
Vorab vielleicht nochmal für alle, denen der Name Tommy Bolin im Augenblick nichts sagt: Der amerikanische Gitarrist (und später auch Sänger) trat zum ersten Mal so richtig mit der Band Zephyr ins Rampenlicht, die er jedoch nach zwei Alben (von denen vor allem das gleichnamige Debüt glänzt) eher im Unfrieden verließ. Seine nächste Station war The James Gang, mit denen er ebenfalls zwei Scheiben ("Bang" aus dem Jahr 1973 sowie "Miami", 1974) ablieferte. Anschließend bekam er das Angebot von Deep Purple, den ausgestiegenen Ritchie Blackmore zu ersetzen, das er erwartungsgemäß auch annahm.
Stilistisch deutlich anders veranlagt als sein Vorgänger, waren die Purple-Fans allerdings alles andere als glücklich mit dem neuen Mann an den sechs Saiten und auch bandintern wurde das Entsetzen immer größer, als die schwere Heroin-Abhängigkeit Bolins immer deutlicher wurde. Aber auch wenn Jon Lord und Ian Paice die Combo 1976 schließlich entnervt auflösten muss gesagt werden, dass das einzige Studioalbum mit dem Amerikaner (Come Taste The Band, Herbst 1975) alles andere als schlecht war. Anders eben, wobei auch nicht vergessen werden darf, dass Blackmore bereits beim Vorgänger Stormbringer (spät 1974) die Zügel schon nicht mehr fest in der Hand hatte.
Noch vor seinem Einstieg bei Deep Purple hatte Tommy Bolin sein sehr starkes Solodebüt "Teaser" aufgenommen, das schließlch im November 1975, einen Monat nach "Come Taste The Band", veröffentlicht wurde. Dafür Promotion zu machen oder damit auf Tour zu gehen fiel aufgrund des prallvollen Deep Purple-Terminkalenders natürlich flach und so verkaufte sich die Scheibe auch nur dürftig. Nach dem Ende der Band im Frühling 1976 ging der gute Tommy erneut ins Studio, um seinen zweiten Alleingang "Private Eyes" (veröffentlicht im September 1976) aufzunehmen. Und exakt aus diesen Sessions stammen die Aufnahmen, die uns hier unter dem Namen "Shake The Devil (The Lost Sessions)" präsentiert werden. Vertreten sind darauf – logischerweise – alternative Versionen, akustische Ideen und Proben von Songs, die es schließlich auf das finale Album schafften. So bekommen wir hier drei alternative Versionen von "Gypsy Soul" in unterschiedlichen Entwicklungsformen und zwei von "Someday Will Bring Our Love Home" geboten, die restlichen Tracks sind lediglich ein Mal vertreten.
Erfahrungsgemäß ist bei solchen Veröffentlichungen, die – wie bei dieser Ausgabe – etwa 44 Jahre nach ihrer Entstehung erscheinen, erstmal Vorsicht geboten. Eine Vorsicht, die sich im Fall von "Shake The Devil (The Lost Sessions)" leider bestätigt, denn leider kommt die Soundqualität dieser Scheibe über mittleres bis besseres Bootleg-Niveau nicht hinaus. Speziell Bolins Gitarre und Gesang sind am besten herauszuhören, der Bass, die Keyboards und die Drums auch noch – je nach Song – in akzeptablem Rahmen. Dennoch wirkt hier alles wie durch einen dicken Filter gespielt und einfach nur ziemlich dumpf. Der musikalischen Qualität der dargebotenen Performances tut dies zwar überhaupt keinen Abbruch, aber nicht nur das relativ verwöhnte Ohr des Musik-Liebhabers wird hier ein paar Tränchen verlieren, Hi-Fi-Fanatiker werden wahrscheinlich bereits beim ersten Track von "Shake The Devil (The Lost Sessions)" die imaginäre Schaufel für ihr eigenes Grab in der Hand halten. Die unten aufgeführten Musiker entsprechen dem des Original-Line-ups der Scheibe, diese Angabe erhebt jedoch keinen Anspruch auf Exaktheit oder Vollständigkeit.
Klares Fazit also: Spitzenmäßige Musik, dazu mit "Tommy’s Instrumental" ein mir bislang vollkommen unbekannter Song, allerdings alles in (je nach individuellem Anspruchs-Level) mittlerer bis schlechterer Soundqualität. Daher dürfte die Platte für die ganz großen Fans des Amerikaners immer noch interessant sein, allen anderen empfehle ich jedoch erstmal die Original-Alben "Teaser" und "Private Eyes". Darüber hinaus auch Bolins Alben mit Zephyr, The James Gang, Deep Purple sowie (für Spezialisten) das Jazz/Fusion-Album "Spectrum" von Billy Cobham, auf dem der Protagonist auf vier der sechs Tracks zu hören ist.
Tommy Bolin hat das Erscheinungsjahr seines zweiten Soloabums "Private Eyes" nicht überlebt. Er erlag auf der Tour zu eben jener Platte im Vorprogramm von Jeff Beck und Peter Frampton am 04. Dezember 1976 im Alter von nur 25 Jahren einer Überdosis Heroin, die nach dem von ihm am selben Tag konsumiertem Mix aus Kokain, Beruhigungsmitteln und Alkohol offensichtlich zu viel für seinen Körper war. Das viel zu frühe Ende eines weiteren großartigen Musikers und Gitarristen.
Line-up Tommy Bolin:
Tommy Bolin (guitars, keyboards, piano, lead vocals)
Reggie McBride (bass, background vocals)
Mark Stein (keyboards, background vocals)
Bobby Berge (drums & percussion)
With:
Carmine Appice (drums – #6,12)
Bobbye Hall (percussion)
Norma Jean Bell (saxophone, percussion, background vocals)
Tracklist "Shake The Devil (The Lost Sessions)":
- Shake The Devil (alternative mix)
- Bustin' Out For Rosey (alternative version)
- Hello, Again (outtake, no strings)
- Gypsy Soul #1 (outtake)
- Sweet Burgundy (alternative version)
- Someday Will Bring Our Love Home (instrumental demo)
- You Told Me That You Love Me (instrumental demo)
- Post Toastee (acoustic demo)
- Tommy’s Instrumental (outtake)
- Gypsy Soul #2 (acoustic demo)
- Gypsy Soul #3 (rehearsal demo)
- Someday Will Bring Our Love Home (instrumental demo)
Gesamtspielzeit: 46:33, Erscheinungsjahr: 2021
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