«

»

Witthüser & Westrupp / Der Jesuspilz – Live! – CD-Review

Witthüser & Westrupp / Der Jesuspilz – Live! – CD-Review

Liedermacher, Protestsänger, Acid-Folker … was auch immer man stilistisch den beiden Essenern ans Revers heften will, auf jeden Fall waren sie wohl eines der kuriosesten Duos der deutschen Musikhistorie. Kurios im besten Sinne, wohlgemerkt. Spitzfindig, treffend pointiert, augenzwinkernd, aber doch ernst in ihren Ansinnen – trotz allem Klamauk, den sie auf der Bühne und in ihren Texten unterbrachten. Hintergründig, intelligent aber lustig, begeisternd, glaubhaft und auch zum Lachen animierend. Die Kunst, das alles unter einen – auch psychedelischen – Hut zu bringen, war ihnen eigen. Die Bühnen teilten sie mit der Riege der damals Angesagten, wie z. B. Ingo Insterburg, Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Ulrich Roski, Schobert und Black, Reinhard Mey, aber auch mit den Krautrockern Wallenstein.

Daneben wirkten sie auch bei Produktionen von Klaus Schulze, Tangerine Dream, Hoelderlin und Bröselmaschine mit und 1970 traten sie auf dem Fehmarn Festival vor Jimi Hendrix auf. Sie hatten also ihre große Zeit und ihre Fans. Begonnen hatte die Zusammenarbeit von Bernd und Walter in den Sechzigern in der Essener Folkszene und besonders in der Kellerkneipe und Institution Podium. Von 1969 bis 1973 arbeiteten und lebten sie zusammen als Duo Witthüser & Westrupp.

Ich gestehe gerne, dass die Beiden damals an mir vorübergingen, denn für ihre Kunst war ich zu jung. Ich wollte zu der Zeit elektrische Musik und keine akustischen Instrumente wie Laute, Ukulele oder gar Sachen wie auf dem Kamm blasen und Hupen. Aber der Name war natürlich bekannt und etwas später fanden Witthüser & Westrupp auch Einzug in meine damalige Playlist. Besonders "Nimm einen Joint, Mein Freund" war ein gern gehörter Song. Wer altersbedingt noch nichts von dem Duo kennt, hat nun Dank Sireena die Gelegenheit, das zu ändern. Und es lohnt sich, in der aktuell so hektischen und schnelllebigen Zeit, mal umzuschalten auf diese alten Tunes.

Und vorliegende Platte mag vielleicht auch wieder mal zum Lesen animieren, denn Thema bzw, Ursache des "Jesuspilz" ist ein Buch des Wissenschaftlers John Marco Allegro, dessen Leben sich um die Auswertung der Schriftrollen von Qumran drehte. Seine Essenz war die, dass das Christentum auf einem psychedelischen Kult basiert, der sich halluzinogener Pilze bediente. Daraus entstand die Jesusbewegung und Witthüser & Westrupp veröffentlichten auf dieser Grundlage  ihr erfolgreichstes Album: Der "Jesuspilz".

Das ist ein spannendes Stück Geschichte, zumal der Autor John Marco Allegro im Alter von 65 Jahren an unbekannter Todesursache verstarb. Seine These, dass der Leib Jesu ein Fliegenpilz war (die er auch aus Schriften im Vatikan stützte) hatte mächtige Feinde und auch heute noch wird sein Ableben als kein normales gesehen. Aber das ist eine andere Geschichte.

»Am Anfang … war nichts als Brösel«. Brösel ist die Uressenz des Lebens und zieht sich durch das Album "Jesuspilz", welches sich die Aufgabe gestellt hat, die "Bibel" neu zu interpretieren. Selbstverständlich nach der Marke Witthüser & Westrupp. Bezug nehmende Bibelstellen sind "Schöpfung" ("1. Mose 1"), "Erleuchtung und Berufung" ("Lukas 3,21-22"; "6,13"), "Versammlung" ("Lukas 9,12-17"), "Bekenntnis" ("Markus 4,26-32") sowie "Aussendung" ("Markus 16, 15"). Man muss den Texten lauschen, um die subtile, hintergründige und augenzwinkernde Interpretation zu erfassen. Mit allerlei akustischem Equipment wird dabei so gearbeitet, dass man auch die Veränderungen im Tonfall der beiden Protagonisten mitbekommt. Und nun stören auch keine Hupen, kein Blasen auf dem Kamm. Im Gegenteil, diese Geräusche passen in das Gesamtkonzept und zeigen, wie genial die beiden Barden dieses Thema angehen. Adam und Eva dürfen hier nackt sein, Jesus nennt seine Jünger Jungs und überhaupt haben die Texte den Anspruch, gehört werden zu wollen. Sie sind durch längere psychedelische Sequenzen unterbrochen und lassen einen gespannt warten, wie die Geschichten weitergehen:

»Am Anfang war nichts als Brösel,
und der Brösel war finster und schwebte über allem.
Damit der Brösel besser zu sehen war,
machte man das Licht an. Und man sah,
der Brösel war gut.
Da teilte man den Brösel, und machte eine Hälfte flüssig, und die andere fest.
Dann ging man daran Gräser, Kräuter, Stecklinge, Radieschen und ähnliches mehr zu pflanzen.
[… ]
Und man schuf aus dem Urbrösel eine Figur, die das ganze Gebrösel beherrschte.
Als man dann ansah, was man aus dem Brösel geschaffen hatte,
da sah man, dass es sehr gut war.
Und man gab der Figur noch ein paar Gramm des Urbrösels mit auf den Weg.«

Gut gesetzte Akkordwechsel, spannend-lustige Erzähl- und Singweise sowie eine dezente aber stets präsente Psychedelic machen das Hören zum Erlebnis. Und eigentlich sollte nun das Interesse geweckt sein, sich auch die anderen Platten des Duos wieder mal anzuhören. Die haben es in der Flut der Massenveröffentlichungen heutzutage nicht leicht, denn man muss sie hören. Richtig und bewusst anhören. Witthüser & Westrupp können uns entschleunigen.

Die vorliegende Liveversion stammt aus dem Jahr 1971 und zwar von der Generalprobe im Essener Jugendzentrum ein paar Tage vor der Uraufführung in der Apostelkirche Essen. Die Resonanz auf das 80-minütige Programm (das von der Originalplatte abwich) war dermaßen gut, dass Auftritte in über 100 anderen Kirchen und auch im Fernsehen folgten. Alles eine runde Sache also, die aber trotzdem einen traurigen Beigeschmack hat, denn Bernd Witthüser verstarb am 4. August 2017 und konnte somit vorliegende Platte nicht mehr hören. Aber ihm zu Ehren gab es im September 2017 in eben der Apostelkirche eine Gedenkveranstaltung. Uns bleibt er dagegen auf diesem Tondokument erhalten. Hören wir ihm und Walter einfach zu …


Line-up Witthüser & Westrupp:

Bernd Witthüser (Gesang, alle Instrumente)
Walter Westrupp (Gesang, alle Instrumente)

Tracklist "Der Jesuspilz – Live!":

  1. Schöpfungsgeschichte
  2. Der Satan
  3. Erleuchtung und Berufung
  4. Versammlung
  5. Bekenntnis
  6. Vermächtnis des Meisters
  7. Vision 1

Gesamtspielzeit: 39:21, Erscheinungsjahr 2018 (1971)

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
Über mich
Meine Seite im Archiv
News
Mail: ulli(at)rocktimes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>