Die beiden Alben aus den Jahren 1975 und 1976 sollen hier nun in einem Review vorgestellt werden, sie stellen einen Schritt dar, hin zu einer ein wenig zugänglicheren Ausdrucksweise klassischer VDGG-Harmonie und -Rhythmik. Das kann einen freuen oder auch nicht.
Zur Ausstattung der Alben gilt grundsätzlich das, was bereits zu den beiden Vorgängern beschrieben wurde: Es gibt eine erstklassige Mischung des Originals und einen neuen Mix, jeweils auf einer CD. Beide Versionen werden dazu in 5.1-Surround-Sound auf DVD präsentiert. Auch hier ist Bonus-Material vorhanden.
Beginnen wir mit "Godbluff", der nach einer namhaften Wissensseite im Internet populärsten Platte von VDGG. Ich vermute, diese Popularität bezieht sich auf Verkaufszahlen, näher definiert wird es nicht.
"The Undercover Man" bietet unterschwellige Anleihen in den Flöten bei Oldfield, überraschend sanft harmonische Melodien, während Peters Stimme gewohnt hysterisch schizophren elaboriert.
Das Saxofon klingt ungewohnt friedfertig, Canterbury-artige Improvisationen kommen mir in den Sinn. Insgesamt ein erstaunlicher Wandel seit "Pawn Hearts", es scheint fast, als ob VDGG seine Fans nicht überfordern möchte. Vielleicht ist genau das der Grund, warum die Scheibe scheinbar zum erfolgreichsten Album der Band avancierte.
"Scorched Earth" kommt in seinen Hooklines den Vorgängern ein wenig näher, hier begleiten schräge Saxofon-Riffs und Orgel-Linien Peters schwankende Gefühlsausbrüche, dennoch geht es insgesamt ein wenig strukturierter zu. Trotzdem herrscht hier klassisches VDGG-Feeling vor, die Phrasen sind typisch und authentisch, die Stimmung düster und bedrohlich – kein Wunder, thematisch geht es um das Abdriften in den Irrsinn. Die Dominanz der Orgel im letzten Teil lässt einige Vergleiche zu Herrn Banks von Genesis erkennen. So gesehen dürfte "Arrows" vielleicht die größte Prominenz in Sachen VDGG abliefern, auch wenn mich die zwischenzeitliche Meditation fast ein wenig bei Curved Air landen lässt. Aber Peter Hammill macht halt den Unterschied und zieht uns tief hinein in die Ängste, die Mensch empfinden kann, wenn er sich in einem Krieg befindet. Meine Eltern könnten hier mitreden, sie hatten jedoch andere Ausdrucksformen dazu.
Auch die Lines von "The Sleepwalkers" erinnern wieder ein wenig an die Harmonien Canterburys. David Jackson avanciert zum Hauptdarsteller und darf sein Sax in Szene setzen. Der Song lebt aber auch von den repetitiv pulsierenden Keyboards, die hier einen fast hypnotischen Eindruck vermitteln. Die Geschichte über eine fiktive Liebe bildet den Abschluss des Original-Albums. Der Bonus umfasst Live-Aufnahmen von vier Peter Hammill-Solo-Nummern in bescheidenem Sound.
Wenden wir uns "Still Life" zu.
Zwei Songs stammen eigentlich aus dem Fundus der Kompositionen für "Godbluff", nämlich "Pilgrims" und "La Rossa", die hier nun Verwendung finden. Doch die Tendenz hin zu irgendwie gemäßigten Sounds sind auf "Still Life" noch mehr zu erkennen als auf dem Vorgänger. Der düstere Duktus verschwindet hier noch mehr und die Orgel begradigt die kantigen Sax-Riffs der Vergangenheit, wir kommen eher zu einer gewöhnlichen Nutzung dieses Blasinstruments.
Nur Peter Hammill lässt sich nicht verdrehen, er agiert wild und leidenschaftlich – doch die Kompositionen halten ihn im Zaum. Der Titelsong zeigt das aus meiner Sicht sehr deutlich. Sehr vokallastig, aber doch irgendwie zahm.
"La Rossa" wird in den gängigen Medien als Zentrum des Albums gesehen, außergewöhnliche musikalische Attraktionen werden hier jedoch nicht entwickelt.
Dass im abschließenden Song ein Bezug zu Arthur C. Clarke hergestellt wird, der zu Kubricks "2001" die entscheidende Kurzgeschichte schrieb, hebt die Bedeutung der Nummer, die sich diesem Thema anschließt.
Tatsächlich muss man konstatieren, dass zu diesem Zeitpunkt die prägnanten VDGG-Attribute auf ein Minimum zurückgeschrumpft wurden. Das Saxophon klingt gängig und fast melodisch, die Musik driftet elegant, aber vorhersehbar dahin und Peter findet immer weniger Momente, sich zu exponieren. Dies sind nicht mehr die Tage der Polarisierung wie zu Beginn der Siebziger. War man darauf aus, den Normalo einzufangen? Ich weiß es nicht, die Musik nahm jedoch einen klaren Schritt hin zu vertrauten Klängen und Eingängigkeit. "My Room" zeigt das ganz besonders. Peter Hammill ist zugänglich geworden, die Sounds tun nicht mehr weh, klingen ein wenig gewöhnlicher und damit vielleicht leider auch ein wenig belangloser.
