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Zhaoze / Intoxicatingly Lost – CD-Review

Zhaoze / Intoxicatingly Lost

Wir sind in China, bzw. ich schaue mir gerade Südchina auf der Map im Internet an. Seit heute weiß ich um eine Stadt Guangzhou in der Provinz Guangdong am Südchinesischen Meer. Da mir der Routendienst keine Entfernungsdaten liefert, schätze ich mal, dass  Guangzhou  etwa 100 bis 150 km nordwestlich von Honkong liegt. Die Stadt hat mehr als 11 Millionen Einwohner und mindestens vier von ihnen machen Musik; ein Fakt, der erklärt, wieso ich gerade das Reich der Mitte, die Volksrepublik China als Thema habe.

Chinesische Musiker gehören in RockTimes mit Sicherheit zu den exotischsten Vertretern, aber keine Angst, "Intoxicatingly Lost" von Zhaoze wird niemanden mit chinesischer Folklore, zu vielen Quinten oder der Pentatonik überfordern.  Das Album – das erste der Band, das im Westen veröffentlicht wird – verleugnet zwar zu keiner Zeit die Herkunft, denn zu sehr sind uns die Klänge und Melodiefolgen aus Besuchen beim Chinesen, aus fernöstlichen Reportagen und vielleicht sogar von Reisen bekannt. Aber schließlich gibt es neben der Guqin, einem alten Saiteninstrument (Griffbrettzither), einer Längsflöte aus Bambus (Xiao) und dem Glockenspiel auch Gitarre, Bass und Schlagzeug.

Musikalisch kann man das so ausdrücken: Post Rock mit einer Spur Prog trifft World. Die Guqin wird mit Cellobogen gespielt und erfährt durch Verzerrungen eine Art Anpassung an westliche Ohren, ohne je die ethnische Herkunft auch nur ansatzweise zu verleugnen. Als wir bei Läwwerknepp und Sauerkraut die Platte das erste Mal hörten, entfuhr es uns beiden fast gleichzeitig: »geil, klingt chinesisch«. Und wir hätten die Leberknödel gerne mit einer Flühlingslolle getauscht.  Dabei startet die CD mit Schlagzeug, spährischen Progtunes und trockener Indiegitarre. Glockenspiel und Guqin gesellen sich dazu, ein östliches Flair ist aber allenfalls zu erahnen (noch).

Augenscheinlich fällt der fast monumentale und theatralische Sound auf, sicherlich auch geschuldet des rein instrumentalen Handwerks der vier Musiker. Kinosound möchte man meinen. Getragen, ruhig und meditativ wirkt die Musik, in die sich nun lokale Melodien der Protagonisten einbringen. Die Symbiose zwischen mal proggigen, mal staubtrockenen Gitarrenspuren, dem zarten und sparsam verwendeten Glockenspiel und der urtypischen chinesischen Zither verströmen auf der einen Seite eine wohltuende Ruhe, auf der anderen Seite ziehen sie die gespannte Aufmerksamkeit des Hörers extrem auf sich.

Im weiteren Verlauf übernimmt die Guqin auch schon mal die Zügel und führt streckenweise durch die Nummer, bis sich – schön zu hören in  "Luò Mù (Falling Leaves)" – die Gitarre aus dem Boden kämpft. Nach deren Aufbäumen meditiert zu höchster Melodik wieder das mit dem Bogen gestrichene Zupfinstrument. Diese Verbindung aus traditionellem folkloristischem Equipment und üblichem Rockinstrumentarium generiert eine völlig neue (zumindest kann ich das für meine Ohren  behaupten) Art von Musik.

Düstere Alternative Rock-Gitarren, manchmal mit einer Idee Crazy Horse, ohne allerdings diese Idee plakativ weiterzuverfolgen sorgen für den westlichen, den gewohnten Part, der per Fünfsaitenbass und Schießbude neben dem Sechssaiter aber stets unterhalb der 50 Prozentmarke gegenüber dem östlichen Part beibt. Und das ist gut so. Anders wären Guqin und Xiao zu exotischem Beiwerk degradiert und der besondere Spirit, den "Intoxicatingly Lost" verströmt, dahin.

Die Tracks sind übrigens nicht alle neu, einige Stücke stammen von vorhergehenden Alben. Welche das sind, ist den spärlichen Informationen nicht zu entnehmen, was allerdings unerheblich ist. Ob diese früheren Alben außerhalb Chinas zu bekommen sind, möchte ich zudem bezweifeln.

Auf dem elegischen "Intoxicatingly Lost" gibt es ein best of both worlds. Gitarre und Guqin scheinen Sex miteinander zu haben. Hypnotisierend mäandern sie nebeneinander her und klingen so, wie man sich China vorstellt: Groß, mächtig und unbekannt. Tribales Drumming und sphärische Keys tun ein Übriges …

Zhaoze haben Appetit gemacht. Appetit auf Rockmusik aus China.


Line-up Shaoze:

Hoyliang (guqin, xiao, keyboard)
Littledream (guitar)
Roy (bass)
Seasean (drums, glockenspiel)

Tracklist "Intoxicatingly Lost":

  1. The Worthless
  2. See You in the Dusk
  3. Luò Mù (Falling Leaves)
  4. 1911 Third Mov.
  5. The Youngster Fishing for the Stars
  6. Lonely Shadow Would Dance
  7. Sleepy Child Sweet Smile
  8. Into Your Dream
  9. Intoxicatingly Lost

Gesamtspielzeit: 61:34, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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