Sound bei. Und Steff Ulrich ist ein Drummer, der auf Zuruf alles spielen kann, ein echter Zauberer hinter der Schießbude, der ja auch für das Recording bei den Sessions zu "Terra Circus" verantwortlich war. Also eine echt starke Band und ich denke, das hört man dem Album auch an. Außerdem kommen wir alle sechs aus Bremen oder Umfeld, auch eine Erleichterung, was Logistik und Administration angeht. Das war bei vorherigen Alben wie "Tender" und besonders bei "Ice Cream Phoenix" anders. Ich erinnere mich zwar besonders gern an die Aufnahmen in Berlin im ehemaligen Studio des DDR-Rundfunks, wo die halbe Ostrock-Szene reinschaute und eine Riesenverbrüderung mit Wodka und Rotkäppchen-Sekt stattfand, aber das war auch echt anstrengend. Aber es ergaben sich auch einige tolle Aufnahmen und die Electric Family war wieder um einige Personen gewachsen.

Tom Redecker

Tom Redecker

RockTimes: Das klingt so, als hättest du das perfekte Line-up. Trotzdem, wenn du einen Wunsch frei hättest: Welche(n) Musiker würdest du gerne einmal dabei haben?

Tom: Tja, das sind einige Kandidaten. Machbar wäre Prairie Prince, der die Idee ganz spannend findet. Wunsch wären Jorma Kaukonen oder Phil Lesh. Und Harry Payuta  würde bestimmt nach Keith Richards schreien.

RockTimes: Starke Auswahl. Auf den Keith hatte ich sogar gehofft.
Tom, gegen Ende möchte ich gerne noch mal auf dein Label und da besonders auf dein Archiv kommen. Du sagst, dass die Aufnahmen zu "Koto Funk" ein Überraschungsfund waren. Das bedeutet doch, dass da Sachen schlummern, von denen du unter Umständen gar nicht weißt, dass die (noch) da sind. Wir dürfen also hoffen, noch einiges aus deinem Kellergewölbe auf die Plattenteller oder unter den Laser zu bekommen?

Tom: Es wird ja weiter die Edition "Electric Kindergarten" geben, die Aufnahmen aus meinem Archiv enthält. Da ist noch viel Material zu bergen. Ich habe ja fast jeden Auftritt von The Perc Meets The Hidden Gentleman bzw. The Electric Family und Taras Bulba mitgeschnitten und da hoffe ich, noch tolle Aufnahmen zu finden. Außerdem soll ja noch eine LP-Box erscheinen mit unveröffentlichten Aufnahmen, und da wird auch "Koto Funk" berücksichtigt.

Tom Redecker

Tom Redecker

RockTimes: Dass du Freunde des Labels Sireena immer wieder mit deinen Archivsachen überraschst ist klar, aber du selbst scheinst ja auch ab und an auf Sachen zu stoßen, die nicht mehr auf dem Schirm waren. Wie kann man sich denn dein Archiv vorstellen? Schachteln, Kisten, Regale, oder doch eher penibel sortiert und beschriftet?

Tom: Ich habe eigentlich ein ganz gut organisiertes Archiv, aber noch habe ich nicht alles gesichtet, erfasst und abgelegt. Da sind noch ein paar Kisten an die ich ran muss. Kann ich aber immer nur machen, wenn ich Zeit habe. Ich habe zum Beispiel auch noch unzählige Plakatrollen, wo ich echt nicht mehr weiß, um was es sich da handelt. Und alles ist auf mehrere Räume inkl. Dachboden verteilt.

RockTimes: Na dann ist ja auch für die Zukunft noch einiges zu erwarten. Jetzt gilt es aber erst mal "Terra Circus" zu goutieren. Wird die Family mit der nun geografisch 'einfachen' Besetzung auch live zu hören und zu sehen sein?

Tom: Mal abwarten, konkrete Tourpläne gibts für dieses Jahr nicht. Wenn, dann würde sich das mehr auf 2018 konzentrieren.

RockTimes: Ok, dann wünsche ich euch erst Mal viel positives Feedback zum neuen Album und bedanke mich für das Gespräch sowie das Bildmaterial.

 

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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