Ist das eigentlich eine französische Marotte, dass sich Band-Projekte nur noch nach den Anfangsbuchstaben ihrer Mitstreiter benennen? Diese Assoziation kommt mir spontan, nachdem ich kürzlich ein Review über die B·T·C Blues Revue geschrieben habe und nun "Live In Paris" von The A, B, C & D Of Boogie Woogie vor mir liegt. Doch der Verdacht ist zumindest insoweit unbegründet, als die vorliegend zu besprechende Kapelle - im Gegensatz zur B·T·C Blues Revue - gar keinen Franzosen als Mitglied ausweist. Lediglich der Ort der Einspielung der Live-CD - der Pariser Nachtclub 'Duc Des Lombards' - stellt die Verbindung zu Frankreich dar. Die Protagonisten hier sind - in alphabethischer Reihenfolge der Vornamen, aus deren Anfangsbuchstaben sich der Projekt-Name bildet -: Axel Zwingenberger, Ben Waters, Charlie Watts sowie Dave Green.
Axel Zwingenberger ist ein deutscher Boogie Woogie-Pianist, der in frühen Jahren mit zahlreichen Größen des Jazz wie Big Joe Turner, Lionel Hampton oder Champion Jack Dupree zusammengespielt und es mittlerweile bis in die Boogie Woogie Hall of Fame geschafft hat.
Der Brite Ben Waters ist ebenfalls Pianist, dem das besondere Verdienst gebührt, im vergangenen Jahr die kompletten Rolling Stones der Jahre 1975 - 1992 für einen gemeinsamen Song auf dem Tribute-Album Boogie 4 Stu zusammen zu bringen.
Charlie Watts brauche ich an dieser Stelle sicherlich nicht besonders vorzustellen. Wieso der Stones-Drummer allerdings dem Pariser Publikum als »The incredible Charlie Watts« vorgestellt wird, erschließt sich mir nicht. Weder ist es für jemanden, der ein wenig über die Person Charlie Watts informiert ist, »incredible«, dass er in einer Boogie Woogie-Combo die Felle bearbeitet, noch tut er dies - um dieses bereits vorweg zu nehmen - auf eine wirklich »incredible« Art und Weise.
Last but not least zupft Dave Green, ein Nachbarsjunge von Charlie Watts aus Jugendtagen, den Kontrabass. Er ist ein vielfach ausgezeichneter, insbesondere im Jazz beheimateter Bassist, der gerne von den Größen des Genres als Begleitung gesucht wird.
Diese vier Musiker bilden seit dem Jahr 2009 das Quartett The A, B, C & D Of Boogie Woogie - das vorliegend dokumentierte Konzert stammt aus dem Jahr 2010 - womit natürlich schon gesagt ist, was den Hörer musikalisch erwartet. Und bereits der Opener ist absolut klassisch: Allein die beiden Pianisten begrüßen den Abend stilgerecht mit "Bonsoir Boogie!" und lassen die Tasten nur so klimpern! Das weckt Appetit auf mehr!
In der Folgezeit wechseln sich die beiden Pianisten ab, während die Rhythmus-Sektion ab dem zweiten Titel durchgängig auf der Bühne präsent ist, bis bei den letzten vier Songs alle vier Musiker gemeinsam auf der Bühne stehen. Der musikalische Spannungsbogen ist gut gewählt.
Nun ist Piano-geprägter Boogie Woogie nicht jedermanns Sache, zu sehr prägen oftmals die rollenden Bässe und das lockere Klimpern der hohen Töne, was auf die Dauer recht eintönig wirken kann. The A, B, C & D Of Boogie Woogie lassen jedoch keinerlei Langeweile aufkommen, weil sie die Reihenfolge des Programms geschickt gestalten: Flotte Töne wechseln mit langsameren Melodien, Instrumentals werden von Titeln mit Gesang abgelöst, und auch stilistisch ist halt nicht alles reiner Boogie Woogie. Bereits der "Evolution Blues" entwickelt so einige Varianten, insbesondere ein längeres Solo am Kontrabass stellt eine Jazz-geprägte Improvisationseinlage dar.
