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Yuval Ron / Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum – CD-Review

Yuval Ron / Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum – CD-Review

Diese Besprechung widmet sich einem Album, das wie kein zweites die Grenzen zwischen sprudelnd energetischer Fusion und hoch modernem progressivem Rock aufhebt. Ein Unterfangen, welches in der Vergangenheit von vielen versucht, von anderen eher vermieden wurde.

Für ein Musikmagazin tätig zu sein ist ein ganz wunderbares Privileg, denn ab und zu ergeben sich Wegkreuzungen, die das Universum ohne fremde Hilfe wohl nie gewährt hätte. Genau eine solche hat mich nun aus heiterem Himmel ereilt und ich habe irgendwie das Gefühl, dass mein Leben ein ganz klein wenig seine Umlaufbahn geändert hat. Nein, ich kannte bis vor wenigen Tagen keinen Musiker Namens Yuval Ron. Das ist etwas, was gleich in verschiedener Hinsicht fatal ist, als cineastisch begeisterter Freund lässt es mir ein bisschen Gänsehaut über den Rücken wachsen, dass der Musiker, mit dessen neuestem Werk ich mich gleich befassen darf, ganz besonders die filmisch, bildlichen Aspekte seiner Musik in den Vordergrund stellt. Bewegte Bilder und die passende Musik dazu, das war hier bei RockTimes oft ein spannendes Thema – wird meine Kollegin Andrea jederzeit bestätigen.

Hier und jetzt habe ich Klänge einer Musikrichtung vorgelegt bekommen, die mich von je her immer fasziniert hat. Progressiver Rock jenseits allzu gängiger Stilmittel und Fusion, die sich nicht in purer Jazz-Akkrobatik verliert. Das funktioniert beängstigend gut und so bekomme ich kurz vor dem Jahresende mit "Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum" vielleicht doch noch eine neue Option geboten, wenn es um mein persönliches Lieblingsalbum für 2019 geht. Begeben wir uns in eine Welt, in der raffinierte jazzige Improvisationen immer wieder auf Harmonien progressiver Rockmusik treffen und oftmals ein geradezu cineastisches Klangbild abgeben. Yuval selbst beschreibt die über drei Jahre bis ins kleinste Detail ausgeklügelten Kompositionen als eine Art Filmmusik, eine galaktische Reise auf der Spur nach dem, der irgendwo im Universum eine Trommel schlägt. Und wer sucht ihn nicht, den Taktgeber im Universum?

Wenn mit dem Titelsong in das Album eingeleitet wird, krachen die Flashbacks nur so auf mich nieder wie ein Meteoriten-Regen. Ich bin ein bekennender Focus-Fan und der jodelartige Auftakt über einer eher neo-progiggen Gitarre der Marke Arena vermittelt uns Anbandelungen sowohl an die siebziger als eben auch die neunziger Jahre des Prog. Aber nur, bis die geniale Lead-Guitar zum ersten Mal vom Leder zieht. Jetzt sind wir mitten drin im jazzrockigen Imperium. Knackige Rhythmuswechsel, wilde Keyboards und die rhythmischen Verrücktheiten eines Drummers, der mir bei der Besprechung zu Dewa Budjanas diesjährigem Album bereits begegnet ist und der unter anderem mit verehrten Künstlern wie Steven Wilson und Joe Satriani die Welt bereiste. Jetzt erreichen wir zutiefst befriedigt den Aggregatzustand, den uns einst Al Di Meola verabreichte, selige Erinnerungen eines alternden Rezensenten an eine Zeit, als die Berge der Welt noch das Maß aller Dinge waren – die Musik aber bis in die Basislager von Nepal oder Tibet stets dabei war.
Die dramatischen Drum-Schläge zum Ende geben dem Songtitel noch einmal den nötigen Nachgang.

