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Twenty Sixty Six And Then / Reflections On The Future – CD-Review

Twenty Sixty Six And Then-Reflections On The Future-CD-Review

Der Sänger Geff Harrison aus dem englischen Salford (nahe Manchester) war ab ca. Mitte der sechziger Jahre mit britischen Bands in Deutschland unterwegs auf Tour. Irgendwann blieb er in Mannheim hängen, wo es zur Gründung der Band Twenty Sixty Six And Then (der Hintergrund des Bandnamens stammt aus der englischen Historie) kam, die leider nur eine kurze Haltbarkeitsdauer hatte. Besonderheit war wohl, dass die Combo gleich mit zwei Keyboardern aufwartete, die dann von Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug abgerundet wurden. Durch einige glückliche Umstände dauerte es auch nicht lange, bis es zur Einspielung des einzigen regulären Werkes "Reflections On The Future" kam. Als das Album damals auf den Markt kam, wurde es von den Kritikern zwar mit Lob überschüttet und auch ausgiebig im Radio gespielt, nur gekauft hat es leider niemand. Naja, jedenfalls viel zu wenige Musikfans, was schließlich auch zum Split des Sechsers führte.

Dabei war dieses Debüt musikalisch über alle Zweifel erhaben. Die Songs sind großartig und so krautrockig, wie sie nur sein könnten. Abgesehen von dem kleinen Unterschied, dass hier mit Harrison ein Sänger am Start war, der (logischerweise) auch der englischen Sprache und Grammatik mächtig war. Die beiden Tastenartisten machen – unterstützt von der mächtigen Rhythmusabteilung Dieter Bauer (bass) sowie Konstantin Bommarius (drums) mächtig Alarm und ergänzen sich hervorragend mit dem Gitarristen Gagey Mrozeck, der ebenfalls immer wieder seine Freiräume findet und diese auch sehr clever und geschickt nutzt. Addiert man dazu noch das Reibeisen-Organ Harrisons sowie die sehr starken Melodien, dann hat man ein plötzlich ein Krautrock-Gemisch des obersten Qualitäts-Levels zusammen.

Die fünf Tracks des Originalalbums haben fast durchgehend Überlänge, lediglich "How Would You Feel" mit knapp dreieinhalb und "At My Home" mit fünf Minuten wahrten noch konventionelle Songformen. "Autumn" mäandert – ihr werdet es erraten – in einer schwer melancholischen Grundstimmung, der aber musikalisch großartige und vielfältige Ideen entgegengesetzt werden. Der Opener überrascht durch seine gut ausgeprägten Melodien, ebenso wie die tolle Mischung aus eben solchen und der eher durchgeknallt musikalischen Umsetzung der Nummer. Das Herzstück ist der Titelsong, der mit seinen knapp 16 Minuten Spielzeit so ziemlich jede Idee durch die Mangel dreht, die den Musikern damals durch ihre Hirnwendungen floss. Ein wahrer Trip, ein echtes Erlebnis. Klasse gespielt, wahnsinnig variabel und eine Scheibe, bei der man auch nach dem x-ten Durchlauf immer wieder etwas Neues entdecken wird. Ebenfalls großartig und unbedingt erwähnenswert ist "Butterking".

Die zweite CD kann dann mit allerlei Zusatzmaterial glänzen. Beispielsweise mit dem über 13-minütigen "Spring (Duet For Two Hammonds)", bei dem sich – der Titel verrät es bereits – vor allem die beiden Tastenmänner Steve Robinson und Veit Marvos mal so richtig die Kante geben und ein Prog-Duell aus dem Köcher ziehen, das sich gewaschen hat. Aber auch der Bass und das Schlagzeug sind bei diesen aberwitzigen Ritten durch die Tastendimensionen mit dabei. Hammer. Mit "I Wanna Stay" sowie "Time Can’t Take It Away" sind zwei Tracks aus den sogenannten 'Munich Sessions' vertreten, die zwar ohne die originale Rhythmusabteilung, dafür aber mit niemand Geringerem als Curt Cress an den Drums aufwarten können. Beim zweitgenannten, auch insgesamt besseren, Track ist übrigens die ehemalige Disco Queen Donna Summer mit von der Partie. Dann zwei Demo-Aufnahmen aus dem Winter 1970, von denen vor allem das sehr starke "I Saw The World" überzeugen kann. Dabei soll es sich um mit dem Kassettenrecorder gemachte Aufnahmen von der allerersten Bandprobe handeln. Grandios für eine erste Session, selbst wenn sich der Sound logischerweise nicht auf demselben Qualitätslevel befindet. Den Abschluss bildet schließlich eine Aufnahme von Steve Robinson (mit Thomas Klama an der Gitarre), in die die übrigen Bandmitglieder allerdings nicht involviert waren.

Die Band Twenty Sixty Six And Then gab es leider nur etwa eineinhalb Jahre und ein (zu aktiven Zeiten veröffentlichtes) Album lang. Sänger Geff Harrison und der Gitarrist Gagey Mrozeck wechselten zu Kin Ping Meh, der 2014 verstorbene Drummer Konstantin Bommarius sowohl zu Agitation Free als auch Karthago und Veit Marvos zu Emergency.

Mit "Reflections On The Future" wurde jedenfalls eine echte Krautrock-Perle wieder ans Tageslicht gebracht, die allen Fans dieser Richtung ein blitzsauberes Lächeln auf die Lippen zaubern wird. Das Original-Album ist der Hammer und braucht sich vor Vergleichen mit den Besten nicht zu scheuen. Das Bonus-Material leidet zwar meist ein bisschen unter den Aufnahmebedingungen, sprich der Soundqualität, ist aber dennoch eine willkommene Bereicherung zu den ersten fünf Songs.

Wer auf Progressive- und Krautrock steht, dazu ein Faible für die raue Stimme Geff Harrisons hat, der wird hier voll auf seine Kosten kommen.


Line-up Twenty Sixty Six And Then:

Geff Harrison (vocals)
Veit Marvos (organ)
Steve Robinson (organ, piano, vibraphon)
Gagey Mrozeck (guitars)
Dieter Bauer (bass)
Konstantin Heinrich Bommarius (drums)

With:
Wolfgang Schönbrot (flute – CD 1 – #6, CD 2 – #1, saxophone – CD 2 – #1)
Davy Crockett (bass – CD 2 – #3)
Curt Cress (drums – CD 2 – #3,4)
Thomas Klama (guitar – CD 2 – #7)
Donna Summer (CD 2 – #4)

Tracklist "Reflections On The Future":

CD 1:

  1. At My Home
  2. Autumn
  3. Butterking
  4. Reflections On The Future
  5. How Would You Feel
  6. At My Home (studio live version)

CD 2:

  1. The Way I Feel Today (studio live version)
  2. Spring (Duet For Two Hammonds)
  3. I Wanna Stay (The Munich Sessions)
  4. Time Can’t Take It Away (The Munich Sessions)
  5. Winter (Demo 1970)
  6. I Saw The World (Demo 1970)
  7. Steve Robinson – You Are Under My Skin

Gesamtspielzeit: 47:21 (CD 1), 49:17 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2017 (1972)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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