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Wired All Night – Zum 80. Geburtstag von Mick Jagger

Wie oft wurden die Rolling Stones schon abgeschrieben, wie oft hat Keith Richards – wenn man Gerüchten und eher schlecht informierten Zeitungsartikeln Glauben schenkte – bereits am Tor zur Hölle angeklopft, wie viele Begleitmusiker hat die Band bereits verschlissen und wieviele von diesen sind bei dem Versuch, mit dem Lebensstil der Band Schritt zu halten, vor die Hunde gegangen? Und: Wieviele tatsächliche Band-Mitglieder sind heute nicht mehr unter uns?

All diese Fragen lassen wir hier mal ganz beiseite, da wir heute einzig und allein den 80. Geburtstag des wohl besten Frontmanns im Rock-Business feiern möchten. Michael Philip Jagger wurde am 26. Juli 1943 im englischen Dartford geboren und lebte eine eher unaufgeregte und glückliche Kindheit. Tatsächlich unaufgeregt, obwohl einer seiner Sandkasten-Freunde den Namen Keith Richards trug. Aber die beiden verloren sich damals recht schnell auch wieder aus den Augen. Und mit dem aufregenden Leben ging es dann so richtig los, als sich Anfang 1963 das erste feste Line-up der von Brian Jones und Ian Stewart gegründeten Band The Rolling Stones mit den gerade genannten Jones und Stewart, dazu Mick Jagger, Bill Wyman, Charlie Watts und eben … Keith Richards gefunden hatte. Tja, so sieht man sich wieder.

Die Geschichte der Stones dürfte bekannt sein und wurde bereits in vielen Büchern beschrieben. Für den guten Mick gab es in den Sixties neben den vielen Erfolgen aber auch drei ganz derbe Schläge unter die Gürtellinie zu verkraften. Zum einen 1967 die Verhaftung und der ernsthaft drohende Knast nach einer Drogen-Razzia während einer Party in Keith Richards Haus, dann zwei Jahre später der Schock, als ihn seine langjährige Geliebte Marianne Faithfull verließ und schließlich war da im Dezember 1969 noch Altamont. Schaut man sich den Film (Gimme Shelter) heute an, dann sieht man ganz deutlich, wie Jaggers Allerwertester auf der Bühne schlichtweg auf Grundeis ging, während die Hell’s Angels das gesamte Festival zugegebenermaßen tatsächlich zur Hölle auf Erden machten. Der Streifen hinterlässt einen bleibenden Eindruck und ist wahrscheinlich der beste und ehrlichste Film, der je über die Band gedreht wurde.

In den Siebzigern war dann alles anders. Brian Jones war tot, Keith Richards befand sich – zwar nicht musikalisch, dafür aber körperlich – drogenbedingt in einer beängstigenden Abwärts-Spirale, während der gute Mick plötzlich in Jet Set-Kreisen verkehrte und dies – zum Leidwesen von Richards – auch noch in vollen Zügen genoss. Dass die beiden Bandköpfe in diesen Jahren ernsthaft auseinander drifteten, dürfte keine große Überraschung sein. Nach so einigen Auseinandersetzungen der beiden, die schließlich 1986 im – O-Ton (Sound-Ingenieur) Chris Kimsey»Dritten Weltkrieg!« gipfelten (weil Mick es vorzog, ein weiteres Soloalbum zu machen, statt mit den Stones auf Tour zu gehen) rauften sich die beiden jedoch immer wieder zusammen und halten die Band bis heute am Leben. Dazu sind sie die einzigen noch lebenden aktiven Original-Mitglieder.

War und ist Mick Jagger der Boss der Rolling Stones? Ganz am Anfang, vor einigen Jahrzehnten, dachte ich das. Dann folgten weitere Jahrzehnte, in denen ich der festen Überzeugung war, dass es Richards ist. Und heute bzw. bereits seit geraumer Zeit ist auch mir klar geworden, dass die Band sowohl ohne Jagger, als auch ohne Richards niemals so lang und erfolgreich hätte existieren können. Jagger hat sich über die Jahrzehnte zu einem extrem cleveren Geschäftsmann entwickelt, der in alle vertraglichen Belange der Band involviert ist. Darüber hinaus ist er ein guter Sänger sowie begnadeter Showman. Richards dagegen ist das Herz und die Seele der Band. Und nicht zuletzt haben die beiden (zumindest auf dem Papier) zusammen eine beieindrucke Anzahl von starken Songs und Klassikern geschrieben.

Neben seiner Arbeit mit den Rolling Stones war Mick sporadisch auch immer mal wieder als Schauspieler aktiv, wobei seine Rolle in dem Kult-Streifen "Performance" (gedreht 1968, in der Co-Hauptrolle agierte hier auch Anita Pallenberg) wohl die interessanteste war und den besten Film hergab. Auch massenhaft Gast-Beiträge auf Alben anderer Musiker hat er geliefert und nicht zuletzt vier Soloalben veröffentlicht, von denen "Wandering Spirit" aus dem Jahr 1992 mit Abstand das beste ist. In der Zeit, als die Wand zwischen Jagger und Richards am dicksten war, schrieb er für diesen den Song "Party Doll", der auf Micks Platte "Primitive Cool" vertreten ist, während Keith prompt mit dem deutlich auf Jagger gemünzten "You Don’t Move Me" (von der Scheibe Talk Is Cheap) konterte. In beiden Tracks finden die beiden Musiker nicht unbedingt die freundlichsten Worte füreinander, aber schließlich kam es ja doch wieder zur Versöhnung. Die Stones waren wieder zusammen und starteten 1989 mit dem neuen Longplayer "Steel Wheels" durch. Jetzt, im Juli 2023, häufen sich die Meldungen, dass die Band gerade wieder in einem Studio in Los Angeles ein neues Album aufnimmt, das ihrem verstorbenen Schlagzeuger Charlie Watts gewidmet sein soll. Und, man höre und staune, selbst der 1993 bei der Band ausgestiegene Bill Wyman soll daran beteiligt sein.

Mick Jagger genießt sein Leben in vollen Zügen, aber er hat so überhaupt keine Lust darauf, den Rest der Welt mit alten Geschichten zu amüsieren. Wenn ich mal orakeln darf, wird es niemals eine Autobiogrphie von ihm geben. Und in den bereits existierenden Büchern über ihn steht ebenfalls nichts drin, was der belesene Stones-Fan nicht sowieso schon seit Jahren wusste. Nein, diesen Sack Flöhe hält der Engländer lieber geschlossen, weil da viel zu viele Tierchen (und Plaisirchen) drin wären, um sie – erstmal der Öffentlichkeit preisgegeben – jemals wieder einfangen zu können. Ist ja auch sein gutes Recht.

Ride on, Mick, die gesamte RockTimes-Redaktion gratuliert dir ganz herzlich zu deinem 80. Geburtstag. Dein reichhaltiges sowie ergiebiges Lebenswerk ist vollbracht, aber falls du noch was drauf legst … umso besser!

 

»I hear you talking when I’m on the street
Your mouth don’t move but I can hear you speak
What’s the matter with the boy? He don’t come around no more
Is he checking out for sure?
Is he gonna close the door on me?«

»I’m zipping through the days at lightning speed
Plug in, flush out and fire the fuckin' feed
Heading for the overload, splattered on the dirty road
Kick me like you’ve kicked before
I can’t even feel the pain no more«

»But I only get my rocks off
While I’m dreaming
I only get my rocks off
While I’m sleeping«

(Text-Auszug aus dem Rolling Stones-Track "Rocks Off", 1972)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

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