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High Falls And A Ramblin' Man – Zum Tod von Dickey Betts – Nachruf

High Falls And A Ramblin' Man - Zum Tod von Dickey Betts - Nachruf

Mit dem amerikanischen Musiker, Komponisten und Sänger Dickey Betts hat die Musik-Welt am 18. April 2024 einen ihrer prägendsten und einflussreichsten Gitarristen verloren. Im Jahr 1943 in eine musikalisch sehr aktive Familie geboren, zog es ihn nach mehreren anderen Instrumenten als Teenager schließlich zur Gitarre. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in der Combo The Second Coming (mit dem späteren Allman Brothers-Bassisten Berry Oakley) aktiv, lernte er unter anderem einen gewissen Duane Allman kennen, was schließlich dazu führte, dass diese beiden Musiker in der 1969 gegründeten Allman Brothers Band landeten.

Es existieren Dinge oder in diesem Fall Band-Konstellationen, die so großartig und einmalig sind, dass es sie nur ein einziges Mal gibt. Und zu diesen gehört ganz sicher auch das erste Line-up der Allman Brothers Band ab dem Zeitpunkt, als Gregg Allman nach kurzer Zeit einen anderen anfangs an den Tasten tätigen Musiker abgelöst hatte. Und zu eben jenem Line-up gehörte neben Duane (guitars) und Gregg Allman (keyboards, vocals), dem Bassisten Berry Oakley, den Schlagzeugern Butch Trucks sowie Jai Johanny 'Jaimoe' Johansen eben auch der zweite Gitarrist Forrest Richard 'Dickey' Betts. Das Sextett erspielte sich innerhalb kurzer Zeit einen Ruf als hervorragende Live-Band, aber die ersten beiden Studioalben ("The Allman Brothers Band" von 1969 sowie "Idlewild South" von 1970) verkauften sich nicht gut. War auf dem Debüt noch Gregg Allman als einziger Komponist der von der Band geschriebenen Tracks geführt, so debütierte Betts auf der zweiten Platte mit seinen ersten beiden selbstgeschriebenen Tracks, den Klassikern "Revival" sowie "In Memory Of Elizabeth Reed".

Der Verfasser dieser Zeilen möchte an dieser Stelle nicht die Geschichte der Brothers nacherzählen, erwähnt werden muss aber, dass Zug um Zug mit schweren Schicksalsschlägen (der Tod von Duane Allman im Oktober 1971 nach einem Motorrad-Unfall sowie der Tod von Berry Oakley fast genau ein Jahr später im November 1972, ebenfalls nach einem Motorrad-Unfall und dazu ganz in der Nähe der Stelle, wo das erste Unglück passiert war), die Alben der Band (Eat A Peach von 1972 sowie "Brothers And Sisters" von 1973) immer erfolgreicher wurden und die verbliebenen Musiker nach der letztgenannten Scheibe zu Superstars geworden waren. Das Dilemma war lediglich, dass sich nach dem Verlust des unbestrittenen Anführers Duane Allman und dem großen Erfolg gleich mehrere Probleme einstellten. Zum einen war da die sehr tiefsitzende Trauer um die beiden verlorenen Freunde, der daraus resultierende immer exzessiver werdende Drogen- und Alkohol-Missbrauch der Amerikaner, die sich daraus wiederum ergebende Entfremdung voneinander und schließlich ein zwischen Gregg Allman und Dickey Betts verbittert geführter Kampf um die Führung der Band. Dass dieser Kampf nie Auge in Auge stattfand (schließlich redete keiner mehr mit dem anderen), sondern auf ganz anderen Ebenen im Hintergrund, machte die Sache dann nur noch hässlicher.

Nachdem Gregg Allman 1973 sein erstes Soloalbum veröffentlicht hatte, zog Betts 1974 mit "Highway Call" nach. Eine sehr starke Platte, die mit zahlenmäßig ausgeglichenen Instrumental- als auch Gesangsstücken zwar mit sehr gute Kritiken, allerdings auch nicht allzu guten Verkaufszahlen umgehen musste. Die nächste Allman Brothers-Scheibe ("Win, Loose Or Draw", 1975), für die die Band-Musiker lediglich für einen einzigen Track ("Can’t Lose What You Never Had") gemeinsam im Studio waren, war hingegen eine Riesen-Enttäuschung und ein folgender Gerichts-Prozess, in dem Gregg Allman gegen seinen 'persönlichen Assistenten' (sprich Drogen-Beschaffer) aussagte, um seine eigene Haut zu retten, führte zur Auflösung der Brothers.