Auffällig ist, dass die Tracks zwei bis fünf, bei denen Ben Waters die Tasten betätigt, alles Fremdkompositionen sind. Offenbar liegen seine Fähigkeiten weniger im kompositorischen Bereich als in der Interpretation bekannter Standards. So ist beispielsweise "Roll' em Pete" natürlich wieder so ein typischer Boogie Woogie-Klassiker. Interessant daran ist für mich vor allem, dass ich den Song bereits ausgerechnet auf einem Album von Axel Zwingenberger von Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts besitze. Einen Unterschied zwischen den beiden Versionen gibt es insbesondere dadurch, dass vorliegend Ben Waters auch mit seinem Gesang aktiv ist. Jedenfalls klingt der Titel nach wie vor frisch!
Mit dem Wechsel des Pianisten folgen vier Titel, für die die drei auf der Bühne stehenden Musiker zusammen auch kompositorisch - möglicherweise besser ausgedrückt: improvisatorisch - die Verantwortung zeichnen. "Duc De Boogie Woogie" ist ganz klar eine Reminiszenz an den Veranstaltungsort. Beim Titel "More Sympathy For The Drummer" habe ich spontan eine Assoziation zum Rolling Stones-Klassiker "Sympathy For The Devil" und erhoffe mir daher hier eine Gelegenheit für Charlie Watts, sich ein bisschen stärker in Szene setzen zu können. In beiden Punkten erlebe ich eine Enttäuschung: Weder klingt der Song auch nur im Entferntesten an den 'Devil', noch gelingt es Charlie Watts, sich solistisch präsentieren zu können, sieht man einmal von winzigen Einsprengseln ab. Lediglich sein typisch präzises, beinahe verspieltes Trommeln begleitet durchgängig das wiederum dominierende Piano. Einzig Dave Green tritt mehrfach mit kleinen Soli ein wenig in den Vordergrund.
Anschließend stehen alle (bzw. sitzen drei von vier) Musiker gemeinsam auf der Bühne, so dass The A, B, C & D Of Boogie Woogie endlich komplett sind. Mit dem "Blues Des Lombards", der wiederum den Veranstaltungsort Titel-gebend würdigt, wird ein wenig das Tempo aus dem Spiel herausgenommen, bis mit dem "St. Louis Blues" endgültig auch dem im Tracknamen genannten Genre gehuldigt wird. Man muss schon genau hinhören, bis man vernimmt, dass tatsächlich zwei Pianisten gleichzeitig am Werk sind, zu stimmig ist das Ganze. Ich hätte mir mehr etwas Duett-haftiges - um nicht zu sagen: Duell-haftiges - gewünscht.
Mit dem flotten "Low Down Dog" wird das Konzert zunächst beendet; mit den letzten Textzeilen »Bye, bye, bye (tbc)« verabschiedet Ben Waters sich und die Band beim Publikum. Natürlich gibt es noch eine Zugabe, den entsprechend betitelten "Encore Stomp" - wiederum eine gemeinsame Improvisation aller Musiker - die einen offenbar fröhlichen, locker-flockig dahergebrachten Musikabend im 'Duc Des Lombards' endgültig beendet.
Wie bereits gesagt: "Live In Paris" ist sehr viel Piano-getriebener Boogie Woogie. Wem das nicht gefällt, der wird wenig Freude an der CD haben. Den Freunden dieses Musikstils kann man diese Scheibe hingegen guten Gewissens empfehlen!
Line-up:
Axel Zwingenberger (grand piano)
Ben Waters (grand piano, vocals)
Charlie Watts (drums)
Dave Green (double bass)
Tracklist |
01:Bonsoir Boogie! (3:20)
02:Evolution Blues (6:06)
03:(Get Your Kicks On) Route 66 (5:04)
04:Somebody Changed The Lock On My Door (6:05)
05:Roll 'em Pete (4:04)
06:Duc De Boogie Woogie (3:13)
07:Street Market Drag (6:10)
08:Struttin' At Sebastopol (4:55)
09:More Sympathy For The Drummer (6:15)
10:Blues Des Lombards (5:21)
11:Down The Road A Piece (4:14)
12:St. Louis Blues (5:22)
13:Low Down Dog Blues (4:03)
14:Encore Stomp (3:45)
|
|
Externe Links:
|