Die Jahre um 1980 waren nicht unbedingt die besten für Aerosmith. Der Gitarrist und Co-Bandchef Joe Perry war bereits inmitten der Aufnahmesessions für "Night In The Ruts" (1979) bzw. einer eingeschobenen Tour vor dessen Fertigstellung ausgestiegen und die Band zeigte offensichtliche Auflösungserscheinungen. Nicht wirklich überraschend sah sich in dieser Zeit auch der zweite Gitarrist Brad Whitford nach neuen Herausforderungen um. Er stieg ebenfalls aus und gründete mit dem Ex-Ted Nugent-Sänger Derek St. Holmes das Projekt Whitford/St. Holmes. Es folgte ein gleichnamiges Album (dazu später mehr) und auch eine Tour, wonach wegen nicht ausreichender Verkaufszahlen aber schon bald wieder Schluss war.
Sowohl Perry als auch Whitford kehrten 1984 zu Aerosmith zurück und läuteten den zweiten Teil der Erfolgsgeschichte dieser Band ein, während St. Holmes sporadisch wieder mit Nugent und vielen weiteren Projekten arbeitete. 2015 kam es zu einer Neuauflage von Whitford/St. Holmes in Form einer weiteren Tour, auf der unter anderem das brandneue Studioalbum "Reunion" bereits angeboten wurde, das vor einigen Wochen nun auch offiziell veröffentlicht wurde.
Darauf zu finden sind neun brandneue und erstaunlich frisch klingende Hard Rock-Nummern, die mit jeder Menge Biss schon beim ersten Durchlauf deutlich machen, dass die beiden Veteranen nach wie vor voll im Saft stehen und nichts verlernt haben. Da gibts kein Zögern und kein Zaudern, vielmehr wird rasant aufs Gaspedal gedrückt und gerockt, dass es nur so kracht. Dafür sind nicht nur "Shapes", "Hell Is On Fire" oder "Shake It" beste Beispiele, die komplette Platte zieht ohne Ausfall ihre Runden. Zwar haben sich Keyboards in die Aufnahmen von "Reunion" geschlichen, aber auch die fallen weder negativ, noch als zu weit in den Vordergrund gemischt auf. Klasse ist auch der coole Groover "Gotta Keep On Movin'". Auf der etwas softeren Seite – aber mit ebenso viel Qualität gesegnet – befinden sich "Catch My Fall", "Tender Is The Night" und "Flood Of Lies". Insgesamt gesehen ein erfreulich starkes Comeback der beiden Recken.
Richtig cooler Service ist dazu, dass der neuen Scheibe als Bonus noch das 1981er Debütwerk beigefügt wurde, das in Deutschland zum ersten Mal überhaupt auf CD erhältlich ist. Und das macht mit anderer Rhythmusabteilung (und ohne Keyboard) einen genauso starken Eindruck wie sein Nachfolger. Auch hier rocken die versammelten zehn Tracks gewaltig nach vorne. So kompromisslos das kommt, lagen die beiden aber trotzdem auch im damals gerade angesagten US-Hard Rock-Trend, der ganz sicher auch den Freunden der NWoBHM hervorragend gemundet hätte. Klasse Riffs, sehr guter Gesang und jede Menge Power aus dem Maschinenraum. Erstaunlich, dass die Scheibe damals ungefähr so humorlos unterging wie eine Eisenkugel in einem seichten Tümpel. Stücke wie "Whiskey Woman", "Mystery Girl", "Spanish Boy" oder "Sharpshooter" sprechen eine glasklare Sprache und auch auf "Whitford/St. Holmes" sind angezogenere Handbremsen wie "Hold On" oder "Does It Really Matter" durchaus auf der Habenseite zu buchen.
Schließlich darf ich also bescheinigen, es hier nicht nur mit einem, sondern sogar zwei hochkarätigen Hard Rock-Alben zu tun zu haben, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Dazu gibt es – alleine schon aufgrund der zweiten CD – echtes 'value for money', was sich in gut 77 Minuten cooler Mucke widerspiegelt.
Line-up Whitford St. Holmes CD 1:
Brad Whitford (guitars, background vocals)
Derek St. Holmes (guitars, lead vocals)
Chopper Anderson (bass, background vocals)
Buck Johnson (keyboards, background vocals)
Troy Luccketta (drums)
Line-up Whitford St. Holmes CD 2:
Brad Whitford (guitars, background vocals)
Derek St. Holmes (guitars, lead vocals)
Dave Hewitt (bass)
Steve Pace (drums)
Tracklist "Reunion":
- Shapes
- Tender Is The Night
- Rock All Day
- Hot For You
- Hell Is On Fire
- Catch My Fall
- Shake It
- Gotta Keep On Movin'
- Flood Of Lies
Tracklist "Whitford St. Holmes":
- I Need Love
- Whiskey Woman
- Hold On
- Sharpshooter
- Every Morning
- Action
- Shy Away
- Does It Really Matter?
- Spanish Boy
- Mystery Girl
Gesamtspielzeit: 37:14 (CD 1), 40:14 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2016 [1981, CD 2]
5 Kommentare
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Markus
17. September 2016 um 15:22 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Olli,
klasse, mal wieder von dir zu hören und danke für den Hinweis! Wahrscheinlich gab’s die Scheibe als Bootleg-CD in Panama und Honduras auch schon mal, deshalb werde ich im Review noch die offensichtlich untergegangenen Worte 'in Deutschland' ergänzen.
Beste Grüße und lass' wieder von dir hören,
Markus
ttbhead-olli
20. September 2016 um 22:50 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hey Markus,
prima, nun ist alles "journalistisch" wasserdicht (*gg*).
Übrigens, Du solltest die neue Foghat besprechen, die Ulli in den News bereits angekündigt hat (falls ihr beliefert werden solltet) – wird dir garantiert (sehr!) gefallen!
Rock on
Olli
Markus Kerren
24. September 2016 um 13:46 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Stimmt, hatte ich gesehen, dass es da was Neues gibt. Trotzdem danke für den Tipp, ich werd’s mal ans Hauptquartier weitergeben.
Foghat… dachte, die wären alle schon tot :-)) Aber im Ernst, wer ist denn überhaupt noch dabei? 'Lonesome' Dave ist ja leider nicht mehr unter uns…
Markus
ttbhead-olli
17. September 2016 um 15:10 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Nachtrag/Ergänzung:
Besagte CD-Premiere war laut dem großen Fluss bereits 1995!
ttbhead-olli
17. September 2016 um 14:58 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hey Markus,
"(…) dass der neuen Scheibe als Bonus noch das 1981er Debütwerk beigefügt wurde, das zum ersten Mal überhaupt auf CD erhältlich ist" – stimmt nicht ganz, denn die CD-Premiere war eine US-Ausgabe auf Columbia mit der Katalognummer CK66986 … vermutlich von 2001 und selbstredend längst out of print und somit teuer!
Rock on und liebe Grüße vom Ex-RockTimer
Olli