"Gravitational Lensing" ist eher so etwas wie die dunkle Seite der Macht. Viele Riffs und düstere Hooklines, ein in sich zurückgezogenes reflektierendes Solo voller sprühender, aber ein wenig verängstigender und bedrohlicher Energie führt uns wie in einem guten Film zu etwas, wo wir zittern sollen. Die Gravitationslinsen wollen uns ein wenig verstören und jagen gleich ein paar nachdenkliche Keyboards hinüber in den nächsten Song "Kuiper Belt". Wir begegnen Klangmalereien, die wie eine Beschreibung von Szenerien aus Peter Weirs "Herr der Ringe" wirken. Aus dunklen, bedrohlichen Grundtönen erwachsen aber immer wieder positive Knospen, Yuvals erquickend perlende Licks sprießen zunächst jazzig verspielt, wechseln dann in ein melodisches Feuerwerk progressiver Improvisation und ich erinnere mich, dass ich eine solche geile Gitarre vor einigen Monaten mal bei Stephan Thelens Fractal Guitar gehört habe.

Metallene Riffs zwischen Prog und Fusion? Yo man, wenn "WiFi In Emerald City" loslegt, kann man durchaus davon sprechen. Der Groove, der sich in der Folge entwickelt, ist aberwitzig. Virtuose Soloeinlagen über treibenden Rhythmen, die gerne um die Wette breaken, zwischen drin eine Gitarre, die mich an Steve Hillage erinnert. Dessen rhythmisch, klangliche Verknotungen gingen zwar nie bis in den Bereich der Fusion, aber sehr weit davon entfernt war er nie – vielleicht vergleichbar mit den Ambitionen eines David Sylvian, dessen Ideen bei David Torn irgendwie zu Ende gedacht wurden. Das Crescendo der Hooks zum Ende hin lässt den Song regelrecht explodieren. Ich hoffe, unsere Astronauten haben sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht.

Doch dann führt uns die Entdeckung der Phoebe in "The Discovery Of Phoebe" in eine Art nachdenklich, romantische Atmosphäre, die in ihrer Entwicklung in melodiöser werdenden Kreiseln ausholt, vor allem aber wunderschön bewegend und reflektierend elaboriert. Was für eine Gitarre. Progressive Stimmungswechsel erleuchten jazzige Improvisation bis hinein in ein plötzliches Loch, aus dem ein sanfter Choral dezent hinausführt und einen warmen und friedlichen Duktus kreiert. Diese Stimmung erinnert mich ein wenig an Steven Spielbergs Film "AI, Künstliche Intelligenz" und fällt mir ein wenig schwer, weil die Mutter-Sohn-Beziehung in diesem Streifen, auch wenn es im Falle des Kindes um einen Roboter geht, für jemanden momentan nicht ganz leicht zu ertragen ist, der seiner eigenen Mutter nur noch sehr bedingt zur Seite stehen kann. Der melancholische Charakter dieser Nummer mag sich auch darin erklären, dass der Song dem Andenken an Allan Holdsworth gewidmet ist, einem Pionier der Fusion. "Phoebe" hat gleich mehrere Filme in meinem Kopf angestoßen. Großartig.

Dann steigen am Ende wabernd schwebende Nebelwolken aus schwelgenden Keyboard-Klängen auf, ein leicht euphorisch stimmendes Thema entwickelt sich groovend, breakend und irgendwie ein wenig an die legendären Emerson, Lake & Palmer erinnernd aus diesen wogenden Klangwolken heraus. Das herrliche Video zu dieser Nummer (einen direkten Link zur universellen Reise findet Ihr am Ende des Artikels) beginnt dazu in einer Art Hommage an einen großartigen Science Fiction Film der Achtziger, die erste Einblendung vermittelt Endzeitstimmung wie in "Blade Runner". Aber so wie die Musik schon bald jegliche Moll-Töne hinter sich lässt, wird die Rakete inszeniert und wir erleben unsere vier Musiker in Astronautenkleidung im Cockpit und wenn Marco Minnemann die Combo mit einem einschlägigen Rhythmus zusammenruft, dann zündet die Band den Turbo, schön visualisiert durch die aus einschlägigen Weltraumspektakeln bekannten Darstellungen, wenn ein Raumschiff in den Hyperraum übergeht. Yuval spielt bei aller Virtuosität schöne eingängige Hooklines, die regelmäßig durch Bass und Drums kontrastiert werden.

