«

»

V.A. / Rockin' With The Krauts Vol. 1 – Real Rock’n’Roll Made in Germany – CD-Review

Rockin' With The Krauts Vol. 1 - Real Rock’n’Roll Made in Germany

Wie bei der Bear Family üblich, starten die jeweiligen musikalischen Reisen mit geballter Information zu dem jeweiligen Thema des Albums. In vorliegendem Fall geht es um den ersten Teil von "Rockin' With The Krauts" und mitnichten um Kraut Rock, sondern um "Real Rock’n’Roll Made in Germany".

Konkret wird der Zeitraum von 1957 bis 1965 behandelt und zwar mit 33 Titeln, auf die im 32-seitigen Booklet, geschrieben von Roland Heinrich Rumtreiber, einzeln eingegangen wird. Die ersten dreizehn Seiten behandeln den geschichtlichen Hintergrund, der zu dieser durchaus musikalischen Revolution der Nachkriegsjugend führte.

Und Roland Heinrich holt weit aus, geht zurück in die Zeit des Nationalismus, der Weimarer Republik, ja gar bis zum Wilhelminismus. Politisch und/oder ideologisch geprägt waren die Zeiten natürlich schon damals, auch die Kirche mischte mit und so standen im Laufe der Zeit die unterschiedlichsten Bewegungen im Fokus. Da war die Wandervogelbewegung, die Jugendgruppen der politischen Parteien, die Pfadfinder mit ihrem musikalischen Fahrtenliedergut, kirchliche Jugendgruppen, das Geschehen um die Burg Waldeck und, und, und.

Selbst der Nationalsozialismus konnte nicht allen dieser Bewegungen Herr werden und sie in seine Jugendbewegung integrieren. Am Ende des Dritten Reiches gab es erst mal nichts mehr für den Großteil der Jugend. Männer waren kaum noch da und die Frauen mussten die zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen und schauen, dass die Familie etwas auf den Tisch bekam. Es gab für die Jugend noch keine Jugendgruppen, geschweige denn Jugendarbeit und die sog. Schlüsselkinder waren mehr oder weniger auf sich alleine gestellt.

Hatte in den Dreißigern der aufkeimende Jazz und Swing (die sog. Negermusik) vor allem politische, ideologische Feinde, so hatten es nun nach dem Wirtschaftswachstum die 'Halbstarken' mit ihren aus Gefangenschaft zurückkehrenden Vätern und der Gesellschaft zu tun. Oder umgekehrt, denn diese jungen Wilden legten den Grundstein zu einem Kulturwechsel.

Sie verdienten Geld, konnten sich Plattenspieler sowie die dazugehörenden Platten kaufen und auf denen waren keine Schlager zu finden, sondern Rock’n’Roll. Sie trafen sich auf öffentlichen Plätzen, was vom Establishment als 'Herumlungern' abgetan wurde, die Haare wurden länger und sie lehnten alles Konservative ab. Vor allem Uniformen, wobei das im Nachhinein zum Schmunzeln anregt, denn wenn man ein gewisses Alter hat und sich zurück erinnert, so muss man zugeben, dass die damalige Kleidung der Jugend nichts anderes als ebenfalls uniform war.

Verlassen wir den geschichtlichen Teil und kommen zur Musik. Mit seinen 63 Jahren ist der Rezensent zu jung, um die Interpreten und deren Musik ausgiebig zu kennen, denn meine bewusste musikalische Sozialisation begann nach 1965 und somit später als der Zeitrahmen vorliegender Kompilation. Natürlich sind Namen wie Peter Kraus, Billy Sanders, Ted Herold oder die Rattles namentlich wie auch musikalisch bekannt. Und irgendwo im antiken Bereich meiner Erinnerung regen sich Synapsen und weisen hin zu den Waldgaststätten, die mit den Eltern beim (ungeliebten) sonntäglichen Spaziergang aufgesucht wurden und wo die Wurlitzer, Seeburgs und Rock Olas wechselweise von den Alten und Halbstarken mit Münzen gefüttert wurden, um entweder Schlager und Blasmusik oder aber Rock’n’Roll zu spielen.

Natürlich fanden sich in den Juke Boxen Platten von Musikern vom Schlag zum Beispiel eines Bill Haleys, aber vorliegende Zusammenstellung behandelt die Krautvarianten. Und da hat es laut Label mit den Starfighters den Six Tornados, den Rocking Stars, den Fred Feuerbach All-Stars oder Frankie & The Rockets auch eher Unbekannte, deren Originale schwer zu finden und teuer zu bezahlen sind. Wohlan, auf "Rockin' With The Krauts Vol. 1  / Real Rock’n’Roll Made in Germany" kann man musikalisch auf Zeitreise gehen. In eine Zeit, als mein Jahrgang auf der Kirmes am Kinderkarussell und dem Wagen mit den Süßigkeiten stand, während an den anderen Fahrgeschäften die Halbstarken mit ihren dicken Koteletten und den geölten Haaren dem Rock’n’Roll lauschten.

Schauen wir gespannt auf Teil zwei dieser Reihe und bis dahin schwelgen wir gerne in alten Erinnerungen.


Tracklist "Rockin' With The Krauts Vol. 1 / Real Rock’n’Roll Made in Germany":

  1. Starfighter’s Theme – The Starfighters
  2. Rhythm And Blues And Johnny – The German Blue Flames
  3. Hey Baby (A Big Hunk O’Love) – The Rocking Stars
  4. Doll-Doll-Dolly – Peter Kraus
  5. Ich bin kein schöner Mann – Billy Sanders
  6. Schaut, schaut, das ist meine Braut (Shout! Shout!) – Fredy Brock & seine Twist-Makers
  7. Frankie’s Twist – Frankie & The Rockets
  8. Let’s Go, Baby – Paul Würges & seine Hit-Paraders
  9. Motorbiene (Motorcycle) – Benny Quick
  10. Männer gibt’s wie Sand am Meer – Nora Nova
  11. Ringelingeling – The Gisha Brothers
  12. Lass sein (Buy A Car) – Billy Sanders
  13. Tiger – Fred Hollerbach All-Stars
  14. Wie Du (My Soul) – The Rackets
  15. Little Wallflower – The Six Tornados
  16. Rocket’s Slop – Frankie & The Rockets
  17. Mary, Mary Lou – Paul Würges
  18. Little Linda (Little Sister) – Ted Herold
  19. Der Liebestraum als Twist – Charly Cotton & seine Twist-Makers
  20. Eine Reise nach New York (Fun, Fun, Fun) – Mama Betty’s Band
  21. Sweet Little Rock’n’Roller – The Rollicks
  22. Daisy, Du musst schlafen geh’n – Billy Sanders
  23. Die Boys und ihre Babies – Paul Würges & seine Rocking All-Stars
  24. Rip It Up – The Original Team-Beats
  25. Ohne ein bestimmtes Ziel (No Particular Place To Go) – Bernd Spier
  26. Lost John – The Starfighters
  27. Denn du küsst so heiss (Just The Two Of Us) – Benny Quick
  28. Ich bin ein Wanderer (The Wanderer) – Ted Herold
  29. I Ain’t Got You – The Progressives
  30. I Want You – The Gisha Brothers
  31. Bye Bye Johnny – The Rattles
  32. Null Uhr Zehn (Drip Drop) – Pichi
  33. Sei mein Baby (Be My Baby) – Suzanne Doucet

Gesamtspielzeit: 79:40, Erscheinungsjahr: 2021 (1957 – 1965)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
Über mich
Meine Seite im Archiv
News
Mail: ulli(at)rocktimes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>