Abel Ganz / Shooting Albatross
Shooting Albatross Spielzeit: 66:05
Medium: CD
Label: Abel Musik, 2008
Stil: Retro Prog


Review vom 27.07.2008


Ingolf Schmock
Dieser kleine Landesteil vom Britischen Königreich und Nordirland reklamiert nicht nur den Dudelsack, den Männerrock und die Erfindung des Whiskey für sich; man weiß nämlich auch seit Runrig oder den Simple Minds, und neuerdings mit Bands wie Mogwai oder Franz Ferdinand mit solider Rockmusik zu bestechen. Das grüne Schottland fühlt sich dabei sehr innig und stolzerfüllt mit der traditionellen Folklore verbunden, und beflügelt deren kreative Schöngeister - zu denen man den gemeinen Rockmusikanten schon zählen sollte - in ihre Künste einfließen zu lassen. Attribute, welche die heute zu besprechende Silberscheibe für sich in Anspruch nimmt, und diese gekonnt in ihren Retrosound mit verarbeitet.
Abel Ganz gehörten Anfang der 80er Jahre zusammen mit Marillion, Pendragon und Co. zur unbestrittenen Sperrspitze der auf Melodien bedachten britischen Neo Prog-Bewegung, konnten jedoch seitdem ihrem quasi Amateur-Status nie so recht entfliehen. Trotzdem erschlossen die Schotten mit ihren Low Budget-Produktionen über die Jahre das Herz vieler Genre-Liebhaber und etablierten sich fortan für die Riege kultverdächtiger Musikkapellen.
Jetzt, fast neunundzwanzig Jahre später, kann die Truppe um den Multiinstrumentalisten Hugh Carter nebst Hew Montgomery mit der neusten Veröffentlichung "Shooting Albatross", ihr wahrscheinlich erstes, ernst zunehmendes bzw. reifstes Studioalbum der Musikwelt präsentieren.
Ein freundlicher Blick auf die Titelliste gibt dem Konsumenten schon Aufschluss darüber, was da auf ihn zukommt. Nur ganze vier Kompositionen in sechsundsechzig Minuten versprechen und halten es auch: Ein engagiertes, stimmungsvolles Hörerlebnis um die Ohren zu bekommen.
In der Tat vermögen es die Retro Progger, auf diesem Album eine musikalische Melange zu erschaffen, welche erregt und zugleich zum Relaxen einlädt, die vertraut klingt und der Schönheit verpflichtet ist, aber dennoch zu überraschen vermag.
Dieses Hochglanzprodukt besticht mit seiner Reife, dem bruchlosen Zusammenspiel mit der nötigen Emotionalität und vernehmbarer Spielfreude.
Nach ihrem kreativen Brainstorming und der musikalischen Frischzellenkur bieten die Schotten hier klassisch antiquierten Prog mit reichlich Raum für ausgedehnte Instrumentalpassagen. So entsteht in der Gesamtwirkung ein sehr natürliches und virtuoses Klanggemälde, welches durchaus Erinnerungen an niveauvolle Momente früher Genesis oder Camel wachzurütteln vermag.
Auch wenn in den Stücken gleich drei unterschiedliche Sänger das Ruder übernehmen, vermögen diese das akustische Gesamtkonzept der Kompositionen doch mit wenigen Abstrichen am laufen zu halten, und nicht gänzlich zu verwässern.
Es wurde hier sozusagen nicht Flickschusterei betrieben, kein einziges Mal verliert die kompositorische Linie an Spannung, selbst in gedrosselten Passagen gelingt es den Protagonisten dank perlender Folkzutaten, das Energiepotential am oberen Anschlag zu halten. Überhaupt verhelfen die Musiker mit der folkloristischen Instrumentalisierung als verzierendes Element zwischendurch, ihre Herkunft leicht zu erahnen.
Allerdings setzt es des Hörers Toleranz voraus, sich nicht von den immer wiederkehrenden Dogmen alter bzw. bekannter Genrevorbilder wie Genesis oder IQ gestört zu fühlen.
So eröffnen uns Abel Ganz, mit einem nautischen Thema und einem Folk-durchtränkten Gespinst nebst dem aromatisierten Spiel des Fender Rhodes und der, in Anlehnung an Anthony Philips akzentuierten 12-saitigen Gitarre, den Grundtenor der gesamten Platte.
