Various Artists / Underground ’70 – LP-Review

Was spielte sich im musikalischen Untergrund der Siebzigerjahre ab?
"Underground ’70" erschien 1970 auf CBS Records.
Künstler oder Bands, die zum Zeitpunkt der Album-Veröffentlichung im Underground verortet waren, sollten es später mit mehr Bekanntheit zu tun haben.

Andere Musiker oder Formationen blieben im Underground stecken und/oder verschwanden mehr oder weniger schnell von der Bildfläche.
Nach ihrer Gründung 1967 kürzte die Chicago Transit Authority ihren Bandnamen in Chicago und diese Combo ist berühmt geworden.
1964 ins Leben gerufen, war The Flock nur kurze Zeit aktiv. Mit dem Geiger Jerry Goodman kam es zu mäßigen Erfolgen und nur zu mäßigem Ruhm. Vielleicht waren sie dem damaligen musikalischen Zeitgeist mit ihrer doch speziellen Mischung aus Jazz und Rock voraus?
Pacific Gas & Electric (1967-1973) plöppte mit ihrem größten Hit "Are You Ready?" – der für die vorliegende Platte leider zu spät auf den Markt kam – in die Öffentlichkeit. PG&E konnte sich da aber auch nicht festsetzen.

Al Koopers Visitenkarte ist ein dickes Faltblatt. Er gründete Blood, Sweat & Tears. Super Session mit Stephen Stills sowie Mike Bloomfield war damals in aller Munde. Am Beginn der Lynyrd Skynyrd-Karriere produzierte er ihre Alben und als Gastmusiker muss man nur Alice Cooper, The Rolling Stones oder B.B. King nennen. Zum Album "You Never Know Who Your Friends Are", dessen Titelsong hier vertreten ist, kann man hier etwas nachlesen.
Appaloosa stand mit Al Kooper in Verbindung, brachte es aber auch nicht weit.
Spirit hat natürlich auch einen großen Namen.
Im Zusammenhang mit Illinois Speed Press sind die Gründungsväter Kal David und Paul Cotton, später Poco, zu nennen.
Die Chambers Brothers war eine kurzlebige Band, tauchte dann aber wieder auf und ist bis in unsere Zeit aktiv.
Ebenfalls mit einer Unterbrechung gibt es NRBQ (New Rhythm And Blues Quartet) noch heute.
Combos wie Jacobs Creek oder Aorta waren, bei allem Respekt, nur so etwas wie Eintagsfliegen.
Beim "Underground ’70"-Vinyl war die Farbe Lila angesagt.

Der Tonarm senkt sich … knister, knister und schon sind wir mittendrin im Geschehen.
Wie passend fängt die Scheibe mit "Introduction" an. Fetziger und gleichzeitig abwechslungsreicher Jazz Rock von Chicago Transit Authority ist angesagt. Nicht nur die Rhythmus-Abteilung, nein, auch die Hammer-Horn-Section gibt mächtig Gas. Die Bläser-Soli füllen das dynamische Stück hervorragend. Diesen Song singt Terry Kath und nicht Peter Cetera.

Mit Jazz Rock geht es dann gleich weiter, allerdings in einer ziemlich anderen Form, denn The Flocks Sound bestimmt unter anderem auch der Geigen-Klang und schon sind wir beim ersten Coversong der Platte, denn "Tired Of Waiting" stammt von Ray Davies (The Kinks). The Flock macht aus dem damals rockigen Pop-orientierten Track eine heiße Fusion-Nummer mit klasse Bläser-Sätzen. Highlight!
Bei Al Koppers "You Never Know Who Your Friends Are", ebenfalls mit Horn-Section meint man, einen Song in The Beatles-Manier zu hören. Der Track macht heute noch Laune.
Hoppla, jetzt kommt eingängiger Soul auf den Hörer zu. Underground? Nicht unbedingt, denn "Wake Up" von den Chambers Brothers ist als durchaus kommerziell anzusehen. Infizierend!
Vom Soul kommen wir zur Band Appaloosa und ihrer "Rosalie". Gegenüber den ersten Song ist jetzt echt Abwechslung gefordert, denn die Formation präsentiert uns Rock Pop mit einem Hauch von Country.
Das musikalische Blatt wendet sich, wenn sich NRBQ bei der allseits bekannten Eddie Cochran-Komposition "C’mon Everybody" bedient. Schon zu Beginn macht die amerikanische Band klar, dass sie sich mit dem Rock’n’Roll aus der Garage verbündet hat.

Über einen psychedelisch-experimentalen Beginn von "House In The Country" lernen wir einen ganz anderen Al Kooper kennen, denn er hat das Lied geschrieben und auch in der Don Ellis-Version wird klar, dass hier die Blood, Sweat & Tears-Handschrift deutlich zu erkennen ist.
Pacific Gas & Electric waren immer schon in einer gewissen Favoriten-Rolle, nicht nur wegen "Are You Ready?". "Bluesbuster" ist so heftig funkig, dass damals James Brown sogar einen Blick auf die Band gewagt hätte. Viele Bands hatten Bläser in ihren Reihen.
Spirit servierten auf diesem Sampler "New Dope In The Town" und hier brilliert der wunderschön-balladeske Piano-Teil. Klasse!

Jacobs Creeks "Behind The Door" rockt heftig, pustet aber nicht gerade alle Krümel vom Tisch. Psychedelische Phase hin oder her, dieses Lied ist nicht gerade ein Peak der Platte.
Da kommt Moby Grape schon viel besser weg. Klasse Gesang, eingebettet in einer Melange aus Country, Blues und Psychedelic. "Looper" ist ein Hinhörer.
Illinois Speed Press setzen zum Sampler-Endspurt an. Toller Blues Rock wird zelebriert. Die von Kal David geschriebene Nummer ist wie kein anderer Song, glasklar im Zwölftakter verankert.
Keine Sorge, bei "Heart Attack" von Aorta bekommt man keinen Herzinfarkt, denn bis auf das furiose Keyboard-Solo haut es einen nicht vom Hocker.

"Underground ’70", das waren noch Zeiten und schwer ist die LP immer noch.
"Underground ’70", dreizehn Songs, die zeigen, wie der musikalische Underground manchmal doch nicht so Underground war.
Aus Sicht eines Zeitzeugen war "Underground ’70" bis auf einige Ausnahmen eine Entdeckung.
Bleibt gesund und nehmt euch zur Ablenkung Zeit für gute Musik.

Tracklist "Underground ’70":

Gesamtspielzeit: 23:49 (Side I), 24:19 (Side II), Erscheinungsjahr: 1970