Dickey Betts gründete seine eigene Band The Great Southern, mit der er in den Folgejahren zwei nicht an frühere Glanztaten herankommende Alben ("Dickey Betts & The Great Southern" sowie "Atlanta’s Burning Down") aufnahm und 1978 sogar im WDR-Rockpalast ein Konzert spielte. Da aber alle Beteiligten nicht wirklich glücklich mit ihrer Situation waren, kam es im gleichen Jahr zu einer bis Anfang 1982 andauernden Allman Brothers-Reunion, die nach vielversprechendem Start ("Enlightened Rogues", 1979) jedoch in musikalisch tiefe Täler ("Reach For The Sky" von 1980 sowie speziell "Brothers Of The Road" von 1981) führte. Nach einem Fernseh-Auftritt im Januar 1982 brach der Kontakt unter den Musikern und auch mit dem Management ab und diese eher unglückliche Phase der Band war wieder Geschichte.

Nach einer Zeit mit der Band BLHT (Betts, Leavell, Hall & Trucks), die damals jedoch zu keinem Album führte (es war schlicht und ergreifend kein Interesse irgendeines Labels vorhanden) kam es dann 1988 zum Album "Pattern Disruptive" der Dickey Betts Band, in der zum ersten mal im Zusammenhang mit den Brothers der Name Warren Haynes auftauchte. 1989 erfolgte dann die zweite Brothers-Reunion mit dem genannten Haynes als zweitem Gitarristen und den starken bis sehr starken Alben Seven Turns (1990), Shades Of Two Worlds (1991) sowie Where It All Begins (1994).

Dickey Betts war jedoch immer schon ein Mann mit groben Ecken und sehr scharf geschliffenen Kanten, der dazu mit einem aufbrausenden Temperament gesegnet bzw. meistens eher gestraft war. In Band-Biografien ist immer wieder der Satz »Ein sehr netter und entgegenkommender Mann, wenn er nüchtern und clean ist. Aber ein wandelnder Alptraum, falls nicht. Dann halt dich besser fern von ihm!« zu finden. Und da der Musiker einige Jahrzehnte lang alles andere als ein Kostverächter war, machten seine gewaltsamen Ausbrüche auch vor Bandmitgliedern und Lebens-Gefährtinnen nicht halt. Als die restlichen Brothers im Jahr 2000 endgültig genug von seinem Verhalten hatten, wurde Dickey Betts gefeuert. Dass dies von ihm nicht gerade positiv aufgenommen wurde und die weitere Interaktion mit dem Rest der Brothers alles andere als harmonisch verlief, würde einer gnadenlosen Untertreibung gleichkommen.

Für den Rest seines Lebens war der Südstaatler live auf der Bühne unterwegs und es kam auch noch zu auf kleiner Flamme gekochten Alben ("Southern Jam" oder "Collectors #1") sowie der einen oder anderen Live-CD und -DVD, aber das Leben auf der großen Bühne war für Betts seither vorbei. Der Verfasser dieser Zeilen durfte den Amerikaner in den Jahren 2004 und 2005 in einem etwa 500 Besucher fassenden Club live auf der Bühne erleben und war von der schieren musikalischen Ur-Gewalt und der grandiosen Qualität seines Gitarrenspiels (sowie ganz sicher auch seiner Präsenz, Ausstrahlung und seinem musikalischen Vermächtnis) vollkommen geflasht und in den Bann gezogen. Das mir von Dickey Betts persönlich übergebene Gitarren-Plektrum trage ich seither bis heute täglich als Glücksbringer mit mir herum.

Dickey Betts hat Musik-Geschichte geschrieben, einerseits als Mitglied der Allman Brothers Band und so bahnbrechenden Alben wie "At Fillmore East" und "Brothers And Sisters" (um nur mal zwei zu nennen), andererseits durch extrem starke von ihm komponierte Tracks wie "Ramblin' Man" (der größte Hit der ABB), "In Memory Of Elizabeth Reed", "Blue Sky", "High Falls" oder dem von mir besonders geliebten Geheim-Tipp "Pegasus". Vielleicht steht über allem aber die absolute Klasse als Gitarrist, die den guten Dickey für immer in den Rock-Olymp einziehen lässt. Nun ist das Original-Line-up der ABB also fast wieder zusammen, nur auf 'Jaimo' warten sie da oben noch, bevor der nächste »Great Gig In The Sky« die Engel und alle anderen verzaubern wird.

Rest in peace, Dickey, wir werden dich nie vergessen!

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
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Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

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