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Wucan / Reap The Storm – CD – Review

Der Krautrock ist tot, es lebe der neue Kraut-und-Rüben-Rock!
Während Deutschlands einstiger Aufbruchsstimmung, als sich zahlreiche Provinzmusiker, des großbürgerlichen siebziger Hitparaden-Einerleis überdrüssig, in ihre Scheunenstudios verschanzten um stilistisch Neues zusammen zu basteln, waren unsere Protagonisten noch ungeboren.
So schienen die dazumal international gefeierten German-Music-Reformer mittlerweile vom Aussterben bedroht, wären da nicht 2013 vier mit unverbrauchten Blut begnadete Adepten, welche wohl angefixt von eben jenen Sound Genre-beflissener Zottelrocker zudem den kreativen Intentionen aus dem süßlich duftenden Nebeln ihrer Dresdner Studentenbuden, in den schwer umrangelnden Bühnen-Ring gestiegen.

Dank Francis Tobolsky, der Bandhohepriesterin und eigentlichen Triebfeder der jugendlichen Sachsen, welche mit ureigenster Willenskraft und der Suchanzeige in einer Studi-Gazette erste Funken dafür schlug, samt ihrer auratischer Omnipräsenz, zugleich hybriden mit hippiesken und Blues-Gospel Taufwasser benetzten Stimmbänder, erstürmten diese die Herzen retromaner Hörer nebst Konzertgänger recht schnell.
Wenngleich die Musiker von Wucan, wie ihre subversiven und geistes-bekifften Vorväter und Rock-Revoluzzer dazumal, den heutzutage gewinnorientierten Kulturbetrieb wohl kaum umzukrempeln vermögen, sind deren musikalischen Ambitionen zudem Botschaften unmissverständlich.

Die vier gipfelstürmenden Jungblüter vermeiden das derzeitige heimische Standardgemenge industrie-anbiedernder Chartsschranzen, waten stattdessen knietief im zähen Morast angelsächsischer Bluesreformatoren der Sechziger ferner noch halluzinogenem Heavy-Rock, und transportieren gleichwohl den musikalischen Geist batikbetuchter Großstadt-Blumenkinder sowie des Artrock-ästhetisierten Mittelalter-Folks.
Laut Info sowie Hörbar gilt es auch diesmal als sicher, dass die Dresdner auf ihrem Studio-Zweitling "Reap The Storm" ihren kauzigen Stilmix noch intensiviert haben, zumal ihre multitalentierte Front-Nymphe überdies scheinbarer Prototyp eines späten Hippiemädchens samt ihrer Stimmband-fordernden Naturgewalt, ein gewaltiges Pfund an Handwerkskunst und Ekstase dazu legte.
Wucans persönliche Schaffens-Aussage, es habe »Schweiß, Blut und Tränen« gekostet, geht somit wohl völlig in Ordnung, erschufen diese erneut einen brachial von melodiöser Kraft betriebenen Bastard aus Kräuter-bewürzter, zudem hartleibiger Psychedelia, obendrein zwei Kompositions-Monstren die auf Vinyl je eine Plattenseite beanspruchen.

Die Essenz dieses Werkes lässt einen ordentlichen Kreativschub erhören, bietet zudem neben höllischen Drone-Sperenzchen und altbekannten Zutaten aus den Giftschrank der betäubenden dazu soundbunten Siebziger, ein Vielfaches an instrumentaler Reichhaltigkeit und Courage.
Da überraschen berauschende Kompositionen, wie der heimatsprachliche Opener "Wie die Welt sich dreht", als spaciger Boogie-Rocker nebst Francis systemkritischen zudem Stimmlippen-akrobatenen, jeder revolutionär-exzentrischen Bluesrock-Chanteuse gereichenden Speerspitzen, das "Falkenlied" ein subkutaner Antiquariat-Folk oder "Out Of Sight, Out Of Minds" britisch galoppierende Metal-Attitüde.
Auffällig dazu unüberhörbar sind dabei der eigenwilligen Frontladys sozialisierte und in ihren Eingeweiden verwachsene Passion für Jethro Tulls einbeinigen Flötisten-Wahnsinn, welcher sich wie ein roter Faden durchs Album zieht.
Die beiden 39-minütigen langen Riemen kulminieren ins kollektive Schaustellen ihrer Fähigkeiten, dazu experimentierfreudige Dramaturgien im kompakt verschweißten Oldschool-Modus.
So offenbaren die Kompositionen ihre ganze Drastik neben Francis Tobolskys sirenenhaftes Wimmern, Schreien und gurrendes Stimmtimbre durch halluzinogenes ferner noch fundamentales Schwerlast-Riffing sowie apokalyptisches Hörkino.
Zwischen sich gegenseitig beflügelnden Rhythmen sowie Wah Wahs, mäandernden Vintage-Vocals neben organischen Acid- und Bluesrock-Goldstaub, münden jene verkräuterten Reminizienzen an vergangene Soundlandschaften in finale Blechbläser-Versöhnlichkeiten.