Diese Kompositionsabschnitte lassen mich immer wieder an Al Di Meola denken, der in den Achtzigern ganz ähnlich unterwegs war. Und mit dem Klatsch-Part im Mittelteil und vor allem dem hier so prägnanten Keyboard mag man sich fast ein wenig an Mike Oldfields frühe Werke erinnern, auch wenn man insgesamt auf deutlich anderen Pfaden unterwegs ist. Zu dem nun folgenden Rhythmus-Interlude gibt es eine coole Sequenz, in der die Band in ihrem Raumschiff nur noch auf einem Bildschirm zu sehen ist, in dessen Vordergrund scheinbar aus Southpark stammende animierte Männchen den Flug unserer Protagonisten steuern. Eine ausführliche Darstellung der Startsequenz unserer spacigen Rakete führt uns zurück ins Hauptthema und während des stimmigen Outros streifen wir die Orbits von Mars, Jupiter und Saturn und so wie in Kubricks "2001" der Monolith die Flugbahn Dave Bowmans kreuzte, so treffen wir hier auf fliegende Gitarren, Keys und Drums. Am Ende stehen unsere Astronauten, nun auch als 'Southpark-Männchen' auf einem fernen Planeten am Ende des Universums und Yuval Ron lädt in einer kurzen abschließenden Botschaft alle Zuhörer ein, mit an Bord zu gehen. »There’s a lot more music at the end of the universe«. Yuval, das ist ein Versprechen!

Diese Musik hat mich umgehauen und enorm euphorisiert. Da, wo progressive Bands hin und wieder zu theatralisch werden, da kontert Yuval Ron mit virtuoser Gelassenheit und sagenhaften solistischen Extravaganzen. Wo reine Fusions-Musiker mitunter in Gefrickel verfallen, hat Yuval Ron einen Plan wilder, doch einnehmender Dichte und Struktur modernen Progs, ohne sich simplen Wohlklängen anzubiedern. Oder einfach gesagt, hier gibt es geile und völlig losgelöste, positive Musik von Schöpfern, die keinen Konkurrenten auf diesem komischen Planeten fürchten müssen. Und jenseits auch nicht, je nach dem, wo die Astronauts auch immer gelandet sein mögen. "I Believe In Astronauts" ist der letzte Song auf dem Album und »I Believe In Yuval Ron« ist mein Statement dazu. Konzept und instrumentale Souveränität verbunden mit wilder Spielfreude und dem unverkennbaren Willen, die Grenzen zwischen klassischer Fusion und genialem Prog einzureißen, dass alles lässt mich fast niederknien und Danke sagen, dass ich an einem solchen Paforce-Ritt teilhaben durfte.

"Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum" ist nichts anderes als ein modernes Meisterwerk, ein Album, das Welten vereint – die des Prog und die der Fusion. In einer Weise, wie ich es nur ganz selten erlebt habe. Ambitionierte Saiten-Magier können übrigens die niedergeschriebenen Wegweiser des Meisters mit der Platte erwerben; wohl dem, der so etwas zu spielen in der Lage ist.

Und ganz nebenbei habe ich Yuval Ron, den wunderbaren israelischen Weltmusiker angesichts der Namensgleichheit im Internet entdeckt – und gleich mal ein paar Platten bestellt. Auch der hat eine Menge zu vermitteln.
Hier aber finden wir ein grandioses Album zwischen Jazz und Rock – spät im Jahr hat es mich erreicht; ein geniales Stück Musik zwischen sprüheder Musikalität und genialer Komposition. Für mich selbst ein heißer Anwärter auf mein Album des Jahres 2019 und Yuval Ron wird mir in Zukunft sein Schaffen sicher nicht mehr vorenthalten können. Denn ich habe einen neuen Helden gefunden.


Yuval Ron Line-up:

Yuval Ron (guitar, vocals)
Matt Paull (keyboards)
Roberto Badoglio (bass)
Marco Minnemann (drums)

Tracklist "Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum":

  • Somewhere In This Universe, Somebody Hits A Drum
  • Gravitational Lensing
  • Kuiper Belt
  • WiFi In Emerald City
  • The Discovery Of Phoebe
  • I Believe In Astronauts

Gesamtspielzeit: 54:09, Erscheinungsjahr: 2019

Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers:

 

 

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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