Sechs Jahre nach ihrem Debüt "Unmountable Stairs" jagen die Jungs von Witchrider aus der steirischen Hauptstadt Graz ihr neuestes Album in den Äther. Wer sich über den Namen wundert (Hexen reiten Besen und werden eher selten geritten), findet in der Medizin die Auflösung. 'Die Hexe reiten' nennt man umgangssprachlich die Schlafparalyse, bei der die Muskulatur während des Schlafs und vermeintlicher Alpträume quasi gelähmt ist. Mir fällt auf, dass sich alternative Bands gerne aus diesem Themenkreis bedienen, Glasgow Coma Scale aus Frankfurt haben sich nach einem psychologischen Phänomen rund um das Einschlafen benannt. Scheint ein fundamentales Thema zu sein bei Künstlern dieser Musikszene.
Damals wurde Witchrider oft mit Queens Of The Stone Age verglichen, weil der Gesang von Daniel Dorninger tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem großen Josh Homme aufweist und die Band ebenfalls im weiten Land des Stoner-Imperiums grast. Vordergründig zumindest. Wer daraus aber fehlende Eigenständigkeit und Authentizität ableiten möchte, irrt gewaltig und sollte sich das Album selbst einmal anhören.
Der elektrisierend grollende Auftakt "Shadows" macht unmissverständlich klar, dass man sich dem Titel verpflichtet fühlt, der elektrische Sturm will über uns hinweg fegen. Er tut dies mit krassen Riffs, die aus sehr eng korrespondieren Linien zwischen Vier- und Sechssaiter entwachsen. Ein mächtiges Gitarrenbrett, das uns da um die Ohren gehauen wird. Doch Witchrider wären nicht aus Österreich, wenn sie einfach nur plump auf tiefe Töne setzen würden. Selten habe ich eine Stoner-Szene erlebt, die derart offen ist für benachbarte Spielfelder und dabei immer wieder spannende neue Wege begeht. So finden wir hier bei aller durchdringenden Härte eine erstaunliche Melodik in den Harmonien. Die Salzburger Been Obscene setzten damals auch vermehrt auf dieses Prinzip und streiften gelegentlich fast artrockige Soundgeflechte. Dorthin wagen sich Witchrider allerdings nicht, ihre Musik ist eindeutig im Alternative Rock zu sehen.
Nach zwei echten Wachmachern kommt schon der Titelsong mit einer herrlich mystischen Atmosphäre und einer geilen Hypnotik. Diese seltsam melodischen Hooklines dringen gleich in mich ein und nehmen mich gefangen. Es ist nachzulesen auf der Webseite der Band, dass sich Dan und Michael zuletzt bevorzugt mit elektronischen Instrumenten und Soundscapes befasst haben; für solche Stimmungen wie in "Electrical Storm" sehr gut geeignet, es verleiht dem Song enorme Tiefe und Ausstrahlung.
Graz, die einzige Großstadt Österreichs, die ich persönlich noch nicht kennen gelernt habe (die Stadt liegt schon ein gutes Stück südlich der Alpen, zu klettern gab es da nichts), scheint eine kreative Musikszene zu haben, schon Ultima Radio hatten mich damals mit ihrer Neuerscheinung derart gefangen genommen, dass ich gleich mal altes Material orderte. Gewisse Parallelen sind unverkennbar, charismatischer Gesang und wilde Akkorde begegnen bei beiden allen möglichen Sound-Spielereien.
Und auch in den Epochen scheinen sich die Hexenreiter durchaus auf ihre Helden zu beziehen, wenn beispielsweise eine Hookline gleich im Opener an Black Sabbath erinnern mag. Dass die Ära der neunziger auch nicht ganz unbeachtet bleibt, als der bereits zitierte Josh Homme mit seinen Mannen einst Kyuss aus dem Taufbecken holte, während Seattle dem Rest der (Rock-)Welt vorübergehend den Puls vorgab, liegt sicher in den Genen von Witchrider. Diese stilistischen Ausprägungen streifen hier und da vorbei wie eine leichte Woge und speisen dennoch den elektrischen Sturm.
