Wenn es hinsichtlich der amerikanischen Folk Music eine Gallionsfigur gibt, dann sprechen wir nicht von Pete Seeger oder Bob Dylan (obwohl diesen beiden ohne Zweifel große Verdienste zuzuschreiben sind). Nein, wenn es eine Gallionsfigur, wenn man so will einen Godfather, dieses Genres gibt, dann ist das Woody Guthrie. Der 1912 in Oklahoma geborene und aufgewachsene Musiker hatte (zusammen mit einigen Weggefährten) die Grundlage geschaffen, auf der sich die Karrieren vieler anderer erst aufbauten. Guthrie war neben einigen festen Jobs (beispielsweise beim Radio) unermüdlich im großen Amerika, vom Süden nach Kalifornien, zurück über den Süden und dann nach New York City mit seiner Gitarre unterwegs und engagierte sich für die 'einfachen' Leute, prangerte soziale Missstände und korrupte Politiker an. Legendär ist bis heute der auf seinem Instrument angebrachte Aufkleber mit den Worten »This Machine Kills Fascists.«
Tatsächlich war Guthrie politisch gesehen eindeutig auf der Seite der Kommunisten zu finden, selbst wenn er nie einer Partei beitrat. Im Amerika der vierziger Jahre hatte er deswegen (Stichwort McCarthy-Ära) einen sehr schwierigen Stand. Nachdem sich sein Gesundheits-Zustand Ende des genannten Jahrzehnts immer mehr verschlechterte, er alle möglichen Diagnosen (von Alkoholismus bis zu Schizophrenie) bekommen hatte, konnte 1952 mit Sicherheit die Huntington Krankheit bestimmt werden. Dabei handelt es sich um eine seltene Erkrankung des Gehirns, die von extremen Stimmungsschwankungen bis hin zu völligem Kontrollverlust der Muskeln führt. Die lange Zeit ab 1956 bis zu seinem Tod am 03. Oktober 1967 verbrachte Guthrie in psychiatrischen Einrichtungen, wo er Anfang der Sechziger oft von Bob Dylan besucht wurde.
Am 20. Januar 1968, etwa dreieinhalb Monate nach dem Tod des Musikers, veranstaltete Harold Leventhal ein Memorial Concert in der Carnegie Hall in New York City, zu dem sich sämtliche amerikanischen Größen der Folk Music eingefunden hatten. Mal übergreifend mit der Show am 12. September 1970 (in der Hollywood Bowl, Los Angeles) waren hier Judy Collins, Pete Seeger, Bob Dylan (mit The Band), Tom Paxton, Country Joe McDonald, Joan Baez, Arlo Guthrie, Ramblin' Jack Elliott und, und, und.. mit dabei. Ach ja, und dann auch noch Peter Fonda, der durch das Programm führte. Der Aufbau der beiden Shows war gleich, teilweise sogar identisch, was die erzählten Geschichten betrifft. Es wurden Stories aus Woodys Leben und Anekdoten von persönlichen Begegnungen der hier vertretenen Musiker mit Guthrie erzählt, teilweise auch die historischen Hintergründe zu bestimmten Songs erläutert. Gefolgt von Songs, die ausschließlich aus der Feder von Woody Guthrie stammen.
Der Sound der ersten CD macht in den ersten Sekunden (Applaus des Publikums) etwas Angst, weil man ihm sein Alter deutlich anmerkt. Die Aufnahmen stellen sich aber als sehr gut überarbeitet heraus und selbst wenn der Klang der 1968er Show nicht perfekt ist, so wird dies sehr schnell von den erzählten Geschichten und der starken Musik wieder wett gemacht. Die zwei CDs des Konzerts von 1970 hören sich dann schon wieder ein gutes Stück besser an. Wahrscheinlich war hier besseres Aufnahme-Equipment am Start und ziemlich sicher hatte die Technik im Allgemeinen in den zweieinhalb dazwischen liegenden Jahren ebenfalls wieder einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Großartige Musik also von zwei Events, die nur als historisch wertvoll betitelt werden können. Als Bonus auf der dritten CD findet man dann auch noch jede Menge Interviews mit den Musikern über Woody.
Und als ob dies alles nicht schon genug wäre, sind dieser opulenten Box auch noch zwei hochinteressante Bücher beigefügt (die CDs befinden sich im Buchcover), die noch mehr über das Leben Woody Guthries sowie die beiden Memorial-Konzerte zu berichten haben. Die Songtexte sowie auch die Akkorde und Melodiebögen sind ebenfalls zu finden. Dazu wundervoll gestaltet mit sehr vielen ausdrucksstarken schwarz/weiss-Fotos, die ganz alleine schon ihr Geld wert sind.
Ein – zugegebenermaßen nicht ganz billiges – beeindruckendes Zeitdokument über einen Mann, der mindestens eine Generation an Musikern (nicht nur) in den USA sehr stark geprägt und beeinflusst hat. Wenn man selbst oder jemand aus der lieben Familie etwas für diesen Stil übrig hat, man auch nicht unbedingt jeden Euro umdrehen muss, dann hat man hier praktisch das optimale Weihnachtsgeschenk gefunden. Und die Box passt auch farblich ganz hervorragend unter den Baum…
Aufgrund der Fülle des Materials von insgesamt 100 (!!!) Songs und Interviews verweisen wir bezüglich der Tracklist als absolute Ausnahme direkt auf die Homepage des Labels.
2 Hardcover Books, ISBN 978-3-89916-900-3, 160 Seiten (Buch 1), 88 Seiten (Buch 2), Preis: 99,95 Euro
Gesamtspielzeit: 70:45 (CD 1), 70:13 (CD 2), 78:34 (CD 3), Erscheinungsjahr: 2017 (1968, 1970)
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