Exorbitante Steigerungen und ein gemeinsamer Hut
Es ist noch nicht lange her, da philosophierte der Rezensent über Kulturpessimismus und die beschwerlichen Wege, die handgemachte (Rock-) Musik in Zeiten von Software-basierten Produktionen, Dauerberieselungs-Streaming statt zu verkaufender Tonträger, wegbrechender Live-Zugpferde und Pandemie-Folgen zu beschreiten hat.
Damals ging es um eines der letzten Live-Konzerte, die vor dem ersten Lockdown in Deutschland stattfanden, einschließlich der Befürchtung, dass es für die Betreiber*innen kleiner Live-Musikclubs sehr eng werden könnte. Mittlerweile befinden wir uns in der Post-Pandemie-Zeit, das Virus hat seinen Schrecken verloren, allerdings sind eventuelle (gesundheitliche) Langzeitfolgen noch genauso unabsehbar wie die wirtschaftlichen Folgen für den Live-Musikclub-Betrieb.
Als harter Fakt kann allerdings gelten, dass auch hier die Preise gewaltig angezogen haben.
Unabhängig von diesen Überlegungen machte das Songwriter-Quartett US Rails aus der Not eine Tugend, ersann in der langen Zwangspause räumlich voneinander getrennt jeder für sich neue Songs, um dann vorliegendes Album in Philadelphia und Wyncote, ein kleines Nest mit knapp über 3000 Einwohner*innen gleich daneben, einzuspielen.
Die technische Seite betreut dabei ihr hauptamtlicher Schlagwerker Matt Muir, der ansonsten noch das von ihm selbst eingesungene "Walk Away" beisteuert. Seine drei Kollegen teilen sich gleichberechtigt das restliche Füllhorn und die 'Supergroup' aus vier ambitionierten Solokünstlern, die irgendwie im Schatten und unter dem Radar der großen Aufmerksamkeit segeln, produziert ihr neuestes Werk selbst. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie damit seit 2010 bereits das siebte Studiowerk vorlegen, denn individuelle Egos wollen unter einen Hut gebracht werden können.
Und dieser gemeinsame Hut ist ihnen mehr als achtbar gelungen. "Live For Another Day" hat sich als genau das richtige Vehikel für ihre bis dato größte Europa-Tour erwiesen, welche durchaus begeisterte Reaktionen hervorrief und ihre monatliche Präsenz bei einem großen schwedischen Streaming-Anbieter um sage und schreibe 546,25% steigern konnte … zugebenermaßen von einem sehr bescheidenen Niveau ausgehend. Dieser Zusammenhang ist selbstredend reine Spekulation, angesichts der Qualität des neuen Outputs aber schlüssig.
Über die gesamte Albumlänge wird gut abgehangener Roots-Rock/Americana mit Einsprengseln von Heartland-Rock ("Can’t Let It Go"), Rock’n’Roll Marke rollender Steine oder Satelliten aus Georgia ("Too Much Is Never Enough"), The Band-Seligkeit ("Walk Away", "What Did I Do"), John Hiatt-Vibes ("No Better Love"), Joe Walsh-Vibes ("Feels Like A Heartache"), Don Henley-Vibes ("Lay Your Head On Me) oder gar The Chris Robinson Brotherhood-Vibes ("Road To Hell") geboten, immer garniert mit vierstimmigen Harmonies. Dabei sticht, durchaus nicht untypisch für die Vier, kein Song ganz oben raus, aber es gibt auch keinerlei Ausfälle. Nicht zuletzt darf anerkennend konstatiert werden, dass "Live For Another Day" trotz vier einzelner Songwriter überaus homogen und kohärent ausfällt, was die qualitative Klasse der Protagonisten explizit unterstreicht.
Fazit:
Wer das Heilbronner Plattenlabel 'Blue Rose Records' kennt (»finest brand in handmade music«), wird an dieser Stelle musikalisch nicht enttäuscht werden. Auch das fest kartonierte Digisleeve der CD-Ausgabe mit 16-seitigem Booklet und allen Texten weiß zu gefallen. Leider gibt es keine Angaben zur genauen Instrumentierung der Songs, die beiden Tom Gillam-Beiträge "Too Much Is Never Enough" und "Feels Like A Heartache" sind im Booklet von der Platzierung her vertauscht und die Lautstärke-Kompression fällt heftig aus, so dass der Musik unnötig Dynamik flöten geht.
Line-up US Rails:
Tom Gillam (vocals, guitars)
Ben Arnold (vocals, keyboards, piano, accordion)
Scott Bricklin (vocals, bass, guitars, mandolin)
Matt Muir (vocals, drums)
Tracklist "Live For Another Day":
- Live For Another Day (4:03)
- Can’t Let It Go (3:27)
- Too Much Is Never Enough (4:17)
- Walk Away (3:47)
- What Did I Do (3:35)
- No Better Love (4:06)
- Feels Like A Heartache (3:52)
- Lay Your Head On Me (4:03)
- The Road To Hell (4:56)
- End Of Time (4:09)
Gesamtspielzeit: 40:16, Erscheinungsjahr: 2023
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