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Transport Aerian / Skywound – CD-Review

Transport Aerian / Skywound

Transport Aerian kommen aus Belgien und sind bereits seit 2009 am Start. Im Herbst 2021 präsentierten sie ihr viertes Album "Skywound" in einer personell veränderten Besetzung. Interessant finde ich den Hinweis auf frühere Gastmusiker, die unter anderem mit Bands wie Curved Air und Ayreon gespielt haben. Es scheint fast so, als ob vereinzelt genetische Verwandtschaft aus diesen Wurzeln in die Musik von Transport Aerian eingeflossen ist, ich werde an den passenden Stellen gerne drauf verweisen.

Wer also wie ich bislang nicht vertraut mit unseren Belgiern gewesen ist, kann schon aus den beiden genannten Bezügen erahnen, dass wir uns in einen Grenzbereich zwischen Progressive Rock, Prog Metal und vielleicht auch ein wenig Jazz begeben werden. Der Duktus der Musik ist dabei durchaus düster, der Plot des Konzeptalbums erzählt die Geschichte eines Pärchens am Rande heraufziehender, globaler Konflikte und drohender Zerstörung. Dabei geht es vor allem darum, wie sich das Leben der beiden persönlich verändert. Ihr Blickwinkel auf die unbeeinflussbar nahende Katastrophe, sowohl politisch als auch spirituell, steht im Mittelpunkt und das macht die Musik so menschlich und leider auch zeitgemäß in einer Welt, die kaum noch einer versteht und die uns alle mit Sorge in die Zukunft schauen lässt. Jeder von uns könnte so empfinden und erfahren wie unsere Protagonisten. Ein schöner, wenngleich traurig schwermütiger Ansatz.

Dass in Belgien großartige progressive Bands reifen, weiß ich spätestens seit Hypnos 69, einer wunderbaren Band, deren musikalischer Ausdruck aber ein anderer ist. Die Komposition wird im Prinzip in fünf kleinere Abschnitte unterteilt, typisch für den klassischen Prog Rock durch themenbezogene Interludes, die hier "Fracture I-IV" heißen. Man sollte aber unbedingt das Album am Stück hören, da die einzelnen Nummern eindeutig einen gewollten Flow bilden.

Nach dem riffbeladen schweren Auftakt, der auch von der einprägsamen und in der Folge sehr abwechslungsreichen Stimme des Frontmans Hamlet (ja, der nennt sich wirklich so) lebt, zeigt schon "At The Cliff" schöne, fast experimentelle Sounds, fein konterkariert durch den Kontrast zwischen der sanften Sangesstimme von Rachel Bauer und dem männlichen Gegenpart. Diese leisen Passagen berühren seltsam und werden im kurzen "Fracture I" adäquat weitergeführt. "Lunatic" weckt selbstredend unverzügliche Reflektionen auf eines der legendärsten Alben der Rockgeschichte, The Dark Side Of The Moon von Pink Floyd und den Text aus "Brain Damage". Das Intro könnte man soundmäßig und auch instrumental sogar in einem ähnlichen Orbit ansiedeln. Aber nur kurz, der markante Ausdruck von Hamlets Stimme und die kräftig einschlagenden Gitarren gehen einen anderen Weg, das Outro wird dann wieder sehr zurückgenommen und entschleunigt zum Ende immer mehr. In den ruhigen Passagen erinnert Hamlets Stimme hier und da an frühere Werke der Neo Progger Arena. Und dann macht sich plötzlich ein Wurmloch auf und über harten Riffs elaboriert eine wilde Lead-Gitarre, doch die Tasten sprechen abermals das letzte, sehr melancholisch sanfte Wort.

