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Yage / Nordwand – CD-Review

Zwei Dinge zu Musik vorneweg. Erstens: Ich liebe Überraschungen. Zweitens: Bevor ich ein Album höre, mache ich mir gern ein Spiel daraus, bloß am Namen zu erraten, welche Nummern rein instrumental sein könnten. Klassiker von "Rat Salad" (Black Sabbath) bis Rushs "YYZ" geben den Weg ja quasi vor. Und bei Titel wie "Kleiner Lafatscher", "Großer Lafatscher", "Rauher Knoell" und "Moserkar" schien mir schnell klar: "Nordwand" von Yage ist ein Instrumentalalbum. Zumal die beiden Münchner ihren Stil auch auf ihrem inzwischen zweiten Album (nach "Hochnissl" von 2011) gern als 'Mountain Rock' bezeichnen und angeben, »Bergtouren musikalisch zu verarbeiten«. Schnell wird auch alpenfernen Rock-Fans klar, dass es sich bei den beiden 'Lafatschern' und dem rauen Etwas um (in diesen Fällen österreichische) Gipfel handelt.

Die Überraschung kommt dann allerdings schon recht bald. Nachdem der Opener "Kleiner Lafatscher" mit einigen jäh verzerrten Akkorden erstmal Atmosphäre schafft, wird bei "Großer Lafatscher" nach zwei Minuten growlig geschrien. Nach ein bisschen was Undefinierbarem hört man bald »Lafatscher! Lafatscher!« raus. Es macht Spaß, zuzuhören. Und nach dem Verdauen der Überraschung passt es auch gut rein in die harte Bergmucke. Prinzipiell ist die aber immernoch – nennen wir es mal: 'beinahe-instrumental' angelget. Der geshoutete Gesang kommt nur episodenweise in ein paar wenigen Stücken vor – geht aber gut mit dem instrumentalen Unterbau einher. Denn auch da rumpelt es oft. Als Einfluss gibt die Band Mastodon an – der Gesang ist übler, aber was die überdehnte Spannung in den Gitarren- und Schlagzeugsounds angeht, kommt das gut hin.

Yage haben sich selbst nach einem sinneserweiternden Trunk südamerikanischer Ureinwohner benannt. Mit ihrer Musik wollen sie ähnlich halluzinogene Wirkungen beim Hörer verursachen. Und das passt auch; man kann sich gut treiben lassen. Und nein, das geht nicht nur mit  pseudoätherisch-transzendenter Säusel-Soße aus Meditations-DVDs und spirituellen Massagepraxen. Das geht auch, wenn es im oberen Tempobereich rumpelt – und das macht es bei "Nordwand" des Öfteren, wie bei "Kaputt" oder auch "Moserker". Oft nimmt das Ganze aber auch eine längere Entwicklung aus ruhigen Gefilden heraus, türmt in der Mitte des Tracks viel brachiale Energie auf, um dann wieder langsam abzuklingen. Man kann sich die Kulisse der Berge dabei gut vorstellen, vom idyllischen Grün zum unwirtlichen, Respekt einflößenden Fels und wieder zurück.

Für Hinhörer unterwegs auf Gipfeltour sorgen Benjamin Reichenbach-Klinke und Daniel Rauch mit präzise donnernden Nackenbrecher-Riffings und erdigen Grooves, rhythmischen Spirenzchen, brummeligen Basslines, Frickeleien und Solo-Einlagen. Die Details machen diese akustischen Reisen kurzweilig; und leisere (aber keinesfalls langsamere) Nummern wie das von cleanen Gitarren dominierte, introvertierte "Planet Broesel" machen den Mix rund. Absoluter Höhepunkt ist aber der Titeltrack "Nordwand" – ein imposantes Teil inklusive ein paar weniger Shouts, Tempo- und Rhythmuswechsel und einem kleinen, aufhellenden Break. Solch herausragende Gipfel wie diese wirklich beeindruckende "Nordwand" hätten etwas öfter vorkommen dürfen – so sind die knapp 68 Minuten Gesamtspielzeit unterm Strich ein bisschen zu lang geraten; langweilig wird es trotzdem nie, wiederholt sich nur ein bisschen.

Erwähnen muss man noch einen echten Ausreißer: "Zwicker feat. K-STE" ist mal eine ganz andere Art akustischer Bergtour. Da steckt viel bierlaunige Party drin, wenn Daniel Rauch über einen Loser singt, der den Berg in Tennissocken und auch ansonsten etwas blauäugig und unvorbereitet hoch will. Dieser Typ hat dann auch einen 'Auftritt', gerappt von Gaststimme Kenny Steigmann von der Combo K-STE, der vergeblich den Aufzug sucht, unterwegs Sehnsucht nach Schweinsbraten und Pizza entwickelt und sich einfach nur quält – weil jeder meint, man müsse unbedingt mal auf so nem Berg drauf gewesen sein. Das Teil ist einfach nur Spaß; und dazu gibt es auch ein launiges Video einschließlich hart gespielter Luft-Instrumente. Alles in allem ist der 'Mountain Rock' von Yage eine wirklich originelle Form der Heimatmusik – welche Einflüsse könnten persönlicher sein als die Natur um einen rum? So, und jetzt bitte die Küstenmenschen!

 


Line-up Yage:

Benjamin Reichenbach-Klinke (drums)
Daniel Rauch (guitars, vocals, bass)

Guest musician:
Kenny Steigmann (vocals – #4)

Tracklist "Nordwand":

  1. Kleiner Lafatscher (1:49)
  2. Großer Lafatscher (3:53)
  3. Antiheld (3:51)
  4. Zwicker feat. K-STE (3:58)
  5. Planet Broesel (5:05)
  6. Nordwand (8:41)
  7. Indianer (5:07)
  8. Maschine (8:04)
  9. Lumen (4:36)
  10. Rauher Knoell (6:15)
  11. Kaputt (7:31)
  12. Moserkar (5:48)
  13. Siljan (3:10)

Gesamtspielzeit: 67:49, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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