"Keep Me Out Of It" mit seinem so schön düster anmutenden Intro groovt erhaben schwebend durch die Gefühlswelt des Zuhörers, der hier eher sanfte Gesang spendet Vertrauen und wenn das Geschehen in einem mächtigen Crescendo an Intensität gewinnt, kann es uns nicht mehr schrecken. Sehr geil setzt hier über einem kräftig akzentuierten Bass die Gitarre ein kurzes Solo, die choralen Sounds im Hintergrund vermitteln Bedrohlichkeit, die aber von den Harmonien aufgefangen werden. Toller Song mit kontrastierenden Effekten. Wie man überhaupt feststellen könnte, dass die mitunter beängstigenden Bachground-Sounds wie die Sirene in "Let Go" eher konterkarierend eingesetzt werden, denn der Song hat einen eindeutig zugänglichen Duktus und kommt fast locker daher. Dafür gibt es in "Come Back" ein herrlich kratziges und ausgeprägtes Gitarrensolo, wiederum mit einem völlig kontrapunktierenden Ausklang. Yin und Yang irgendwie.
Zum Abschluss bekommen wir mit "The Weatherman" ein besonders sphärisch mystisches Erlebnis, wenn in den begleitenden Lines (eine vermutlich elektronisch erzeugte) Sitar zu schweben scheint. Der stark von der Percussion ausgestaltete Song bekommt dadurch einen besonderen, leicht fremden und doch eigenartig zugänglichen Sound. Die düsteren Gewitter-Szenarien befeuern noch dieses Gefühl. Ein feines Finale.
Ein Wort zum Line-up. Das musste ich mir dann doch ein wenig zusammen basteln, denn auf dem Album sind nur die Namen der Musiker ohne instrumentale Zuordnung genannt, auf ihrer Webseite lässt man sich da auch nicht so deutlich aus. Man muss schon ein bisschen suchen. Da Bernhard Sorger, oder 'The Besorger', wie er so geil auf der Facebook-Seite firmiert, als Drummer eingestiegen ist, nehme ich an, dass der frühere Schlagzeuger Michael Hirschmugl hier an den Soundscapes gearbeitet hat. Und ob Dan auch für das Album zur Gitarre gegriffen hat, weiß ich auch nicht, in den Videos tut er’s. Anmerken sollte ich noch, dass Gitarrist H.P. Leitner die Band kurz nach Fertigstellung von "Electrical Storm" zugunsten einer Solo-Karriere verlassen hat. Da wird man die Arrangements sicherlich umstellen müssen, wenn es irgendwann mal wieder live auf die Bühne gehen wird.
Freuen dürfen wir uns drauf, denn die Musik hat einen guten Groove, zudem rückt die Band mit einem großartigen Sänger an. Der Studio-Sound ist übrigens vom Feinsten, da hat man ganze Arbeit geleistet und die Intensität der mächtigen Akkorde sehr schön heraus gestellt, genau wie die vielen kleinen Spielereien im Hintergrund. Die Schweden von Fuzzorama Records, die eben auch die äußerst wilden Truckfighters unter Vertrag haben, konnten südlich der Alpen einen schönen Gegenpol finden zum wüsten Gebaren der Jungs aus Örebrö. Frische Musik aus Graz, die kultiviert klingt und dennoch mit ordentlichen Brettern um sich schlagen kann. Schöne Gegensätze, die sich aus dem Spannungsfeld des Stoners speisen, aber offen sind für den Rest der (Musik-)Welt. Gefällt mir gut.
Line-up Witchrider:
Daniel Dorninger (vocals, guitar, soundscapes)
Hans Peter Leitner (guitar)
Bernhard Sorger (drums)
Bernhard Weigl (bass)
Michael Hirschmugl (soundscapes)
Tracklist "Electrical Storm":
- Shadows
- You Lied
- Electrical Storm
- I Am Confused
- Mess Creator
- Let Go
- Pirat You Break
- Keep Me Out Of It
- It’s Corooked
- Come Back
- The Weatherman
Gesamtspielzeit: 49:43, Erscheinungsjahr: 2020
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