Peters Stimme gegen sanftes Georgel ist gut, gegen stramme Sax-Riffs noch stärker. "Childlike Faith In Childhood’s End" gibt diesbezüglich wirklich noch einmal alles, vielleicht ist es der bereits zitierte Bezug zum großen Werk von Kubrik, der hier motiviert. Die Harmonien entwickeln sich aber sehr viel runder und geglätteter als zu Beginn der Siebziger, so sehr Peters Stimme sich auch bemühen mag.
Immerhin gibt es zum Ende hin ein wildes, jazziges Break, wo vorübergehend ein paar Erinnerungen an vergangene Tage aufkeimen.
Die frühen Werke und das Material aus den mittleren Siebzigern lässt sich nur sehr begrenzt vergleichen. VDGG waren einst extrem scharfkantig, sperrig und unbequem. Jahre später kamen sie eindeutig zahmer rüber. Es liegt im Auge des Betrachters, wo er sich wohler fühlt.
Eines blieb in dieser Zeit immer: Die stabile Rolle des Saxofons auch als harmonisches Begleitinstrument, Peters einzigartige, manchmal hysterische Stimme, völlig schräge Hooklines, all das haben sich VDGG immer bewahrt, egal wie wild ihre Ausritte auch gewesen sein mögen. Die Live-Nummern im Bonus-Programm grooven hier eindeutig geil! Sie sind in Paris aufgenommen worden.
Mitte der Siebziger waren Van der Graaf Generator nicht mehr die Innovatoren, die sie zu Beginn des Jahrzehnts eindeutig darstellten. Wo sie neben Genesis und Yes einen besonders ausgeflippten Ansatz boten, der Raum für jazzige Attitüden bot und hier und da mit dem Canterbury-Sound korrespondierte. Immer aber lebte die Band von Peter Hammill und die Verwendung des Saxofons war nirgendwo so prägend wie hier.
Musik für die Masse haben sie nie produziert, das war mir immer klar und wurde mir erst jetzt auch durch Kommentare entgegen gehalten.
Ich betrachte das aber eher als Ritterschlag für die Band, wenn viele Fans mit dieser Musik nichts anzufangen wissen. Alles eine Frage der Betrachtung.
Diskussionen zu solchen Geschmacksfragen sind eh hinfällig, je schräger die Musik, desto exponierter die Reaktionen.
Das war schon immer mein Ding. Ich freue mich sehr, dass ich hier in den letzten Tagen ein wenig von dieser faszinierenden Musik der VDGG vorstellen durfte. Musik, die spannend ist, die oft verstört und manchmal sogar weh tut. Man muss sie sich erarbeiten. Wer das nicht mag, hat mein volles Verständnis. So lange man mir meine Sicht der Dinge zugesteht.
Die hier vorliegenden Tondokumente würde ich allerdings nicht in die Kategorie der Polarisation einordnen, sie wirken für mich im Nachhinein betrachtet eher wie Genesis ohne Peter Gabriel und Steve Hackett – und die haben wirtschaftlich vermutlich auch den größten Erfolg der Band kreiert. Was mich als alten Fan der Urzeit verzweifeln lässt.
Am Ende ist es immer nur Musik – und da kann man es so oder so sehen.
»It’s only Rock’n’Roll, but I like it!«
(Peter Gabriel oder Stones. Jeder, wie er mag)
Line-up Van der Graaf Generator:
Peter Hammill (vocals, guitar, piano)
Hugh Banton (organ, piano, mellotron, Synthesizer, bass)
David Jackson (saxophone, flute, backing vocals)
Guy Evans (drums, percussion, piano)
Tracklist "Godbluff":
- The Undercover Man
- Scorched Earth
- Arrow
- The Sleepwalkers
- Scorched Earth (Live BBC One – Bonus Track – CD1)
- The Sleepwalkers (Live BBC One – Bonus Track – CD1)
- A Louse Is Not A Home (Live At L’Altro Mondo – Bonus Track – CD2)
- (In The) Black Room/The Tower (Live At L’Altro Mondo – Bonus Track – CD2)
- Forsaken Gardens (Live At L’Altro Mondo – Bonus Track – CD2)
Gesamtspielzeit: 56:21 (CD 1), 60:25 (CD 2),
110:00 (DVD),
Erscheinungsjahr: 2021 (1975)
Tracklist "Still Life":
- Pilgrims
- Still Life
- La Rossa
- My Room (Waiting For Wonderland)
- Childlike Faith In Childhood’s End
- Gog (Live At The Gwynedd – Bonus Track – nur CD1)
- Still Life (Live BBC One – Bonus Track – nur CD1)
- La Rossa (Live BBC One – Bonus Track – nur CD1)
- Still Life (Live In Paris 1976 – Bonus Track – nur CD2)
- Childlike Faith In Childhood’s End (Live In Paris 1976 – Bonus Track – nur CD2)
Gesamtspielzeit: 73:20 (CD 1), 69:10 (CD 2),
143:00 (DVD),
Erscheinungsjahr: 2021 (1976)
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