"Latgalian Gothik" vermittelt einen düsteren Charakter auf mehreren Ebenen. Tatsächlich gothikartige Akkorde im Hintergrund, geheimnisvoll repetitive Keyboardklänge und ein abgefahrenes Violinen-Solo (da wäre ich bei Curved Air), alles doomig eingebremst. Wenn das Piano übernimmt, lösen wir uns ein wenig aus den Tiefen der Moll-Töne und werden dezent übergeleitet in das schöne und jetzt wirklich melancholisch, romantische "Falling 20", wo die Gesangslinien zunächst durch Violine und Piano getragen werden. Die Dramatik verschärft sich, wenn die Gitarre dazu kommt und ein Solo einläutet, wie wir es von Herrn Gilmour in der Schlussphase der Geschichte von Pink Floyd hätten hören können.
"Fracture II" mit seinem synthetisch klingenden Rhythmus wirkt tatsächlich modern und ist ein Stück weit elektroniklastig. Rachel Bauer gestaltet den Song mit ruhigem Sprechgesang, nicht das einzige mal, dass dieses Stilelement verwendet wird. "Kuznetsov", nun wieder mit sehr organischer Percussion, wandelt bedrohlich auf etwas zu, was uns Angst vermitteln soll. Die immer mehr aufschäumenden Blech-Schläge künden von Unheil. Das bedrohliche Szenario reduziert sich mehr und mehr auf eindringliches Drumming und die Erzählstimme, bis mit einer warmen akustischen Gitarre das nächste Break in "Fracture III" aufwartet, fast ein wenig tröstlich nach der letzten Nummer.

Dann kehren die harten Riffs zurück mit "The Effect". Der Song nimmt permanent Fahrt auf und darf in einem krachenden Solo eskalieren, etwas, was wir auch von Arjen Lucassen bzw. Ayreon kennen. "Moses" hingegen eröffnet ausdrücklich jazzbehaftet und bringt einen völlig neuen Aspekt in den Aufbau des Albums. Das sind genau die überraschenden Momente und Stilbrüche, wo sich Transport Aerian weit von anderen Bands entfernen. Das wunderschöne, fast wie ein Flamenco gespielte "Fracture IV" vertieft dieses gute Gefühl, hier eben nicht auf alten Pfaden unterwegs zu sein. Es sind gerade diese sanften Umschaltmomente, die den Reiz von "Skywood" ausmachen. Genau mit diesem namensgebenden Titelsong endet das Album. Hamlet beweist hier noch einmal seine Variabilität, wenn man fast das Gefühl hat, hier würden zwei verschiedene Stimmen zu hören sein. Dies ist dann im Finale tatsächlich der Fall, wenn Rachel Bauer den Gegenpart bzw. die Erzählstimme übernimmt. Aud dem Höhepunkt tosen die Gitarren und erinnern mich ein wenig an frühere Aufnahmen von Porcupine Tree, zum Ende klingt die Musik jedoch auf einem zurückgenommenen Klangteppich elektronischer Sounds und dem beschriebenen Erzähl-Part aus.

Transport Aerian liefern ein schönes progressives Album mit Tiefgang und überzeugen musikalisch und thematisch in all der dunklen Dramatik, die dem Konzept zugrunde liegt. Die Musik bringt diese Gefühle sehr gut zum Ausdruck, sie liegt insgesamt zwischen den Sparten und lässt sich stilistisch nur schwer einfangen. Genau das aber ist ihre Stärke und das lässt sie heraustreten aus dem großen Kreis weitgehend retro-orientierter Bands, die ihr Augenmerk darauflegen, möglichst nahe bei ihren Vorbildern zu liegen. Transport Aerian haben ihren eigenen Stil und sie variieren ihre Musik auf eine stille, feine und subtile Weise. Gerade dadurch gewinnt ihr Ansatz eine Art Alleinstellungsmerkmal und empfiehlt sich der hiesigen Prog-Szene. Hie und da ein paar moderne Klänge, subtile elektronische Schnipsel und sogar ein kurzer Ausflug in Richtung Jazz. Und dann wieder Ausflüge in den Prog Metal. Das sollte neugierig machen.


Line-up Transport Aerian:

Hamlet (vocals, bass, guitar – #4,13, programming – #2,5,13)
Stefan Boeykens (guitar, programming – #4,9,10)
Umut Eldem (keyboards, electric organ, electric piano)
Paul de Smet (drums, violin – #5,6, programming – #8)
Rachel Bauer (additional vocals – #2,5,13, narration – #2,3,7,9,13)

Tracklist "Skywound":

  1. Shall Not Be
  2. At The Cliff
  3. Fracture I
  4. Lunatic
  5. Latgalian Gothik
  6. Falling 20
  7. Fracture II
  8. Kuznetsov
  9. Fracture III
  10. The Effect
  11. Moses
  12. Fracture IV
  13. Skywound

Gesamtspielzeit: 43:37, Erscheinungsjahr: 2021

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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