Ein besonderes Achtungszeichen in "Looking For A Plattform" setzt Tastenmann Jack Webb mit seinem gefühlstriefenden Pianozwischenspiel. Dafür zählen Hugh Carters Gesangsparts zwar nicht unbedingt zu den Besten, vermögen es aber, den mäßig eingängigen Refrain durch die Gewinnung Yes-typischer Harmonien zu verstärken. Schneidende Slide-Gitarren, straffe Basslinien und farbige Synthesizer formen zum krönenden Schluss eine schier göttliche Atmosphäre.
Das nachfolgende, fast 24-minütige "So Far" geleitet kompositorisch auch ins Fahrwasser großer Prog-Epen (beispielsweise Genesis' "Supper's Ready"), bei dem Pallas- und früherer Abel Ganz-Sänger Alan Reed in neun Charaktere schlüpft, um textkritisch und mit viel Pathos die nicht immer rühmlich verlaufende, amerikanische Geschichte zu beklagen.
Dabei stützt er sich stimmlich schon arg auf Gabriel'schen Früh-Vorgaben, was aber einem Hörerlebnis angesichts solch musikalisch schamloser Üppigkeit keinen Verdruss bereitet.
"So Far" vermittelt rundum ein Celtic Folk-Gefühl, lässt dem Talent von Rallion-Flötistin und Violinistin Fiona Cuthill freie Entfaltung, und reiht die kurzen feinen lyrischen Andy Latimer-Gedächtnis-Gitarrensoli des Kollegen David Mitchell wie Perlen auf eine Kette. Auf halber Strecke wird die mittelalterlische Folkbetäubung vom melodiösen Saiten- und Tastenzusammenspiel wiederbelebt, welches Reed mit seinem klagenden Gesang gegen eine himmlische Chorkulisse beantwortet. Die hervorragende Rhythmussektion, schwelende Synthie-Themen und eine emotional durch Mandoline fundierte Gesangsstrecke, verhelfen diesem detailverliebten Stück zu einem essentiellen Finale.
"Sheepish", eine Neuinterpretation aus dem Band-Archiv, präsentiert sich zunächst als nervöses, von Gitarre und Hammondorgel getrimmtes Fundstück, welches im weiteren Verlauf auf den schon tausend Mal, aber immer wieder gern gehörten Yes'schen Pfaden wandelt, letztlich den Intentionen der Solisten dennoch gerecht wird.
Mit dem, ebenfalls aus der künstlerischen Frühphase stammenden "Ventura", werfen die Schotten zum Schluss noch einmal ihr musikalisches Pfund auf die Waage.
Mitchells plätscherndes Gitarren-Intro klingt doch zunächst sehr Genesis-vertraut und vermag mit den anschließenden prächtigen Syntheziser- und Mellotronchören, mit Sicherheit einen Tony Banks mit Stolz erfüllen. Der jüngste, bzw. auch zukünftige Neuerwerb und Gesangskollege Mick MacFarlane, leistet mit seiner effektiven Darbietung das ausgewogene Maß an ehrlicher Leistung, wird dennoch vom majestisch verlängerten Gitarrensoli zum Höhepunkt getrieben. Warum man sich aber nach einer Laufzeit von achteinhalb Minuten zu einer gähnenden Pause hinreißen ließ, um das Werk danach mit Streichorchester gepaartem, ätherischen Saitenambiente klangstrategisch und entkrampft abzurunden, bleibt wohl deren Geheimnis.
Sicherlich haben die Schotten mit ihrem neuem Output das Rad nicht neu erfunden, geben im Gegenteil allen Genre-Plagiat-Spöttern noch Zucker, können aber durchaus mit ihrer ländlichen, teils antiquierten, als auch marinierten Musizierweise einen Neo- und Retro Prog-Liebhaber für sich begeistern.
Man benötigt für dieses Album mehrere Hördurchgänge, um Feinheiten zu vernehmen sowie die Kraft der einzelnen Lieder zu erkennen, lässt sich als Konsument aber gern durch die üppigen Klanglandschaften geleiten.
Mit diesem Studiowerk betreten Abel Ganz wirklich zum ersten Mal die Ruhmeshalle nachhaltiger Prog-Veröffentlichungen, und kommen damit endlich zu späten aber verdienten Ehren.
Auch wenn "Shooting Albatross" schon ein paar Wochen auf den Markt ist, ändert es nichts an der Tatsache, dieses Album jeden Progkonsumenten mit Herz und Seele nahe zu legen. Übrigens kann man das optisch im aufwändigen Digipack ansprechend gestaltete Werk beim rührigen deutschen Vertrieb Just For Kicks direkt bestellen.
Eine absolute Empfehlung und garantiert mit Nebenwirkungen!
Tracklist
01:Looking For A Platform
02:So Far
03:Sheepish
04:Ventura
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