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Vast Conduit / Always Be There – CD-Review

Vast Conduit / Always Be There

Vast Conduit ist ein Projekt des Enchant-Keyboarders Bill Jenkins. Der Bandname soll wohl auf die erhebliche räumliche Distanz zwischen den Musikern in Zeiten der Pandemie hinweisen, so dass die Musik zu "Always Be There" an vielen verschiedenen Orten entstand und dann zusammengeflossen ist. Bill nennt seine Musik Smooth Prog, was eigentlich auf einen Spaß des Gitarristen Michael Harris zurückgehen soll, der eindeutig auf dem Album für die härtesten Akzente sorgt. Tatsächlich sollte man den Begriff Smooth hier eher so interpretieren, dass die Musik keinesfalls zurückgenommen oder gar verträumt aufwartet, es geht mehr darum, dass die Elemente des klassischen Prog sowie des Jazz in eine Form des Rock integriert werden, die durchaus massenverträglich ist – mir ehrlich gesagt hier und da ein wenig zu viel, aber dazu komme ich noch. Eine gewisse populäre Orientierung ist jedenfalls unverkennbar.

"Always Be There" ist kein Konzeptalbum, den Songs liegt jedoch eine grundsätzliche Philosophie zugrunde. Es geht um die Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung für das spätere Leben und wie diese Beziehung durch plötzliche Ereignisse wie Scheidung oder Tod beeinflusst werden kann. Klingt fast ein wenig nach Sigmund Freud, oder? Bill scheint dieses Thema stark zu bewegen, denn zur Veröffentlichung des Albums jährte sich der Todestag seines Vaters bereits zum vierzigsten mal. So ist dies binnen weniger Wochen bereits das dritte Album zur Besprechung auf meinem Schreibtisch, wo Künstler den Verlust der Eltern thematisieren – etwas, was mich selbst sehr beschäftigt, auch wenn ich das Glück hatte, meine Eltern sehr lange an meiner Seite zu haben.

Stilistisch bewegen wir uns auf dem Album schwerpunktmäßig im Prog Rock. Satte Keyboards und kräftige Gitarren begleiten uns durch den Plot, mehrmals übernimmt auch die Geige einen Hauptpart in den Harmonien, was mir sehr gefällt und für einen eigenständigen Akzent sorgt. Erfreulich auch, dass der Fretless-Bass von Jeff Plant mehrere schöne Solo-Parts bekommt. Dies sind die jazzigen Momente auf dem Album. Gleich im Opener "Barrier" vernimmt man leichte Verwandtschaft mit den alten Heroen von Yes, diese Tendenz wird aber nicht beibehalten. Sehr elegant klingt die einnehmende Stimme des Sängers Friel über den virtuosen instrumentalen Schichten, in diesem Kontext passt der Begriff smooth. Das Tempo wird zu Beginn hochgehalten, denn "Soul Tuck" kommt mit ziemlich fetziger Gitarren-Orientierung daher, es gibt kraftvolle Riffs und satte Keyboards, die mich gelegentlich an Don Airey erinnern. Aber Bill spielt auch ein sehr schönes und gefühlvolles Piano, erstmals sehr ausdrucksstark im Intro zum Titelsong "Always Be There", der dann allerdings sehr gefällig mit Tendenzen in Richtung AOR abdriftet.
"Endless Days" beginnt wunderschön besinnlich, wieder eröffnet mit sanften Piano-Klängen. Die Harmonie dieses melodischen Songs liegt in der Nähe der britischen Progger von Jadis, was vor allem auch durch das hymnisch aufbegehrende Gitarrensolo verstärkt wird. Michael Harris weiß nicht nur in der härteren Saiten-Behandlung zu überzeugen, er spielt auch sehr melodiöse Linien.

