Ein zweites Leben mit hoher Schlagzahl, fulminanter Musik und ungewisser Zukunft
Es ist Spätherbst. An einem Freitagabend gastierte die Miller Anderson Band in der niedersächsischen Grünkohlhochburg Oldenburg und wusste beim vermutlichen Livekonzert-Abschied der unbekanntesten aller Woodstocklegenden auf ganzer Linie abzuräumen.
Einen Abend später wird im niedersächsischen Künstlerdorf Worpswede Walter Trout mit seiner Band vorstellig. Hier kann zwar nicht mit dem Legendenpfund gewuchert werden, aber die Biografie des Protagonisten ist auch nicht ohne. In seinen jungen, wilden Jahren war er beispielsweise Sideman von Bluesgrößen wie John Lee Hooker, Anfang der 1980er Jahre zog es ihn zu den Boogie-Königen von Canned Heat, bevor er schließlich im Talente-Stall von John Mayall & The Bluesbreakers landete.
Seit 35 Jahren ist er nun auf eigene Rechnung unterwegs, von seinen ersten beiden Soloveröffentlichungen konnten immerhin mehr als 100.000 Einheiten abgesetzt werden, was ihn und seine damalige Band allerdings nicht davor bewahrte, Anfang der 1990er Jahre in besagtem Oldenburg vor bescheidenen 50 Leuten zu reüssieren, den Rezensenten mit eingeschlossen. Der Rock’n’Roll-way-of life forderte dann vor gut zehn Jahren dramatisch seinen Tribut und eine Spenderleber mit flankierenden finanziellen Zuwendungen sicherten ihm gerade noch rechtzeitig das Überleben, welches er nicht müde wird, demütig als Geschenk anzunehmen.
Mittlerweile – wie Walter Trout mehrmals betont – ist er beim 31ten Album angelangt und seine kreative Schaffenskraft erreicht im ’neuen' Leben eine ungeahnte Schlagzahl, was ihm in der prächtig gefüllten altehrwürdigen Music-Hall einen deutlich erfreulicheren Publikumszuspruch beschert als zu Zeiten seines Solostarts.
Auf dem Programm steht das diesjährige Album Broken, aber irgendwie auch wieder der Hauch des Abschieds. Sein großer Mentor John Mayall ist diesen Sommer verstorben und wird mit einem ergreifenden "Say Goodbye To The Blues" geehrt, bei dem nicht zum einzigen Male an diesem Abend bisher nicht gekannte Zwischentöne und Facetten gespielt werden, die in ihrer Laut-Leise-Variabilität im Trout-Kosmos aufhorchen lassen.
Der Protagonist ist gesundheitlich sichtbar angeschlagen, weitere Spekulationen verbieten sich, aber angesichts dessen ist das Saitenspiel einfach unglaublich gut und pointiert, eher differenzierter als in fitteren Jahren. Ja, auch die schon immer vorhandene Emotionalität in seinem Spiel schillert noch eine Ecke intensiver, der Gesang sitzt ebenfalls kraftvoll wie eine Eins, auch wenn es zu Beginn Texthänger gibt. Im weiteren Verlauf kann nur konstatiert werden, dass Walter Trout nichts von seiner Energie, Spiel- und Lebensfreude eingebüßt hat. Zusätzlich hat er veritable Entertainer Qualitäten entwickelt und führt sein Publikum launig quer durch seine ganze Karriere, verweist nicht ohne Stolz darauf, in Kürze in der Kölner Lanxess-Arena für Beth Hart auf großer Bühne eröffnen zu dürfen und spart auch nicht mit Kritik an seinen Landsleuten, die mit der Trumpadministration sich und die ganze Welt vor ein ganz großes Fragezeichen stellen.
Darüber hinaus ist neben seinen mitreißenden Saitenexkursionen, die ohne Abnutzungserscheinungen das Bluesschema deutlich Richtung Rock zu erweitern wissen, auffällig, dass den Bandmitgliedern mehr Raum als in der Vergangenheit gewährt wird.
Mit Schlagwerker Michael Leasure, der bereits seit über 15 Jahren an Bord ist und Edgar Winter in seiner Vita stehen hat,
Roland Bakker an den Tasten, der in der Vergangenheit die Julian Sas Band bereicherte, Brett Smith-Daniels an der zweiten Gitarre und am Mikro, der wiederum Koryphäen wie Randy Bachman, Micky Moody oder Mick Taylor auf seine Vistenkarte schreiben darf und schließlich Tieftöner/Vokalist John Avila, wie Smith-Daniels erst seit diesem Jahr an Bord und auf so unterschiedliche Stationen wie Randy Crawford, Steve Vai oder Neil Young zurückblickend, ist eine Begleitband auf der Bühne, mit der Walter Trout im (Spät?-)Herbst seiner Karriere tatsächlich noch neue Horizonte beschreiten kann. Da bestechen punktuell herrliche Gesangsharmonien und zweistimmiger Gitarrensound (leider viel zu selten), alle vier Mitstreiter bekommen ausgiebige Solospots, die ausgesprochen virtuos in Szene gesetzt werden und der Gesamtvortrag erhält gerade dadurch eine atemberaubende Dynamik, weil zwischen hart und zart alle Facetten ausgelotet werden.
Dem Chef im Ring tun die diversen Ruhephasen gut, kann er sich doch umso vehementer in den Boogierock werfen oder beim nimmermüden Klassiker "Going Down" zusammen mit den Kollegen austoben.
Die Stimmung in der vollen Bude ist am Kochen, gute 110 Minuten haben überraschend deutlich gezeigt, dass das Genre Blues-Rock doch noch nicht auserzählt ist. Ob allerdings Walter Trout in der Schlagzahl wie zuletzt diese Erzählung weiterschreiben kann, steht angesichts seiner unübersehbaren körperlichen Probleme in den sprichwörtlichen Sternen und beschert trotz des euphorisierenden Konzerts einen ausgewachsenen November-Blues.
Bildnachweis für alle Bilder des Events: [von oben nach unten und links nach rechts] © 2024 Henry Klompmaker (1,3,7,9,11,18,24) | Olaf 'Olli' Oetken (2,4-8,10,12-17,19-23) | RockTimes
1 Kommentar
Fritz E.
24. November 2024 um 11:33 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Und wieder ein lesenswertes Konzerterlebnis. Sehr schön und mit Seele und Herz verfasst. Drücken wir die Daumen für Walter.
Gruss
Fritz