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Wishbone Ash / Raw To The Bone – DCD-Review

Wishbone Ash - "Raw To The Bone" - CD-Review

Es ist so eine Sache mit "Raw To The Bone", ebenso wie mit dem Vorgänger Twin Barrels Burning. Von dem einst glorreichen Quartett Wishbone Ash waren in den frühen Achtzigern lediglich noch der Gitarrist Andy Powell sowie der Drummer Steve Upton übrig geblieben. Der Abgang des Bassisten und Hauptsängers Martin Turner zog konsequenterweise einen Umbruch nach sich, gerade auch was die musikalische Ausrichtung anging. So warf die Band bereits bei "Twin Barrels…" fast sämtliche ihrer eigenen Tugenden über Bord und zockte einen – bei manchen Songs ganz anständigen, bei anderen aber eher lauwarmen – deutlich zeitgemäßeren Hard Rock-Sound. Finanziell machte sich das ganz gut (Platz 22 in englischen Album-Charts), allerdings verloren die Briten damit auch nicht gerade wenige ihrer älteren Fans. Nach der World Tour stieg dann auch noch der gerade erst eingestellte und geschätzte Bassist Trevor Bolder aus (bzw. zurück zu Uriah Heep), wodurch es wieder eine Lücke zu füllen galt.

Neu ins Boot kam der Ire Mervyn 'Spam' Spence, der nicht nur die vier dicken Saiten übernahm, sondern auch zum hauptamtlichen Sänger wurde. Mit ihm erschien 1985 das Album "Raw To The Bone", das die Richtung seines Vorgänger-Werkes fortführen und ausbauen sollte. Auch hier dominiert tatsächlich Hard Rock (und nicht Heavy Metal, wie an einigen Stellen im weltweiten Netz zu lesen ist) das Bild. Und natürlich beherrschen die Engländer auch diesen Stil, lediglich verloren sie dabei ihre so ganz eigene Charakteristik vollkommen aus den Augen. Die Songs sind alle relativ kurz, Twin Leads muss man mit der Lupe suchen und – der größte Schwachpunkt auf diesem Werk – das Songwriting ist, gelinde gesagt, mittelmäßig. Spence singt bei einigen Songs ziemlich hoch, was zugegebenermaßen Geschmackssache ist. Lang- und auch mittelfristig gesehen fehlen hier aber einfach die richtig starken Songs. Denn obwohl man die Platte eigentlich immer ganz gut laufen lassen kann, bleibt keiner der Titel wirklich hängen.

Interessant ist, dass es sich bei dem einzigen Cover um den Lowell George bzw. Little Feat-Song "Rocket In My Pocket" handelt. Diese Wishbone Ash-Interpretation ist allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig und… nicht wirklich auf demselben Level wie das Original. Auf die einzelnen Tracks der Scheibe einzugehen macht ansonsten nicht wirklich Sinn, da diese qualitativ zwar durchgehend auf einer (spielerisch) hohen Ebene bleiben, vom Songwriting aber nicht wirklich viel reißen können. Der erste Bonus Track ist das Outtake "She’s Still Alive", gefolgt von vier Tracks aus Sessions, die 1986 abgehalten wurden. Zu diesem Zeitpunkt war Mervyn Spence bereits schon wieder Geschichte, was die beiden verbliebenen Gründungsmitglieder  Andy Powell und Steve Upton aber wirklich hart traf: Der Gitarrist und Sänger Laurie Wisefield hatte nach über elf Jahren Zugehörigkeit ebenfalls seine Koffer gepackt und der Band den Rücken gekehrt. Wie Powell rückblickend einmal sagte: »Wir waren damals wirklich am Boden, am absoluten Tiefpunkt angekommen. Das einzige, was Steve und mich damals zum Weitermachen bewegte war, dass es, wenn du mal ganz unten bist, ja eigentlich nur noch aufwärts gehen kann.« Und 1987 kam es dann ja tatsächlich auch zur Reunion der Original-Band.

Auf der zweiten CD sind dann acht Live-Tracks aus dem Jahr 1985 zu finden, eingespielt von der Besetzung des Studioalbums "Raw To The Bone". Die ersten vier – bei denen es sich ausnahmslos um Tracks der Studioscheibe handelt – wurden im Juli für die Friday Rock Show eingespielt. Die Nummern fünf bis acht stammen von einem Konzert im Londoner Hammersmith Odeon am 9. Dezember. Hier kommen in Form von "Blowin' Free" sowie "The King Will Come" dann auch Klassiker der Band zum Einsatz, was dieses Gesamtpaket sehr gut abrundet.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass "Raw To The Bone" (wie auch schon "Twin Barrels Burning") bei weitem nicht das beste Werk von Wishbone Ash war. Die Band-Vergangenheit und -Zukunft mal außen vor gelassen kann man den beiden Scheiben zwar attestieren, dass es sich dabei um gut gespielten, allerdings auch wenig mitreißenden Hard Rock handelt, der rückblickend mit vielen anderen Alben der Band nicht mithalten kann.


Line-up Wishbone Ash:

Andy Powell (guitars, background vocals, lead vocals – CD 1 – #12-15)
Laurie Wisefield (guitars, background vocals)
Mervyn Spence (bass, lead vocals)
Steve Upton (drums)

Andy Powell and Steve Upton with:
Phil Palmer (guitars – CD 1 – #12-15)
Brad Lang (bass – CD 1 – #12-15)

Tracklist "Raw To The Bone":

CD 1:

  1. Cell Of Fame
  2. People In Motion
  3. Don’t Cry
  4. Love Is Blue
  5. Long Live The Night
  6. Rocket In My Pocket
  7. It’s Only Love
  8. Don’t You Mess
  9. Dreams (Searching For An Answer)
  10. Perfect Timing
  11. She’s Still Alive (outtake)
  12. Apocalypso (The 1986 Sessions)
  13. Valley Of Tears (The 1986 Sessions)
  14. Nkomo (The 1986 Sessions)
  15. Talk To Me (The 1986 Sessions)

CD 2:

  1. Long Live The Night (Friday Rock Show, 5th July 1985)
  2. Cell Of Fame (Friday Rock Show, 5th July 1985)
  3. Love Is Blue (Friday Rock Show, 5th July 1985)
  4. People In Motion (Friday Rock Show, 5th July 1985)
  5. Living Proof (Hammersmith Odeon, 9th December 1985)
  6. Cell Of Fame (Hammersmith Odeon, 9th December 1985)
  7. The King Will Come (Hammersmith Odeon, 9th December 1985)
  8. Blowin' Free (Hammersmith Odeon, 9th December 1985)

Gesamtspielzeit: 57:35 (CD 1), 44:20 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2018 (1985)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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