Und dann heißt uns "Too Busy" willkommen mit fetter Fusion. Geile Gitarren-Riffs und -Phrasierungen platzieren sich satt über filmreife Keyboard-Schichten, die ein bisschen Jan Hammer-Feeling aufkommen lassen. Coole Bass-Läufe entwickeln einen geilen Groove und dann darf irgendwie jeder mal drauf los improvisieren, mein Spaßfaktor steigt erheblich bei diesem lässigen Flow. Selbigen hat auch "Odessa", ist aber eine sehr poppige Rocknummer und hat ganz und gar nichts mit der Situation in der Ukraine zu tun, falls man das anhand der gleichnamigen Hafenstadt am schwarzen Meer vermuten mag. Es geht vielmehr um die romantische Betrachtung einer unglücklichen Liebe. Die Nummer ist mit schönen Breaks und einigen sanften Passagen ausgestattet, nur der Gesang erscheint mir hier ein wenig ausdrucksschwach und mainstreamig, was von den reflektierten leisen Piano-Passagen aber gut gekontert wird. Und so bleibt es auch "500 Miles" sehr gängig. Die Melodien und Hooklines sind gefällig, mir aber schon zu sehr im Pop verankert, was später auch in "Early Eclipse" zu konstatieren ist.

Spannend wird es noch einmal in "Philly Ethymology". Das eindrückliche Intro mit Trompete und Piano beschwört abermals eine coole Fusions-Nummer herauf. Die Stimmung variiert nur geringfügig, aber die Variationen des Hauptthemas vermitteln Spaß und Energie. Richtig kantig wird die Musik aber auch hier nicht, die Breaks bleiben recht brav und im Thema. Schade, dass erst im vorletzten Stück die Geige wieder zum Einsatz kommt, im Mittelteil wartet man auf sie vergeblich. "Of A Feather" präsentiert breit gefächerte Harmonien, wo eben die Violine mit den Tasten zu einem schönen Teppich verschmilzt. Solieren dürfen in dieser Instrumentalnummer wieder alle Akteure, nur Will Jenkins an den Drums beschränkt sich auf seine vordringliche Aufgabe. Und mit dem abschließenden "Wesley Save Us" kehren wir am Ende noch einmal zu aggressiverem Prog Rock zurück. Der Schlag dreht auf, die Gitarre treibt den Refrain mit zirkulierenden Akkorden voran und liefert letztlich noch ein virtuoses Solo, souverän, abwechsklungsreich und spannend. So würde es selbst im Prog Metal passen.

Vast Conuit haben ein stimmiges Album eingespielt, die Musik ist virtuos in jeder Beziehung. Vielleicht steckt ihr Wiedererkennungswert gerade in der recht ungewöhnlichen Kombination aus klassischem Progressive Rock, Jazz Rock-Anleihen und eher Pop-orientiertem Rock. Genau da wird sich die Gemeinde der Hörer entscheiden müssen, ob man diese wohlklingende und massenverständliche Sprache der Musik gern hat oder lieber nach sperrigeren Kompositionen mit mehr Ecken und Kanten sucht. Unbestritten sind die Songs sehr gut geschrieben, werden niemals langweilig und bieten jede Menge instrumentaler Highlights. Es wird durchaus interessant sein zu beobachten, in welche Richtung sich dieses Projekt bewegen wird, das Potential dafür ist fraglos vorhanden.


Line-up Vast Conduit:

Bill Jenkins (keyboards)
Michael Harris (guitar)
Will Jenkins (drums)
Jeff Plant (bass)
Jim Hurley (violin)
Friel (vocals)
Guests
Bert Lams (guitar)
Tom Abraira (trumpet #8)
Manon Roem (vocals)
Betsy Walters (vocals)

Tracklist "Always Be There":

  1. Barrier
  2. Soul Tuck
  3. Always Be There
  4. Endless Days
  5. Too Busy
  6. Odessa
  7. 500 Miles
  8. Philly Ethymology
  9. Early Eclipse
  10. Of A Feather
  11. Wesley Save Us

Gesamtspielzeit: 62:42, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

Über mich

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