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V.A. / Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam (1977 – 1983) Teil 2 – CD-Review

V.A. / Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam (1977 – 1983) Teil 2 – CD-Review

Wer hat’s geschrieben? Diese Adaption des bekannten Werbespruchs eines Schweizer Bonbonherstellers lässt in vorliegendem Fall nur einen Namen zu: Dr. phil. Frank Schäfer, der u. a. auch die Liner Notes zu Teil 1 der Bear Family Recrds-Reihe Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam verfasste und auch an anderen Stellen bei RockTimes auftaucht. Generell üblich bei der 'Bärenfamilie' sind dicke Beilagen und so ist auch in Teil 2 der "Heavy-Kraut"-Serie das Booklet 96 Seiten stark.

Vorliegendes Doppel-CD Werk knüpft an den Vorgänger an, dessen Trackliste bis 1976 reicht. Es geht also weiter im Jahr 1977 und im Eingangswort geht Frank auf die internationalen Helden der Zeit ein. Es fallen Namen wie Led Zeppelin, Black Sabbath, Queen, Thin Lizzy, Boston, Free oder Bad Company und dann stellt der Autor die entscheidende Frage: »Und was ist los in Deutschland?«

Kraut natürlich und diese Spezies wurde mittlerweile auch außerhalb der Landesgrenzen gehört. Härtere Gangarten waren selbstverständlich ebenfalls bereits zu finden; seien es die Halb-Hart-Rocker Kin Ping Meh, die Hard-Krautler Birth Control, Straight Shooter und natürlich Perlen wie Lucifer’s Friend, Epitaph, Saitengott Uli Jon Roth bzw. Electric Sun und so weiter. Aber Dampf mit Metaleinschlag kam erst mit Bands wie Accept, Sinner, Rampage, Rated X, … .

Gestartet wird mit einer raren Perle: Fargos "Comin' Together". Bevor die Hannoveraner 1979 ihr Debütalbum "Wishing Well" veröffentlichten, gab es zwei Jahre vorher das Vinyldebüt in Form einer Single bei Lava Records. Auf dieser raren (500 Exemplare) Scheibe hören wir den Keyboarder Erwin Kania, der kurz danach nicht mehr dabei war und durch Hanno Grossmann, einen weiteren Gitarristen ersetzt wurde. Im Prinzip schade, denn gerade auch durch die Tasten ist das Melodiemonster "Comin'  Together" ein Highlight, das es verdient hätte, die Radiolandschaft aufzumischen. Und das hätte der Song mit links geschafft, aber wie Bandgründer Peter Knorn mittteilt, wurden die 500 Singles auf Konzerten verkauft und wären ansonsten lediglich im »Lufthansa Bordfunk« gelaufen. Sollte das stimmen, wäre das ein weiterer Beweis für die Qualität der Lufthansa, die damals für ihre Passagiere schon auf Pfälzer Wein setzte.
"Comin'  Together" ist ein würdiger Opener für diesen Sampler. Zwar ist das Lied eher im Pop Rock-Umfeld angesiedelt, aber man darf die Worte Heavy und Kraut eh' nicht dogmatisch sehen.

Ich glaube, die Diskussion über den Begriff Kraut haben wir in RockTimes schon sehr oft behandelt und es hat sich nichts geändert: Für die einen ist es eine musikalische Spiel-, bzw. Stilart, für die anderen markiert es die Herkunft. Schaut und vor allem hört man sich die Bands an, die auf "Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam (1977 – 1983) Teil 2" zu finden sind ist klar, es geht um die Herkunft; so vermittelt es ja auch Name und Sinn der Zusammenstellung.

Und mir geht es so, dass jede Menge Unbekanntes auf meine Ohren trifft. Sind einige der Bands in meinen Regalen zu finden, so gibt es auch viele Truppen, deren Namen ich das erste Mal höre, wie auch deren Musik. Und darunter gibt es einiges zu entdecken, vieles was einem den Mund offenstehen lässt. Und auch die innerdeutsche Landesgrenze spielte keine Rolle bei der Auswahl der Stücke. »Aufgenommen im Rundfunk der DDR am 22.9.1978«, steht beim Kapitel Set und ihrer Nummer "Kipper Keule". Auch Berluc, die in den 1960er Jahren als Jazzer begannen, sich dann aber schnell in Richtung Rock bewegten haben ihre Wurzeln im Osten, was auch der Bandname dokumentiert, der als Kunstwort für Berlin und Lückenwalde steht.

Natürlich kennt der in Ehren ergraute Musikfreund viele der hier vorgestellten Bands, manche auch erst aus RockTimes-Reviews, wie etwa die auf Ost-Kraut! Progressives aus den DDR-Archiven (1976-1982) Teil 2 genannten Prinzip mit ihrem "Sieben Meter Seidenband". Dagegen sind ihm die bayerischen Heavy-Metaller Mass zum Beispiel absolut unbekannt und der vorgestellte Track "Shoot Out" doch mehr im kultivierten Rockbereich zu verorten. Das ist allerdings genau die Faszination dieser Zusammenstellung: man beißt irgendwo an und beschäftigt sich dann mehr mit der Band. Zu jeder Gruppe gibt es daneben im Bocklet sehr ausführliche Informationen, sodass jeder Rockfreund auf seine Kosten kommen wird und vieles  erfahren kann; dass Viva mitnichten nur ein TV-Musiksender war, sondern auch eine Band aus Hannover, die von Barbara Schenker gegründet wurde. Genau, die Schwester von Rudolf und Michael.