Mit Wucans Apotheosen für THC-inhalierendes Rock-Kolorit, bluesvermählte Grooves, Hartglotziges und Krautiges, zeigt sich wiederum einmal mehr, wie gut die Sachsen darin sind musikalisch eigenwillige zudem nachhaltige Stimmungen zu erzeugen.
Sicherlich mögen die blutjungen Aufstreber samt ihrer schweissbeperlten Studio-Niederkunft damit das Rad nicht neu erfunden haben, jedoch wurde hierbei Rockhistorisches gierig runtergewürgt und mit neuer Manier wieder ausgespuckt.


Line-up Wucan:

Francis Tobolsky (voc, flute, guitar, theremin, sitar, synths)
Tim George (guitars, keys)
Patrik Dröge (bass)
Philip Knöfel (drums, percussion)

Tracklist "Reap The Storm":

  1. Wie die Welt sich dreht
  2. Ebb And Flute/The Eternal Groove
  3. Out Of Sight, Out Of Mind
  4. I’m Gonna Leave You
  5. The Rat Catcher
  6. Falkenlied
  7. Aging Ten Years In Two Seconds
  8. Cosmic Guilt

Gesamtspielzeit: 73:47, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Ingolf Schmock

Als gebürtiges Mauerkind zudem frühzeitig mit westlichen Rock'n Roll-Ultrakurzwellen-
Oddyseen und Beatclub-Aufklärungen sozialisiert, galt mein musikalisches Verständnis
deren meist langmähnigen Aussenseitern. The Who, Small Faces, The Move...,später dann
Hartglötzer wie Black Sabbath, Deep Purple&Co., zu guter Letzt Schwurbel-Pioniere
ala Yes, Genesis, ELP...waren (sind) meine Helden sowie Seelenklempner.
Heute liegt mein Hauptaugenmerk (auch Hierzulande) auf sowohl handgemacht Rockistischem
mit Engagement und Seele, als auch Prog-gebrandmarkten virtuos-Verspieltem.

2 Kommentare

  1. OldMcMetal

    Als Jahrgang 1960 bin ich mit Krautrock in all seiner Faszination und auch Lächerlichkeit groß geworden, musikalisch davon eher peripher sozialisiert. Im Zuge der Retro-Welle, in der jeder Schwede(vorrangig)die Plattenkisten seiner Großeltern plündert und dann meint, die Reinkarnation von Led Zeppelin zu sein, habe ich nur darauf gewartet, dass das Sauerkrautfass aufgemacht wird. Danke Wucan! Reap the storm! Nun ja! Musikalisch durchaus ansprechend, ist der Gesang genauso wie der textliche Tiefgang eher ein lauwarmer Wind! So oder ähnlich hat es mich schon 1974 geschaudert! Egal ob Floh de Cologne oder Lok Kreuzberg, beide irgendwie mit in das Krautfass gefallen oder Eloy, was da an Worten gedrechselt wurde, bedurfte keiner Neuauflage im Jahr 2017. Egal ob nun englisch radebrecht wird(hier packt mich als gebürtigem Schotten das nackte entsetzen)oder deutsch, rein instrumental hätte mir das ganze Chosse besser gefallen!

    le durachdan
    OMCM

  2. Mario Keim

    Immer wieder gut zu hören und zu lesen, wenn der Begriff Krautrock wieder einmal auftaucht. Gehört er doch auch zu einer Spezies, die offensichtlich auszusterben droht.
    Danke für die ausführliche Rezension.

    Gruß dem „Schreiberling“ aus Thüringen von Mario

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