Wenn Frank Schäfer schreibt, dass die Bochumer Bullet etwa »AC/DC-Gedächtnisriffs schrubben«, muss man ihm zustimmen; auch dass der Gesang etwas an Accept  gemahnt. Irre ist auch zu lesen, dass Jutta Weinhold mit der Band Breslau und dem einzigen Album "Volksmusik" ins rechte Lager gerückt wurde. Sie hatte genug von Blues Rock, wollte härter werden und da es damals unüblich war harte Musik an der Grenze zum Metal mit deutschen Texten zu versehen, tat sie es und wurde textlich missverstanden. Hinzu kam, dass der Bandname sowie das an Wandervögel erinnernde Cover ebenfalls Anstoß erregten. Dass die Vorverurteilung mindestens dumm und vor allem aber falsch war, stellte sich dann peu à peu heraus.

Sachen wie Bauer, Garn & Dyke kennt man doch nicht, oder? Sollte man vielleicht, denn der gute Fritz samt Udo im Schlepptau traf das Trio und Hannes Bauer war kurz danach Mitglied des Panikorchesters. Dass ich Trance nicht kenne, ärgert mich fast ein wenig, denn wie ich im Netz lese, gelten sie als »Mitbegründer des deutschen Heavy Metal der 1980er Jahre«. Und Frank betitelt sie als »Pfälzer German-Metal-Pioniere«. Und das mir, dem Pfälzer, dem "Confession" wie eine gelungene Mischung aus frühen Scorpions und Nazareth vorkommt.

Natürlich sind die präsentierten 28 Nummern als ein Ausschnitt der genannten Zeit zu sehen und sicher würden viele ergraute, gefärbte oder haarlose Häupter weitere Bands ausgewählt haben – weil es eben jede Menge Musik aus deutschen Landen gab. Ich bin äußerst zufrieden mit vorliegender Auswahl, denn erstens stehen mir viele bekannte Sachen zum größten Teil bereits zur Verfügung und zweitens ändert sich die Meinung der Bären vielleicht und es bleibt doch nicht bei ’nur' zwei Teilen dieser Reihe.

Ich finde diese Sammlung deutscher Musikhistorie der Bären Familie spannend. Wer sich in den starken Infos belesen, sich an der nicht minder starken Musik erfreuen und sich altem Neuen öffnen will, der sollte diesen Sampler, der von fast NDW über Rock bis Metal alles streift, nach Hause holen. Punkt!


Tracklist "Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam (1977 – 1983) Teil 2":

CD 1:

  1. Comin' Together – Fargo
  2. Live – Bullfrog
  3. Lost Son – Elfenbein
  4. Sieben Meter Seidenband – Prinzip
  5. Johnny – Tollhouse
  6. Kipper Keule – Set
  7. On The Road – Epitaph
  8. Hallo Erde, hier ist Alpha – Berluc
  9. Back To The Nature – Bastard
  10. Fire – Krokus
  11. Day Of Solution – Snake
  12. Steven – Requiem
  13. Shoot Out- Mass
  14. Break Out – Viva

CD 2:

  1. Fire Wind – Electric Sun
  2. Rollin' Into Our Live – Faithful Breath
  3. Victims Of Rock – Rampage
  4. Starlight – Accept
  5. Cold Hearted Woman – Bullet
  6. Spinne – Breslau
  7. Pyro-Manni (Feueralarm!) – Bauer, Garn & Dyke
  8. High Speed Lover – Straight Shooter
  9. Ridin' The White Horse – Sinner
  10. Confession – Trance
  11. Time Machine – Beast
  12. Free Will – Mad Max
  13. Rock Blooded – Rated X
  14. Chains And Leather – Running Wild

Gesamtspielzeit: 63:51 (CD  1), 58:34 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2024 (1977–1983)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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2 Kommentare

  1. Ulli Heiser

    Ja Manni,

    schön dass es bei uns Artikel gibt, aus denen auch ein Fachmann zitieren kann.
    Mit dem Begriff Kraut es wie mit Wasser: Der eine denkt an destilliertes Wasser für die Autobatterie, der andere an Kirschwasser 🙂 . Ich schwanke auch immer mal wieder zwischen der Stilrichtung Kraut und dem Begriff als Ausdruck der Herkunft.
    Es gibt Bands von (weit) außerhalb Deutschlands, deren Musik ich unter Kraut ablege. Wenn die Herkunft herhalten soll, dann kann ich mit vielen Stilrichtungen leben. Ich täte mir aber weh, wenn z. B. Rap von deutschen Musikern als Kraut durchginge.
    Ein schwieriges Thema und ich glaube, da muss ein jeder so durch wie ihm der Weg passt. Im Zweifel sehe ich Kraut als Musikstil, der aus Deutschland kommt … 🙂

  2. Manni

    Was mich in Frank Schäfers Buch "Heavy Kraut! – Wie der Hardrock nach Deutschland kam" überrascht hat war, dass er mich aus meiner Rocktimes-Review des ersten Albums von Lucifer’s Friend zitiert (S.42). Na sowas, das freut mich.

    Manche Interpreten sind mit ihrer "heaviness" für mich aber kein "Kraut", das ist jedoch nur meine eigene unmaßgebliche Empfindung. Die Band Weed mit "Sweet Morning Light" (auf dem ersten Sampler) war Ken Hensleys "deutsches Engagement", klingt 1:1 wie Uriah Heep, quasi eine Ergänzung zum Heep-Klassiker "Demons & Wizards" aus dem selben Jahr.

    Auf alle Fälle sind nicht nur das Buch, sondern auch beide Sampler dazu eine Empfehlung.

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